Die dunklen Felle

Krimis, Thriller und Science Fiction


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Ein Fluss so rot und schwarz – Anthony Ryan

Anthony Ryan – Ein Fluss so rot und schwarz, Übersetzerin: Sara Riffel, Verlag: Tropen Verlag, 272 Seiten, ISBN: 978-3-608-50179-7

Huxley ist einer von sechs Menschen, die auf einem Schiff mitten im Nirgendwo erwachen. Der siebte ist tot – Selbstmord. Keiner der Sechs kann sich an Persönliches erinnern, doch alle scheinen bestimmte, nützliche Fertigkeiten zu besitzen. Und alle haben einen Namen auf den Arm tätowiert, alles Namen von SchriftstellerInnen. So wie Huxley, der vermutlich mal Polizist war. Wer er war, ob er Familie hatte, das alles weiß er nicht. Die Sechs erkunden das Schiff und stellen fest, dass es automatisch gesteuert ist und sie keine Möglichkeit haben einzugreifen. Viel erkennen können sie auch nicht, denn mysteriöser roter Nebel umgibt  sie. Doch nach und nach öffnen sich Fächer, klingelt ein Satellitentelefon, das Ufer wird sichtbar und Hinweise ergeben sich – sie nähern sich London, einem postapokalyptischen London. Doch dort ist etwas passiert und die Sechs sind losgeschickt worden, um das Grauen dort zu bekämpfen.

 Natürlich ist es die mysteriöse, unheimliche Spannung und das Nichtwissen der sechs Personen auf dem Schiff, welche die ganze Geschichte vorantreiben und einen unheimlichen Sog entwickeln. Angefangen mit dem grundsätzlichen Misstrauen in der Gruppe, nachdem alle aufwachen und einen von ihnen tot auffinden. Keiner kann dem anderen trauen, denn keiner kennt den anderen – aber eben auch nicht sich selbst. Alle haben die gleichen Narben, auf dem Kopf und im Bauchbereich, doch keiner kann sich erinnern, warum. Sie finden heraus, dass jeder eine Art Spezialist ist: Ärztin, Soldat, Polizist, Physikerin, Historiker und Polarforscherin. Doch allen ist gemein, dass sie sich nur an Fakten, an Fertigkeiten, an automatisierte Abläufe erinnern. Keiner hat Erinnerungen an Familie, Freunde, persönliche Ereignisse. Und wenn sie sich zu erinnern versuchen, erleiden sie Schmerzen.

Auch der Leser bleibt mit den Figuren im Ungewissen und erfährt nichts im Voraus. Da allen Figuren das Privatleben abhanden geht, fällt es einem auch schwer, Bezug zu jemanden herzustellen. Bei einigen musste ich mich immer wieder vergewissern, wer denn wer ist. Einzig zu Huxley, aus dessen Sicht die Geschehnisse geschildert werden, und zu Rhys, der Ärztin, baut man eine Verbindung auf – das hat auch seinen Grund. Die Geschichte besticht also nicht unbedingt mit Charakterzeichnung – da fehlt dann irgendwie doch das persönliche. Doch andererseits ist das auch gut so, denn allen voran soll hier die unheimliche Atmosphäre, die mysteriösen Vorkommnisse und die nach und nach enthüllten Tatsachen wirken und das gelingt auch.

Wenn man das Buch in zwei Teile aufteilt, so lebt es anfänglich von dem Nichtwissen der Charaktere und dem Dürsten nach Informationen, den unheimlichen Kleinigkeiten und der Interaktion der Gruppe. Der zweite Teile artet dann in repetitive Handlungen aus – von denen man sich zweifellos die eine oder andere hätte sparen können – die aber unweigerlich auf einen großen Showdown zusteuern. Zuviel möchte ich hier natürlich nicht verraten, aber der Autor hat noch einiges, was er am Ende auspackt.

Insgesamt war das Buch einfach wirklich gute und spannende Unterhaltung mit einer gehörigen Portion mysteriöser und unheimlicher Atmosphäre, blutrünstigen Kämpfen und einem gewaltigen Showdown. Wer seine Thriller gerne auch mal postapokalyptisch/dystopisch und mit ordentlich Schmackes mag, kann hier nichts falsch machen. Spannend, unheimlich und in einem Rutsch weggelesen – genau das Richtige für einen verregneten Herbstnachmittag.


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Ohne Sprache keine Identität: Mova – Viktor Martinowitsch


Viktor Martinowitsch – Mova
Verlag: btb
Übersetzer: Thomas Weiler
392 Seiten
ISBN: 978-3442717002

 

 

 

 

Als ich das Buch entdeckt habe, hat es mich sofort angesprochen. Titel, der Klappentext, Cover… Minsk in der Zukunft. Spannende Sache. Und dann hab ich gelesen, dass „Paranoia“, der erste Roman, der von Viktor Martinowitsch auf Deutsch erschienen ist, in Weißrussland inoffiziell verboten ist und der Autor, gemeinsam mit der einzigen nicht-staatlichen Universität, der Europäischen Humanistischen Universität ins Exil nach Vilnius gegangen ist. Wie schrecklich… da arbeite ich doch tatsächlich tagtäglich mit Kollegen aus Minsk zusammen und weiß fast gar nichts über das Land. Zwar hat der Autor „Mova“ in der Zukunft angesiedelt, doch seid Euch gewiss, dass der Autor Euch nicht ohne Wissen zu seinem Land, Weißrussland, das Buch beenden lässt.

Minsk im Jahre 4741 (nach gregorianischem Kalender 2044) gehört zum Bündnisstaat China-Russland. Vehement geht die Regierung gegen die neue Droge „Mova“ vor und kann sie trotzdem nicht eindämmen. Mova –Briefchen sind für den Konsumenten oft unverständlich, literarisch fragwürdig und trotzdem ein Rauschmittel. Eine Droge, die keine physischen Auswirkungen hat, die keine Abhängigkeit verursacht und trotzdem von der Staatlichen Suchtmittelkontrolle verteufelt wird – lieber soll man doch die Staatsdrogen Alkohol oder Cannabis konsumieren. Und Dealer schleusen die kleinen Briefchen mit der kostbaren Schrift ins Land. Wer es liest, versteht es kaum, aber erlebt wahre Glückseligkeit, mal länger, mal kürzer, je nach Qualität des Stoffs. Der Handel liegt in den Händen der chinesischen Triaden, aber es gibt auch noch die Zigeuner und die unabhängigen Dealer. So wie einen der Erzähler der Geschichte. Doch der gerät schon bald ins Visier der Triaden, als er in seinem letzten geschmuggelten Rucksack eine Printe findet. Ein ganzes Buch in Mova. Ein Mysterium, eine Unglaublichkeit, die es gar nicht geben dürfte.

„Ich bin überhaupt der Auffassung, dass Leser […] geschlossene Systeme sind, die sich selbst genügen. Dass sie im Grunde gar keinen Bedarf an Mitmenschen haben.“ (S. 222)

Der zweite Erzähler ist der Junkie, von dem man tatsächlich nie den Namen erfährt, während der Name des Dealers irgendwann doch auftaucht. Abwechselnd erzählen sie von China-Russland, von Mova, vom Drogenhandel und –konsum. Das Minsk der Zukunft wird gar nicht so genau beschrieben, der Autor bleibt oft vage, erzählt nichts, zeigt nur, lässt Orte wie Nebensächlichkeiten einfließen. Einzig Chinatown in Minsk erfährt eine genauere Beschreibung und ich stelle es mir bombastisch vor. Über und untereinander gebaut, alle Fleckchen ausgenutzt, Gewusel und Dreck, in den Himmel ragend, die untersten Ebenen scheinen schon unterirdisch, obwohl oberirdisch, da gar kein Licht dran dringt… woah, was ein Erlebnis. Die Bilder in meinem Kopf, gigantisch. Die „alten“ Religionen haben ausgedient, es leben die Shoppinggötter. Die Vergangenheit, also unsere heutige Zeit ist eigentlich gar nicht so weit weg, doch die beiden Protagonisten verkennen einfachste Dinge, z. B. wie ein Auto angetrieben wird. Man darf den beiden aber auch nicht zu sehr Glauben schenken, sind sie doch beide recht unzuverlässige Erzähler.

Und doch, ohne viel Aufhebens darum, dringt die Botschaft des Autors zu einem durch, spitzt sich die Handlung zu. Auch wenn nicht dediziert Krimi genannt, gibt es doch viele Elemente, die das Buch unglaublich spannend machen und kriminelle Handlungen darstellen. Drogen, Wohnungsbrand, die Triaden, das Verstecken vor den Behörden. Ah, und mit einer Leichtigkeit gelingt es dem Autor den Leser an der Nase herumzuführen. Verpackt hat er in die kriminellen Handlungen denn eigentlich ein Plädoyer für die Sprache, für Identität und Selbstbestimmung. Atmosphärisch dicht, vielleicht in einigen Punkten nicht immer nachvollziehbar, aber gut konstruiert und gewoben. Ein Buch, welches Kritik übt an Konsum und diktatorischen Regierungen; ein Buch, welches fragt und hinterfragt, aufdeckt und bedeckt; ein Buch, welches einen nachdenken und sinnieren lässt. Eine Antiutopie.

„Darin liegt ja das Wunder dieser Glücksmomente, das sie nie länger als eine Sekunde dauern. Ein Wimpernschlag, und weg sind sie. Deshalb darf man möglichst lange nicht blinzeln.“ (S. 40)

Fazit:
Bücher, die einen dazu anregen, nachzudenken, etwas nachzuschlagen und zu recherchieren; Bücher, die einem nicht aus dem Kopf gehen und immer wieder in den Gedanken auftauchen, das sind die wirklich guten Bücher, die Bücher, die man lesen sollte und lesen muss. Und so eines ist „Mova“.


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Klein und fies: Nanos – Timo Leibig


Timo Leibig – Nanos
Verlag: Penhaligon
513 Seiten
ISBN: 978-3641215989

 

 

 

 

2028 – das ist gar nicht mehr so lange hin, keine 10 Jahre. Doch wie weit sind wir in 10 Jahren wirklich? Ist es möglich, dass Deutschland in 10 Jahren weitestgehend vom Rest der Welt abgeschottet ist, dass es eine Regierung gleich einer Götterverehrung gibt, dass alle die gleiche Meinung haben? Und (fast) keiner beschwert sich darüber?

Na klar geht das – allerdings nur mit den Nanos. Durch Zufall findet der Forscher Carl Oskar Fossey heraus, wie sich Nanopartikel dazu benutzen lassen, Menschen zu beeinflussen. Nicht sofort, aber nach und nach können die Gedanken der Menschen manipuliert werden. Sein findiger Kollege Johannes Kehlis weiß dies zu nutzen, verteilt über seinen Lebensmittelkonzern die Nanos in der Nahrung, wird Bundeskanzler und mächtigster Mann in Deutschland. Die Menschen sind glühende Kehlis-Anhänger, andere Länder sind ihnen egal, Deutschland geht es gut, alle sind glücklich. Alle? Nein, natürlich nicht. Einige wenige sind resistent gegen die Nanos und versuchen den Kreislauf zu durchbrechen.

Malek, seit Jahren im Gefängnis und von Kehlis-Produkten unbelastet ist, bricht,  gemeinsam mit seinem Kumpel Tymon, der allerdings kurz darauf stirbt, aus und landet in dieser veränderten Welt. Durch eine zufällige Begegnung trifft Malek auf die Rebellen und schließt sich – nach einigen Querelen – dieser, zumindest vorübergehend, an. Er wird gebeten, beim nächsten Coup der Gruppe mitzuhelfen: der Entführung von Carl Oskar Fossey. Malek hat allerdings noch eine andere Aufgabe: Tymon hat ihm das Versprechen abgerungen, sich um seine Schwester Maria zu kümmern. Doch kann er das überhaupt – oder ist sie auch im Würgegriff der Nanos?

Die Widerstandsgruppe besteht aus einem bunt gemischten Haufen Menschen, also eben einfach resistente Menschen. Keine ausgebildeten Kämpfer, keine Forscher, ein Palette an Berufen und Fertigkeiten. Nichtsdestotrotz ist die Ausgangslage gut: gesichertes Gelände, Selbstversorger, ein vierköpfiges Gremium, welches Entscheidung trifft. Doch die Frage ist, wie man die Macht der Nanos unterbricht und hier kommt der Forscher ins Gespräch. Und Malek, der zufällig gefundene Söldner passt eben wie die Faust aufs Auge.

Wie bedrohlich die Atmosphäre in Deutschland ist, erfährt man hauptsächlich durch Maria, denn die Rebellen operieren ja aus dem Untergrund. Sowohl ihr Sohn als auch Maria selbst sind resistent gegen die Nanos, ihr Mann und Millionen weitere Menschen nicht. Da Kehlis-Anhänger restlos von der Ideologie überzeugt sind, ist die Gefahr groß, dass Marias Mann sie und ihren Sohn zur „Beichte“ schickt. Und noch ist niemand von einer Beichte je zurückgekommen. Maria muss sich verstellen, doch wie lange klappt das? Maria wandelt wie auf Kohlen, vor allem zu Hause. Es scheint eine ausweglose Situation – wohin soll man gehen, wenn alle Menschen fremdgesteuert sind?

Die Einblicke in Marias Leben waren diejenigen, welche einen am meisten schlucken lassen. Die Parallelen zur NS-Zeit sind einfach zu groß, als das man sie übersehen könnte. Eine Atmosphäre der Bedrohung und Paranoia, Propaganda vom großen Führer Kehlis, kaum Kontakt ins Ausland. Selbst die SS tritt quasi auf – in Form der Konfessoren. Über allen stehende Gesetzesvertreter, die jegliche Befugnis haben und bar jeglicher Emotionen (eine Nebenwirkung der ersten Nanos). Der einzige Unterschied zur NS-Zeit besteht darin, dass die „Kehlianer“ ja nicht wissen, dass ihre Gedanken manipuliert sind, sie können keine freien Entscheidungen mehr treffen. Familienbanden sind wenig wert, die Beichte sehen Kehlianer als Hilfe für die Betroffenen.

Wie so oft muss ich aber ein wenig daran herummäkeln, dass mir noch Einblicke gefehlt haben. Es wird zwar erwähnt, dass kaum Kontakt mehr zum Ausland besteht, Nachrichten weitgehend eingestellt sind, das Internet an Bedeutung verloren hat –  aber wie konnte das in 10 Jahren von statten gehen? Wo ist und was macht die EU? Was sagen die anderen Länder? Gibt es da keine kritischen Stimmen? Und wenn ja – fängt Kehlis dann bald einen Krieg an oder baut er eine Mauer? Oder exportiert er seine Nahrungsmittel auch ins Ausland? Interessant wäre auch gewesen, über die Übergangsphase noch etwas zu erfahren, denn die Nanos wirken ja nicht sofort – wie haben die Reaktionen in der Bevölkerung damals ausgesehen? Ah, Fragen über Fragen….

Mal abgesehen davon, war der Thriller wirklich sehr spannend. Dadurch, dass Malek die Rebellen sofort trifft, ist man auch gleich mitten in der Geschichte. Die Hintergründe der Gegebenheiten im Deutschland des Jahres 2028 erfährt man nach und nach, weiteres Insiderwissen gibt es durch Kapitel, die aus Sicht von Konfessor Nummer Elf geschrieben sind, der Malek jagt und wieder einfangen soll. Überhaupt finde ich die Grundidee der Nanos äußerst gelungen. Im Prinzip ist damit ja alles möglich – wer die Macht über die Nanos hat, hat die Macht über die Menschen und kann jegliches Ziel verfolgen. Und nur so ist natürlich auch dieser rasante gesellschaftliche Wandel möglich – sehr clever gelöst! Denn abgesehen von den Nanos ist das Deutschland von 2028 nicht so anders wie das Deutschland heute.
Am Ende gibt es einen richtig guten Showdown, der Einblick in die Organisation von Kehlis gibt, aber auch mächtig fetzt und mit viel Kawumm das Buch abschließt. Aber – und hier verrate ich nicht zu viel – der Kampf gegen die Nanos geht weiter, denn schon in wenigen Monaten erscheint der zweite Teil rund um die kleinen fiesen Gedankenmanipulierer.

Fazit:
Wer hat Angst vor seinem Essen?
Timo Leibig gelingt ein spannender Thriller in einer erschreckenden Zukunftsvision, von dem ich hoffe, dass noch einige meiner Fragen im nächsten Teil beantwortet werden – denn den lese ich auf jeden Fall!

 


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Fehlschlag: Josefine Rieks – Serverland


Josefine Rieks – Serverland
Verlag: Hanser
176 Seiten
ISBN: 978-3-446-25943-0

 

 

 

 

Die Idee war einfach so klasse – eine zukünftige Welt ohne Internet? Tausend Fragen sind mir durch den Kopf geschwirrt. Lässt sich das Internet überhaupt noch aus unserem Leben entfernen? Warum ist es verschwunden? Was ist mit der Welt passiert? Wie läuft das Leben jetzt ab – zurück in die Steinzeit? Oder alles gar nicht so schlimm?
Die Antworten auf diese Fragen bleibt das Buch mir leider schuldig.

Reiner arbeitet bei der Post, doch seine Leidenschaft sind alte Laptops. Die Relikte aus der Vergangenheit sammelt er und zockt darauf Videospiele, soweit möglich. Meyer, den er noch aus seiner Schulzeit kennt, aber nicht viel von ihm hält, führt ihn ins Wunderland, ins „Serverland“. Ein altes, verlassenes Gebäude, in dem die früheren Server von Google Inc. vor sich hin stauben. Dort hat sich eine jugendliche Gemeinde versammelt und versucht den Zeitgeist von früher wiederzubeleben.

Die jugendliche Gemeinde ist genau so, wie man sie sich vorstellt. Viel Party, viel Alkohol, viel Rauchen. Mit einem Hauch von Hippie. Daran soll es wohl angelehnt sein. Und die jugendliche Gemeinde ist sehr international. Das heißt, dass es viele englische Gespräche gibt, die nicht ins Deutsche übersetzt sind. Mal abgesehen davon, dass es das zwar einfaches Englisch ist, finde ich es nicht gut, dass diese Passagen unübersetzt sind. Nicht jeder kann Englisch.

Die Internationalität der jungen Menschen gibt mir Rätsel auf. Denn nicht nur das Internet ist verschwunden – auch Computer oder jegliche elektronische Datenverarbeitung scheint verschwunden, ja sogar verpönt zu sein. Wie kommen also die Amerikaner nach Holland (dort, wo die Server stehen)? Sind die vor Wochen mit einem Ozeandampfer losgefahren? Ein Flugzeug oder ein anderes, neueres Schiff kann es ja nicht gewesen sein, denn diese funktionieren ohne Computer schlicht und einfach nicht mehr.

Das ist auch die Sache, an der es meines Erachtens im Buch krankt. Die Welt scheint unverändert, nur das Internet, bzw. die EDV scheint verschwunden. Es gibt keine Missstände in der Versorgung der Bürger, es gibt Autos (mit welcher Elektronik die wohl fahren?) und und und. Wieso gibt es keine einschneidenden Veränderungen wenn die digitale Ader aus unserer Welt gerissen wird? Das ist für mich nicht nur unverständlich, sondern auch unrealistisch. Es wird aber auch auf gar nichts davon eingegangen.

Dann hab ich überlegt, ob  mir die Autorin vielleicht etwas anderes mit dem Buch sagen möchte. Aber ehrlich gesagt, ich hab keine Ahnung was. Diese jungen Menschen sitzen beisammen, haben eine Art Plenum gegründet, aber eigentlich gibt es nur ein paar wenige, die etwas verändern wollen. Die anderen hängen einfach dort ab. Und selbst die, welche etwas verändern wollen – was genau? Die Jugendlichen ziehen YouTube Videos von den Servern, brennen diese auf DVDs und schicken diese wahllos an Menschen (DVD Player gibt es anscheinend noch) – warum? Hier reden wir nicht von bedeutenden Reden oder Momenten der Geschichte, sondern von Robbie Williams „Rock DJ“ Video oder irgendwelchen Jugendliche, die Geräusche machen. Total albernes Zeug.

Will die Autorin mich also dadurch darauf aufmerksam machen, dass im Internet nur Unsinn kursiert? Hm, vielleicht. Aber tatsächlich hätte die Autorin so viel mehr mit dieser Grundidee erreichen können, dass mir diese offensichtliche Tatsache einfach nicht ausreicht. Das Buch war kurz – nur 179 Seiten lang – aber tatsächlich habe ich nun das Gefühl, meine Zeit hätte wesentlich besser investiert werden können.

Fazit:
Die Grundidee war so gut, vielleicht schon zu verdammt gut, denn die Umsetzung konnte leider überhaupt nicht überzeugen. Das Buch war für mich tatsächlich reine Zeitverschwendung. Ich hab keine Ahnung was das Buch mir sagen wollte.

 


Weitere Meinungen:
Iris vom Schurkenblog und ich sind auf einer Wellenlänge, denn sie findet: „Um das Lesen des Buches erträglicher zu machen, sollte man wohl ganz viel Bier und noch mehr Joints intus haben. Wenn das nicht hilft: auskotzen.“


 


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Fazit – Blogspezial Dystopische Literatur, gemeinsam mit Wortgestalt-Buchblog

Nach zwölf Rezensionen, vielen, vielen tollen Kommentaren und Diskussion sowie einigen anderen aufregenden Dingen (kurz vor knapp lesen, rezensieren oder vergessen zu veröffentlichen – zumindest von meiner Seite) gibt es nun heute ein Fazit zu unserem gemeinsamen Blogspezial Dystopische Literatur. Philly und ich haben uns separat Gedanken gemacht, natürlich basierend auf den Büchern, die wir jeweils gelesen haben, aber wir wollten trotzdem eine gemeinsame Struktur, um Euch durch unsere Fazit-Beiträge zu führen. Zur gleichen Zeit wird Phillys Fazit online gehen – und hier ist auch schon der Link zu Phillys Fazit.
Vorab möchte ich mich ganz herzlich für die regen Kommentare und Diskussionen bedanken – tatsächlich hat noch keine meiner Krimirezensionen solch ein Feedback verursacht. Ich war geflasht und sehr glücklich darüber. Vielen Dank an Euch!

Bevor ich nun loslege, lasst uns nochmal einen Blick auf die Liste der gelesenen Bücher werfen – mit Verlinkung zu den Beiträgen:

05.02.2018 E. M. Forster – Die Maschine steht still (Wortgestalt)
07.02.2018 Jewgeni Samjatin – Wir (Die dunklen Felle)
09.02.2018 Ray Bradbury – Fahrenheit 451 (Wortgestalt)
11.02.2018 Anthony Burgess – Clockwork Orange (Die dunklen Felle)
13.02.2018 Philip K. Dick – Der dunkle Schirm (Wortgestalt)
15.02.2018 Margaret Atwood – Oryx und Crake (Die dunklen Felle)
17.02.2018 Alan Moore / David Lloyd – V wie Vendetta (Wortgestalt)
19.02.2018 Cormac McCarthy – Die Straße (Die dunklen Felle)
21.02.2018 Margaret Atwood – Der Report der Magd (Wortgestalt)
23.02.2018 Dave Eggers – Der Circle (Die dunklen Felle)
25.02.2018 Juli Zeh – Corpus Delicti (Wortgestalt)
27.02.2018 Omar El Akkad – American War (Die dunklen Felle)

In aller Kürze: Was die Fachliteratur über Dystopien sagt

Vor der Dystopie stand die Utopie und Thomas Mores Schrift »Utopia«, in der er eine ideale Welt beschreibt, aus dem Jahr 1516 prägte den Begriff für diese literarische Gattung. Später entwickelt sich als Kritikform die »Anti-Utopie« (Dystopie) heraus und will »durch die ausführliche Schilderung einer negativen Gesellschaft und ihrer Auswirkungen auf das Individuum vor gegenwärtigen Entwicklungen warnen« (aus: Phantastik. Ein interdisziplinäres Handbuch, herausgegeben von Hans Richard Brittnacher und Markus May, J.B. Metzler, Stuttgart 2013, siehe S. 334 nach einem Text von Peter Kuon).

Als Urväter des dystopischen Romans gelten »Die Zeitmaschine« (1895) und »Wenn der Schläfer erwacht« (1899) von H.G. Wells, »Wir« von Jewgenij Samjatin (1920), gefolgt von »Schöne neue Welt« von Aldous Huxley (1932) und »1984« von George Orwell (1949). Hier erfolgt dann auch schon ein nahtloser Übergang zu den wichtigen Werken des 20. Jahrhunderts wie »Nein. Die Welt der Angeklagten« von Walter Jens (1950) oder »Fahrenheit 451« von Ray Bradbury (1953). Wer hier Autorinnen vermisst, dem seien Ursula LeGuin, Marge Piercy und Margaret Atwood genannt. Nicht zu vergessen Jule Vernes frühes Werk »Paris im 20. Jahrhundert«, das bereits 1863 geschrieben, aber erst 1994 veröffentlicht wurde.
(Der historische Abriss wurde von Philly verfasst.)

Der erste Blick: Worum geht es?

Die Themen der von mir gelesenen Dystopien sind sehr vielfältig gewesen, doch tatsächlich konzentriert sich jedes Buch auf ein zentrales Thema. In „Wir“ (1920) und „Der Circle“ (2013) dreht sich alles um bekannte, oft genutzte Themen wie Totalitarismus und den gläsernen Bürger. Diese Themen kehren immer wieder in Dystopien, sie sind und bleiben in unserer Gesellschaft präsent. Zwischen diesen Büchern liegen fast 100 Jahre und doch scheint die Angst vor der totalen Kontrolle bzw. dem damit einhergehenden Verlust der Individualität immer in unseren Köpfen vorzuherrschen. Der gläserne Bürger, der sich in „Wir“ zwar völlig anders darstellt als in „Der Circle“ – was natürlich hauptsächlich historisch bedingt ist -, spiegelt nichtsdestotrotz den Verlust jeglicher Privatsphäre, ob nun aufgrund gläserner Wände oder der gläsernen Internetpräsenz.

Auch Ms. Atwood hat ein aktuelles Thema für „Oryx und Crake“ (2003) gewählt, denn auch hier kann ich mich an doch einige andere Titel erinnern, die sich um Genforschung und Biotechnik drehen – es ist ein sehr beliebtes Thema in dystopichen Thrillern. Ein gerade aktuelles Beispiel wäre „Bios“ von Daniel Suarez, welches ich leider kurz vor dem Spezial gelesen habe, so dass ich es nicht besprochen habe, aber ich kann es sehr empfehlen kann. Schon heute werden in der Forschung jeden Tag neue Grenzen überschritten und das Gedankenspiel, wohin uns das führt, ist sehr beliebt und spannend. In „Oryx und Crake“ führt es zum perfekten Menschen, doch die Frage ist, wie viel Mensch das dann noch ist, wie viel Menschlichkeit hier noch drin steckt. Vielleicht beantwortet die Autorin diese Frage in den weiteren beiden Teilen, doch bis hierher muss ich die Antwort noch schuldig bleiben.

Die drei anderen Bücher waren seltsamerweise nochmal völlig anders. Bei „Clockwork Orange“ (1962) geht es oberflächlich betrachtet zwar um die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen, doch letztendlich ist das Buch das Gefäß einer philisophischen Frage bzw. Diskussion: Sollte man dem Menschen die Wahl lassen? Oder sollte man ihn zwingen gut zu sein bzw. zu werden? Letztendlich wäre dies im vorliegenden Buch auch eine Kontrolle, ausgeübt vom Staat, allerdings besteht schon ein Unterschied zwischen Totalitarismus und der Kontrolle, bzw der Unterdrückung gewalttätiger Tendenzen.

„Die Straße“ (2006) würde ich tatsächlich zwar in die Kategorie Dystopie einordnen, allerdings mit dem Zusatz Endzeit. Zwar zeigt es eine zerstörte zukünftige Welt, doch nicht, wie es dazu kam, welche aktuellen Ereignisse zu dieser Zukunft geführt haben. Das zentrale Thema des Romans ist definitiv die Liebe eines Vaters zu seinem Sohn. Etwas völlig anderes als man in einer Dystopie eigentlich erwartet. Und doch sehr gelungen.

„American War“ (2017) hingegen sehe ich als Spiegel der heutigen Zeit. Ja, es ist eine Dystopie, es spielt in der Zukunft, doch das Thema, welches uns der Autor näher bringen möchte, ist, wie sich Terroristen und Selbstmordattentäter bilden, wie diese „entstehen“, wie sie eingefangen, ausgebildet, indoktriniert werden. Ein Thema, welches einen Schaudern lässt und bei mir am meisten Eindruck hinterlassen hat.

Auf den zweiten und dritten Blick: weitere Themen

Neben den zentralen Themen, die im Fokus stehen, bieten die Bücher noch weiteren Einblick in andere Themen, um genauer zu sein in eine Vielzahl von Themen. Oftmals hintergründig, manchmal auch direkt. Hauptsächlich sind hierbei Naturkatastrophen und der Klimawandel zu nennen, vor allem in „American War“, „Oryx und Crake“ und „Die Straße“, auch wenn sie eben nicht im Fokus stehen. Kriege und Unruhen kommen zum Zug, aber auch die „Verblödung“ der Medien bekommen, vor allem in „Oryx und Crake“, ihren Anteil zugesprochen, durch die widerwärtigsten Realityshows und abartige Videospiele.

Ganz besonders in Erinnerung sind mir aber die Mauern, auch wenn diese nur in „Wir“ eine Rolle spielen. Vielleicht, weil das Thema Mauern einfach immer wieder auftaucht, für uns in Deutschland eine besondere Bedeutung hat, aber vor allem, weil ständig jemand versucht oder ankündigt neue Mauern zu bauen. In „Wir“ dient die Mauer zum Schutz vor der Umwelt. Im Übrigen im Buch sehr zwiespältig, da ja nur die Außenmauer schützt – im Inneren gibt es ja quasi keine Mauern, alles ist nur verglast. Es gibt keine Privatsphäre. Bei Mauern muss man sich immer fragen, ob diese wirklich zum Schutz da sind, oder ob sie jemanden nicht doch eher einsperren. Ich gebe zu, auch ich ziehe mich gerne im Schutz von Mauern um und möchte hin und wieder Privatsphäre haben, aber ich will keine Mauern zwischen Ländern, zwischen Menschen, in Köpfen.

6 Bücher, total unterschiedlich – oder?

Mitnichten. Natürlich erzählen alle 6 Bücher unterschiedliche Geschichten, doch allen Büchern gemein ist der pessimistische Blick in die Zukunft. Auch wenn ich hier tatsächlich in meinen Rezensionen immer offen gefragt und gezweifelt habe und bei den Kommentaren immer mal nachgehakt habe, letztendlich sind alle Bücher Dystopien und zeigen eine negative Zukunft.

Dieser Blick in die Zukunft soll uns vor aktuellen Entwicklungen warnen. Es werden aktuelle Themen, Ereignisse, Erfindungen und Strömungen aufgegriffen und weitergesponnen. Die Frage ist: wie weit kann diese Entwicklung gehen, wie sehr kann es unsere Zukunft verändern und beeinflussen? Die Angst wohin wir uns bewegen, in welche Richtung wir driften scheint in der Neuzeit unumgänglich. Nichts umsonst ist dieses Thema ein noch relativ neues Phänomen in der Literatur, setzt zeitverzögert nach der Industrialisierung ein. Einer Zeit, in der sich alles immer schneller verändert hat. Diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahren immer weiter verstärkt – die Welt dreht sich immer schneller und wir haben kaum Zeit Luft zu holen. Umso größer wird die Angst, in den immer schneller werdenden Kreislauf eingesogen und dabei „zerquetscht“ zu werden.

Natürlich weiß keiner was die Zukunft bringt. Die Autoren bieten uns verschiedene Möglichkeiten, Szenarien, Perspektiven – ob diese jemals Wirklichkeit werden ist aber schlussendlich egal. Denn diese Geschichten sollen uns nachdenken lassen, uns skeptisch machen. Wir müssen hinterfragen und gegenlenken, wenn wir dieses zukünftige Szenario nicht haben wollen. Es ist ein Weckruf, ein Warnschild.

Ich denke, eine klare Unterscheidung kann man nur zwischen Dystopie und Endzeit machen. Ich würde den Endzeitroman als Unterkategorie zur Dystopie betrachten. „Die Straße“ ist tatsächlich sehr anders aufgebaut als die anderen Dystopien und fokussiert auch auf ein ganz anderes Thema. Und, so schrecklich schön es sich liest, es ist ein positives Thema. Was kann es Schöneres geben als die Liebe zwischen zwei Menschen? Und die Liebe ist im Falle von „Die Straße“ nicht abgeschmackt und schnulzig, sondern einfach und elementar.

Natürlich fallen auch Unterschiede auf, die schlicht und einfach dadurch bedingt sind, wann die Dystopien geschrieben wurden. Hierzu aber mehr unter „Veränderung im Laufe der Zeit“.

D-503, Alex, der Schneemensch, der Vater, Mae und Sarat

Ich kann jetzt nicht unbedingt sagen, dass ich Mae aus „Der Circle“ mochte. Dieses naive kleine Ding hat mich zur Verzweiflung getrieben. Sie war so begeistert davon ihre Freiheit und Individualität aufzugeben, dass es im wahrsten Sinne des Wortes unglaublich war. Und auch wenn ich nun Alex aus „Clockwork Orange“ auch keine Sympathie entgegen gebracht habe, sieht man bei ihm immerhin eine Entwicklung, jemanden der sich hin und wieder Gedanken macht. Am Anfang nur wenige, doch seine Erfahrungen formen ihn.

Als den klassischen dystopischen Protagonisten würde ich tatsächlich D-503 aus „Wir“ beschreiben. Er ist in das herrschende System nicht nur integriert, sondern lebt dieses System. Liebt und lebt es. Doch ein Bruch im Gefüge – in seinem Fall die Bekanntschaft zu I – lässt ihn nach und nach zweifeln. Sehr klassisch – und im Übrigen auch durchaus sehr realistisch – ist dann die erzwungene Wiedereingliederung in das System. Somit schließt sich der Kreis des Dystopischen wunderbar. Es ist pessimistisch – und es bleibt pessimistisch. Eine Dystopie mit einem Happy End zu verbinden, ist in meinen Augen nur selten wirklich gelungen, da es unpassend ist und die vorher getroffenen Aussagen zunichte macht.

Jimmy aka der Schneemensch aus „Oryx und Crake“ zeichnet sich durch eine kindliche bzw. jugendliche Sicht aus, bedingt durch die Rückblicke, doch der aktuelle Jimmy ist an der Grenze zum Verrücktwerden. Tatsächlich ist er auch gefangen im System, wenn auch nicht durch eine übergeordnete Hierarchie, sondern einfach nur durch die Situation. Fast alleine auf der Welt, ohne Chance auf Besserung. Ah, na ja, vielleicht bieten ja Teil 2 und 3 hier einen Ausweg, doch Teil 1 zeigt hier zumindest keinen Lichtblick für den armen Kerl.

Ähnlich ist es für den Vater aus „Die Straße“. Nichtsdestotrotz ist dieser sehr bewunderswert. In einer Welt ohne jegliche Hoffnung und Zukunft ist er mehr als positiv. Er will und muss seinen Sohn motivieren, erziehen, ausbilden. Er möchte, dass sein Junge überlebt. Doch wofür? Eine schwere Frage, denn auch hier scheint es keine Hoffnung zu geben. Doch sein Überlebenswille und sein fester Glaube in eine Zukunft für seinen Sohn strahlen so hell, dass die düstere, verwüstete Welt in „Die Straße“ hin und wieder fast vergessen scheint.

Ach, Sarat. Das Mädchen aus „American War“ war tatsächlich eine sehr beeindruckende Figur. Vielleicht gerade deshalb, weil man ihr von Kindesbeinen an folgt und miterlebt, wie sie erwachsen wird, wie sie fliehen muss, wie sie von Gaines indoktriniert wird, wie sie für die Südstaaten kämpft, wie sie desillusioniert, wie sie verzweifelt und wie sie trotzdem ihrem vorgegebenen Weg folgt. Sarat ist nicht dumm, keineswegs. Doch sie folgt ihrer Bestimmung, ihrem Weg. Bis zum bitteren Ende. Sie erlaubt sich keine Weichheiten, keine Zärtlichkeiten, kein Aufgeben.

Veränderung im Laufe der Zeit

Die Welt ändert sich, keine Frage. Täglich, stündlich, minütlich. Wie kann man also 100 Jahre vorhersehen und auch nur ansatzweise sagen, was sich ändert? Das funktioniert nur, wenn man auf die großen Themen blickt und die kleinen Themen, die Kleinigkeiten und auch unwahrscheinlich vieles auslässt. Es ist unumgänglich, dass ein Blick in die Zukunft vor hundert Jahren anders aussieht als heute. Und das nicht nur aufgrund technischer Entwicklungen.

Natürlich darf man diese nicht vergessen – vor allem nicht, da „Der Circle“ sich quasi um nichts anderes dreht. Der Dreh- und Angelpunkt sind hier die sozialen Medien. Und ja, es gibt Autoren vor vielen Jahren, die ähnliches vorausgesehen haben. Nichtsdestotrotz lässt es sich Jewgeni Samjatin nicht negativ anrechnen, dass er diese eine Entwicklung nicht vorhergesehen hat – immerhin hat er den ersten Raketenstart vorhergesehen. Das ist doch auch schon was?

Aber hauptsächlich sind es wohl gesellschaftliche Änderungen, die einfließen und natürlich haben diese sich im Laufe der Zeit verändert. Doch tatsächlich durchgehend ist immer wieder die Angst vor der totalen Kontrolle, einem Totalitarismus, einer allmächtigen Diktatur, vorhanden. Das liegt natürlich an den politischen und gesellschaftlichenEntwicklungen des 20. Jahrhunderts. Diese haben sich zu Jewgeni Samjatins Zeit schon angekündigt und die tatsächlichen Ereignisse waren so eindrücklich, dass diese noch bis heute nachwirken. Ein Dauerbrenner sozusagen.
Und alleine schon diese Tatsache ist erschreckend.

Warum hat der Autor ausgerechnet dieses Buch geschrieben?

Wachrütteln, aufwecken, hinweisen. Informieren, überzeichnen, Grenzen überschreiten. Das fürchten lehren. Schrecken verbreiten.

Das möchten die Autoren. Alle Autoren haben sich aktuelle Entwicklungen für ihre Geschichten hergenommen, über die sie besorgt sind. Sie wollen die Leser darauf aufmerksam machen und deren zukünftige Entscheidungen und Handlungen beeinflussen. Man soll dazu angeregt werden, nachzudenken. Nicht jeden Komfort zu nutzen, sondern auch mal über Folgen und Konsequenzen nachdenken. Natürlich ist nicht jeder Mensch dazu in der Lage das große Ganze zu überblicken, auch Autoren nicht. Doch alle meine sechs gelesenen Dystopien sind gut recherchierte, nachdenkliche, teils philosophische Werke, die eine gute Grundlage bilden. Weiterführende Fachliteratur ist natürlich auch verfügbar – doch als spannende Geschichte verpackt nehmen wir ernste Themen doch einfach ein wenig lieber zu uns als nüchtern und aufs Wesentliche konzentriert. Zumindest trifft diese Aussage auf mich zu.

Und natürlich darf man nicht vergessen: Dystopien sind Unterhaltungsliteratur. Bei aller Information und Aufklärungsarbeit, welche die Autoren beabsichtigen, darf man natürlich nicht vergessen zu erwähnen, dass die Bücher unterhalten sollen, spannend sind, erzählerisch etwas leisten.

Und wie haben mir die Bücher nun persönlich gefallen?

Ich denke, schon in den Rezensionen ist hier eine deutliche Tendenz sichtbar geworden. Ganz klar ist, dass „Der Circle“ mich nicht überzeugen konnte. Der Hauptgrund dafür ist Mae, da sie mit offenen Augen in ihr Verderben rennt und es fast schon weh tut, ihr dabei zuzusehen.

Danach würde ich wohl „Clockwork Orange“ einordnen. Es war jetzt nicht schlecht, aber zumindest schwierig zu lesen. Die NADSAT Sprache hat mich anfangs viel ins Glossar blättern lassen und so war die Lektüre am Beginn sehr unrund. Klassiker hin oder her. Ich denke, es gibt hier nur zwei Fraktionen: entweder man mag es – oder eben nicht.

Auf Platz 4 kommt dann wohl „Wir“. Dieses war zwar thematisch höchst interessant, doch gerade im Mittelteil schweift D-503 gedanklich oft ab, träumt viel und leider zieht sich hier der Text doch ein wenig. Nichtsdestotrotz ein Klassiker, den man mal gelesen haben sollte. Besonders beeindruckend an dem Buch ist, dass es fast schon 100 Jahre alt ist und nichts an Aktualität eingebüßt hat.

Jetzt wird es schwierig, denn die anderen drei Bücher haben mir tatsächlich alle sehr gut gefallen. Nichtsdestotrotz kommt jetzt wohl „Oryx und Crake“. Einfach aus dem Grund, da ich das Buch schon mal angefangen hatte und abgebrochen habe. Ich bin schwer in die Geschichte reingekommen – für mich eingefleischten Krimifan war die Story einfach zu abgedreht. Anfangs zumindest. Das hat sich dann natürlich geändert – und ich kann es kaum erwarten, die nächsten zwei Teile zu lesen.

Jetzt wird es spannend, was? Wer ist auf Platz 1, wer auf Platz 2? Die Entscheidung war knapp, aber hier kommt nun zuerst „Die Straße“. Ein wirklich ausgezeichnetes, beeindruckendes Buch. Warum dann nur Platz zwei? Nun ja, zum einen, weil es irgendwie mehr Endzeit ist und zum anderen, weil ich immer noch „Der aufrechte Mann“ von Davide Longo im Kopf habe und dieses ein klein wenig besser fand. Ich kann einfach den Elefanten nicht vergessen.

Auf Nummer eins landet bei mir „American War“. Dieses Buch hat für mich alles, was eine Dystopie ausmacht und zwar in Hochform. Am meisten beeindruckt hat mich – neben Sarat – die Tatsache, dass dieses Buch mir mehr über heutige Entwicklungen beigebracht hat, als jede andere Dystopie. Es hat mir Einblick verschafft, wie unterschwellig, gefährlich und unheimlich Terrorismus funktioniert. Und das durch die Hintertür, aber dann mit dem Knüppel. Ein Buch, welches mir lange, lange in Erinnerung bleiben wird.

 

Das Blogspezial endet nun mit diesem Fazit. Ich habe die Romane alle sehr, sehr gerne gelesen und hatte damit viel Lesefreude. Ich gebe aber auch zu, dass ich mich jetzt wieder auf einen Krimi freue.


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Terror, reloaded: American War – Omar El Akkad

Wie fängt man die Rezension zu einem Buch an, bei dem man sich schon beim Lesen gefragt hat, wie man das jemals seinen Lesern in nur wenigen Worten erklären, darstellen, anbieten soll? Wie kann man aufzeigen, welche Macht und welche Kraft dieses Buch inne hat? Zumal man unbedingt über das Buch reden möchte, aber es doch so viel gibt, was man nicht erwähnen darf – oder?
Die Darstellung einer pessimistischen, düsteren Zukunft  ist dem Autor nicht nur hervorragend gelungen, sondern er baut auch ganz nebenbei Handlungen, Gefühle, Entscheidungen ein, die im Hier und Jetzt genauso hätten getroffen werden können. Und man wünscht sich, dieses Buch einigen Menschen zukommen zu lassen. Damit sie lesen, lernen, daraus ihre Schlüsse ziehen. Und sich ändern.

Die Zukunft
Die USA im Jahre 2075 ist der Startpunkt der Geschichte, die sich über 20 Jahre und 4 Etappen verteilt, und um die zu Anfang noch sechsjährige Sara T. Chestnut, genannt Sarat, dreht. Diese lebt mit ihrer Familie am Ufer des Mississippimeeres, denn die Meere haben schon längst die Küstenstriche verschluckt, das Land ist heiß und trocken, kaum etwas wächst. Die USA ist nur noch eine ehemalige Weltmacht, hier schicken die Chinesen und das Bouazizi-Reich – ein Zusammenschluss ehemaliger Nordafrikastaaten – die Hilfspakete in die USA. Die Südstaaten – das MAG (Mississippi, Alabama, Georgia) – bestehen auf den Gebrauch von den letzten Ölreserven und spalten sich ab, als der Präsident ein Gesetz verabschiedet, welches den Gebrauch verbietet und alternative Quellen bevorzugt. Der Präsident wird ermordet, South Carolina als Quarantänegebiet nach einer Seuche abgeschottet, die USA zerfällt – unweigerlich folgt ein Bürgerkrieg, Nord gegen Süd. Technisch nicht mehr auf dem höchsten Stand, aber immerhin mit Vögeln, die Bomben abwerfen und biologischen Kampfstoffen.

Der Anfang
Sarat ist ein kleiner Wildfang, gesegnet mit einer hübschen, mädchenhaften Zwillingsschwester. Derweil Sarat durch die Gegend streift und alles untersucht, was die Welt zu bieten hat, pflegt Dana, ihre Schwester, sich und ihr Aussehen. Doch auch wenn das nach glücklicher Kindheit klingt, sind die Mädchen, gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Bruder, bald gezwungen zu fliehen, nachdem ihr Vater einem terroristischen Anschlag zum Opfer fiel. Sie landen in Camp Patience, an der Grenze zu den Nordstaaten. Hier trifft sie Albert Gaines, der nicht nur Süßigkeiten und Geld ins Flüchtlingslager bringt, sondern auch Geschichten, Wahrheiten und Lügen.

„Der Grund dafür, dass ich mich für den Süden entschieden habe, war der: Wenn ein Südstaatler dir erzählt, wofür er kämpft – ob Tradition, Stolz oder schiere Starrköpfigkeit -, dann kannst du ihm zustimmen oder kannst ablehnen, aber du kannst niemals sagen, dass er dich belügt. Wenn ein Nordstaatler dir sagt, wofür er kämpft, dann bekommst du Worte wie Demokratie oder Freiheit oder Gleichheit zu hören, Wote, von denen sie ebensogut wie du wissen, dass ihre Bedeutung von Tag zu Tag neu bestimmt wird, dass sie veränderlich sind wie das Wetter. Davon hatte ich die Nase voll. Wenn man zur Waffe greift, wenn man für etwas kämpft, dann soll man dazu stehen, man soll niemals seine Einstellung ändern. Ob recht oder falsch, man steht für seine Sache ein, und nie, niemals verrät man sie.“ (S. 189, Gaines)

Das Mädchen
Sarat wächst heran, wird ein Teenager, eine junge Frau. Unbeugsam, hart, mit Zielen und einer Meinung. Sie watet durch einen Fluss aus Scheiße, kümmert sich um eine Schildkröte, räubert durch die Böschung um das Lager. Sie kümmert sich um ihre Familie, besonders um ihre Schwester, so unterschiedlich die beiden sind. Müsste ich Sarat beschreiben, würde mir nur ein Wort einfallen: beeindruckend. Dieses kleine neugierige Mädchen, das zu einer gestandenen Frau heranwächst, ein Soldat für den Süden, eine Kämpferin für die Freiheit, eine Zierde für Albert Gaines Karriere.

Der gute Hirte
Beängstigend, fast schon zu realistisch, stellt sich dieser Blick in die Zukunft dar. Das Flüchtlingslager könnte genauso, nur eben vielleicht nicht in den USA, im Hier und Jetzt existieren. Die Parallelen sind mit den Händen greifbar: Der Gedanke von einem vorübergehenden Aufenthaltsort, den man nach Jahren noch bewohnt, dieses ewig Heimatlose, zusammengepfercht mit Hunderten, Tausenden von anderen Menschen. Die erwarteten Hilfspakete, die Langeweile und Nutzlosigkeit, die verlorenen Angehörigen, eine schier unerträgliche Situation.
Würden wir da nicht auch eine Albert Gaines ersehnen? Einen Mann, der so anders scheint als die anderen. Nicht hoffnungslos, doch bestimmt und überzeugt. Der das Lager mit essentiellen Dingen versorgt, aber eigene Ziele verfolgt. Eine Atmosphäre, die sich bildet, gesättigt von Hass, Zorn, Wut, Hilflosigkeit. Und mitten darin ein Mädchen, nun schon ein Teenager, welches nach einer Richtung, einer Wahrheit lechzt, eine Ausbildung bekommt.

„Für Sarat Chestnut war die Rechnung ganz einfach: Der Feind hatte ihren Leuten etwas angetan, und dafür würde sie nun dem Feind etwas antun. Anders ging es nicht, das wusste sie. Vergossenes Blut bleibt vergossen.“ (S. 269)

Die Ausbildung
Eine simple Rachegeschichte? Wohl kaum. Die Geschichte bereitet mir eine Gänsehaut, denn sie kann problemlos in unsere heutige Zeit transferiert werden. Ein Horrorszenario. Ausbildung, Indoktrination, Honigfallen – für den Kampf, für den Süden.
Dazwischen ein junges Mädchen, ein Tomboy, welches sich durchsetzt, seine Meinung vertritt, aber doch so sehr nach einer Vaterfigur schreit, nach Unterweisung, nach Wahrheit und einer Richtung. Jede Station in Sarats Leben treibt sie in diese Richtung: der frühe Verlust des Vaters, der Verlust der Heimat, die Flucht, das Flüchtlingscamp, die Jahre ohne Ziel und Heimat, der freundliche, wissende Gaines, die Vernichtung des Camps, die Rebellen…. Ein Weg, der vorbestimmt scheint und unaufhaltsam auf sein Ende zustrebt.

Zurück ins Heute
Dieses Buch habe ich als erstes für das Spezial gelesen und nun kommt es zufälligerweise erst am Ende zu Wort. Genauso lange hat aber auch die Geschichte in mir rumort. Es ist ein großartiger Roman, ein pessimistischer, aber realistischer Blick in die Zukunft. Und doch ist es so aktuell wie nur möglich. Die Welt in der wir leben, die Strukturen, in denen wir leben, geben Menschen wie Gaines das Handwerkszeug in die Hand, um junge Menschen zu beeinflussen, zu manipulieren, zu indoktrinieren. Religiöse oder kulturelle Gründe sind hier nur vorgeschoben – das Szenario lässt sich problemlos übertragen. Diese Aktualität in einer Geschichte, die in der Zukunft spielt, lässt einen schlucken. Das Buch hat mir mehr über heute erzählt und beigebracht, als ich es in einem zukünftigen Szenario je vermutet hätte.

Fazit:
Mit Sarat ist dem Autor eine der beeindruckendsten Charakterentwicklungen gelungen, die ich je gelesen habe. Beeindruckend, aber auch beängstigend. So wie auch sein Blick in die Zukunft, der sich an Aktualität nicht überbieten lässt. Ein außergewöhnliches Buch, ein kraftvolles Werk, ein kleines Meisterstück.

 


Weitere Meinungen:
Sabine Ibing auf ihrem Blog: „Eine Dystopie, die in der nahen Zukunft spielt, aber beim Lesen das Gefühl vermittelt, das alles hat mit unserem heutigen Leben zu tun, mit dem, was derzeit passiert, nur umgekehrt, und genau darum ging mir die Geschichte sehr nah.
Petra von Papier- und Tintenwelten: „Allein schon die Buchidee und das Setting in einem Amerika der Zukunft fand ich grandios und sie vermittelten mir ein Dystopie – Gefühl.“
Vanessa von Vanessas Bücherecke: „Ein Roman, der deutlich zum Nachdenken anregt.“
Samuel von Literatur denken: „Im besten Fall aber reiben wir uns in einigen Jahren die Augen, verwundert, wie wir und unsere nimmersatten kriselnden Hirne diesem Buch auf den Leim gehen konnten.“
Claudia von Claudias Bücherregal: „Es ist eine Mahnung an uns Menschen, dass unsere Handlungen die Zukunft entscheidend prägen werden und wir daher sorgfältig damit umgehen müssen.“


Bibliographie:
Omar El Akkad – American War
Verlag: S. Fischer
Übersetzung: Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié
442 Seiten
ISBN: 978-3103973198


 


Ein Kommentar

Reblogged: Juli Zeh – Corpus Delicti. Ein Prozess — WortGestalt-BuchBlog

Das Ende naht – heute gibt es die vorletzte Rezension im gemeinsamen Blogspezial Dystopische Literatur. Philly von Wortgestalt-Buchblog hat sich Juli Zehs „Corpus Delicti“ angesehen und ist davon begeistert. Ich habe das Buch schon letztes Jahr gelesen und fand es ganz gut, kann aber Phillys totale Begeisterung voll und ganz nachvollziehen.

 

»Corpus Delicti« von Juli Zeh ist eigentlich ein Roman, über den ich reden und nicht schreiben möchte. Weil er eine ganze Ecke philosophischer Denkanstöße mit sich bringt. Und über philosophische Themen muss man reden. Da braucht man einen Dialog, keinen Monolog, auch wenn der Anschein ein anderer ist, bedenkt man all die philospohischen Schriften. Aber […]

über Juli Zeh – Corpus Delicti. Ein Prozess — WortGestalt-BuchBlog


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Die Quadratur des Kreises: Der Circle – Dave Eggers

Alt, älter, ich?
Ich glaub, ich bin alt. Zwar zähle ich immerhin erst 36 Jahre, aber trotzdem komme ich mir nun steinalt vor. Zugegeben – soziale Medien liegen mir nicht so. Ich bin bei Facebook zu finden, privat und auch mit meinem Blog, aber Twitter, Instagram und Co. sind nicht meins. Auch in meiner Firma gibt es interne soziale Medien – und ja, die find ich genauso, na, ich will nicht sagen nutzlos, aber definitiv überbewertet. Hin und wieder beschleicht mich das Gefühl, dass ich tatsächlich etwas verpasse, wenn ich nicht mindestens täglich einmal durch die Facebook-Meldungen scrolle, aber tatsächlich ist es so: das Leben geht einfach trotzdem weiter. Wer hätte das gedacht….

DER Kreis
Weitergedacht hat das Schriftsteller Dave Eggers mit seinem Roman „The Circle“ (im Übrigen finde ich die deutsch-englische Mischung im Titel, die auch konsequent im Roman durchgezogen wird, ziemlich albern, weder Fisch noch Fleisch, ich mach das jetzt mal konsequent anders). The Circle vereinigt bzw. löst nicht nur alle diese genannten sozialen Medien ab, sondern denkt diese konsequent weiter. The Circle ist nicht nur DAS angesagteste Unternehmen weltweit, sondern bietet für seine Mitarbeiter jeglichen Komfort: von alle möglichen Feiern und Vorträgen Prominenter und Berühmter, über jegliche Sport- und Freizeitmöglichkeiten bis hin zu Vereinsaktivitäten, Supermärkten, Testimonials, Wohnheimzimmer, und und und. Gewünscht ist nicht nur Teilnahme an allen möglichen Aktivitäten, sondern eben auch darüber zu „zingen“, also ein Foto und/oder einen Kommentar dazu zu posten, zu liken, kommentieren, teilen. The Circle ist höchst produktiv und innovativ, ständig werden Projekte ausgetüftelt und durchgeführt – alles zu einem Ziel und Zweck: so viele Informationen wie möglich allen zur Verfügung zu stellen. Egal was es kostet. Und damit meine ich nicht etwa Geld. Das scheint im Überfluss vorhanden zu sein.

Mae ist nicht unterzukriegen
Mae, die Progagonistin des Romans, ist Anfang zwanzig und steckt in einem festgefahrenen, altbackenen Job fest, als sie durch ihre frühere Collegefreundin eine Jobchance bei The Circle bekommt.  Mae ist begeistert. Von allem, was The Circle zu bieten hat, von allen Aufgaben, die sie erledigen muss, von jeglichem neuen Projekt. Klaglos lässt sie sich immer mehr aufladen, lächerliche Dinge, wie z. B. ein „Survey“ (bei uns hier auch einfach Meinungsumfrage genannt), bei dem sie ein Headset trägt, in das sie die Antworten zu 500 oder mehr Fragen pro Tag einflüstert. Neben ihrem normalen Job. Und der Aufgabe ihr internes Ranking zu verbessern – was nur dadurch gelingt im Inner und Outer Circle zu posten, zu kommentieren, zu liken. Hundertfach, tausendfach – täglich. Und hab ich schon von dem Kollegen erzählt, der beleidigt war, weil sie nicht zu seiner Portugal-Party gekommen ist? Schließlich war sie doch vor 5 Jahren mal in Portugal und er hatte ihr doch extra drei Nachrichten „gezingt“ – da hätte sie doch auf jeden Fall kommen müssen, oder?

Total abstrus
Die Ausmaße, welche die sozialen Medien in diesem Buch erreichen sind unerträglich. Oder ich bin einfach zu alt dazu. Jugendliche wachsen ja schon damit auf, vielleicht können diese sich mehr daran gewöhnen, aber auch bei Mae geht dieser permanente Druck, dieses ständige Gefühl, das etwas verpasst wurde und man online sein muss, nicht mehr weg, sie schläft schlecht. Dieser Dauerstress kann für kein menschliches Wesen dauerhaft auszuhalten sein – also kein Wunder, dass die Belegschaft von The Circle kaum über 35 Jahre ist. Abgesehen natürlich von den 3 Weisen, welche die Firma leiten. Na ja, auch da sind nicht alle über 35. Aber sei’s drum. Die Firma frisst Menschen – man muss sich permanent gut fühlen, teilnehmen, andere teilhaben lassen und alles öffentlich machen. Privatleben ade. Privatsphäre ade.

Gläsern
Dies geht im Roman soweit, dass Maes Lover sie heimlich beim Sex filmt und auch das darf der Öffentlichkeit natürlich nicht vorenthalten werden – ab in die The Circle Cloud. Eine Ahnenforschung treibt eine Mitarbeiterin in den Wahnsinn, denn woher hätte sie wissen sollen, dass alle Vorfahren Sklavenhalter waren? Mae selbst wird dazu zwangsrekrutiert (wobei Mae es natürlich toll findet), ständig eine kleine Kamera zu tragen, die alles überträgt, was sie sieht und hört. Jeder kann zusehen, Kommentare abgeben, liken, etc. Rund um die Uhr. Mae wird zum Spiegel nach außen und findet kein Ende. Einwände von ihrem früheren Freund oder auch ihren Eltern tut sie ab, später ignoriert sie sie nicht nur, sondern zwingt ihren früheren Freund sogar in die Öffentlichkeit. Mit tragischem Ausgang.

Der Masterplan
Der Plan von The Circle ist natürlich die totale Kontrolle über Informationen. Nichts soll privat bleiben, nichts soll geheim sein. Alle Informationen sollen offen gelegt werden. Dies spitzt sich soweit zu, dass über einen Pflichtaccount für alle wahlpflichtigen Bürger gesprochen wird, damit die Wahlbeteiligung zu 100% erreicht werden kann. Na klar – und das alles liegt dann in der Hand von The Circle. Betrug gibt es da bestimmt nicht. Ach was. Warum sollten sie die Meinung beeinflussen? Schließlich sind sie die Meinung, nicht? Die Zukunftsaussicht in dieser Geschichte stellt also eine totale Kontrolle durch einen Konzern dar – mit ganz vielen freiwilligen Helfern wie Mae, die mich hin und wieder verdächtig an einen Lemming erinnert hat.

Totale Kontrolle
Ganz genau kann man nicht herausfinden, ob der Roman in der Zukunft spielt, vielleicht wenige Jahre, aber der Autor könnte die fiktive Handlung auch in unser Hier und Jetzt gelegt haben. Weit sind wir nicht davon entfernt. Die Auswirkungen von der wachsenden Macht, dem sich immer weiter ausdehnenden Einfluss von The Circle, kann sich hier keiner erwehren – Politiker sind gezwungen sich mit Kameras, wie die von Mae, auszustatten, denn sie sind ja gewählte Volksvertreter und haben bestimmt nichts zu verbergen, oder? Das Bild, welches der Autor malt ist bestimmt erschreckend, aber ob es denn tatsächlich mal so weit kommt, sehe ich noch nicht. Auch ein Herr Trump, der Twitter als sein zweites Zuhause bezeichnet, wird bestimmt nicht rund um die Uhr eine Kamera tragen, um transparent zu sein. Aber klar, das Szenario ist erschreckend. Die totale Informationsfreiheit, die man mit der totalen Aufgabe seiner Privatsphäre bezahlt. Keine Verbrechen mehr (außer eben die, die The Circle selbst begeht und gut verschleiern kann), absolute Transparenz, aber eben auf Kosten der Freiheit, Privatsphäre – und letztendlich vielleicht auch des Lebens. Mal ganz zu schweigen von Familie und Freunden, denn Freunde sind nun Millionen, zwar nicht anonym aber eigentlich doch fremd.

Mae, oh Mae
Total nervig fand ich Mae, das kleine Schäfchen, das zu allem Ja und Amen sagt. Von allem begeistert ist und keine Widerworte äußert, damit sie ja bei The Circle bleiben kann. Denn da ist ja alles so toll. Wohlwollende Freunde und ihre Eltern dringen nicht zu ihr durch, sind nicht mehr wichtig oder werden von ihr regelrecht verdrängt. Der Showdown kostet dann auch einen Freund das Leben. Ständig habe ich darauf gewartet, dass sie Erleuchtung findet, dass sie die Fehler, die sie macht, sieht, dass sie auf Freunde und Eltern hört, doch alles vergebens. Sogar der Widerstand, der sich ganz leise in The Circle bildet und sie tatsächlich um Hilfe bittet, kann nicht zu ihr durchdringen, nein, sie verrät ihn sogar. Sie ist ein naives Dummchen und hat verdient, was sie nun kriegt.

Pro und Contra
War es nun eine Dystopie? Wenn, dann war es eine, die am wenigsten dystopisch ist. Dennoch hebe ich mir mein finales Fazit noch für den Abschlussbeitrag auf, aber ich bin mir nicht sicher, ob „The Circle“ in unserem Special tatsächlich gut aufgehoben war. Das Thema ist natürlich spannend und auch beängstigend – die Auswirkungen einer totalen Informationskontrolle durch einen Konzern sind bedrückend und erschreckend, keine Frage, aber auch irgendwie so offensichtlich präsentiert, dass jegliche Spannung fehlt. Mehr Spannung hätte es allerdings gegeben, wenn die Hauptfigur nicht so fürchterlich naiv und begeistert gewesen wäre. Ich denke mir ja immer, wenn man nichts mehr anderes kennt, ist es schwer aus dem Kreis (!), aus der Gesellschaft auszubrechen und Widerstand zu leisten. Doch dies ist hier eben auch gar nicht der Fall. Mae hat mehrere Chancen um wieder auf den richtigen Weg abzubiegen, aber sie steuert stur daran vorbei. Und wegen dieser fürchterlich vielen Begeisterung war die Lektüre auch einfach noch ein wenig langweiliger und dröger.

Fazit:
Ein Buch, welches in aller Munde war, dem ich aber nicht sehr viel abgewinnen konnte. Klar ist die Vorstellung von einer totalen Kontrolle aller Informationen durch einen Konzern erschreckend, aber die langweilig-naive und von allem begeisterte Mae hat mich genervt. Wo ist der Widerstand? Viva la revolution!

 


Meinungen von anderen Blogs:
Lillis Buchseite meint: „„Der Circle“ konnte mich fesseln, mich bestürzen, mich ängstigen. Das Buch bietet viel Raum zum Nachdenken und regt zur Selbstreflexion an.“
Herr Larbig findet: „So ein schlechter Roman. […] Nein, Dave Eggers „Der Circle“ ist eine Zumutung.“
Libriabella hingegen: „Warum bin ich so begeistert, wenn die Story eigentlich furchtbar banal, relativ trocken und vielleicht sogar langweilig klingt?“
Und Sharonbakerliest meint: „Allerdings, so toll, wie das Thema ist, hat der Autor es aber wirklich sehr langatmig erzählt. “
Und hier noch eine Meinung von einem meiner Lieblingsblogs, dem Reisswolfblog: „Sämtliche möglichen Schwachpunkte in diesen Bereichen sind aber in diesem Fall vor allem eines: Sie sind mir vollkommen egal! Denn die durchaus vorhandenen Unzulänglichkeiten von „Der Circle“ verblassen deutlich gegen den größten Pluspunkt des Buches, gegen die Story.“
Und noch einer meiner Lieblingsblogs, den ich schändlicherweise übersehen habe – hier kommt also Kaisus Meinung von life4books: „Alles in allem war ich dennoch sehr positiv überrascht von dem Buch und empfehle es daher auf jeden Fall!  […] und schraubt bitte eure Erwartungen nach unten! Das ist kein moralisches Werk mit berstender Tiefgängikeit und perfekten Charakteren!“


Bibliographie:
Dave Eggers – Der Circle
Verlag: KiWi
Übersetzung: Ulrike Wasel / Klaus Timmermann
558 Seiten
ISBN: 978-3462048544


 


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Reblogged: Margaret Atwood – Der Report der Magd — WortGestalt-BuchBlog

Heute gibt es ein wirklich grandioses Buch bei unserem gemeinsamen Blogspezial zu Dystopischer Literatur. Philly von WortGestalt-Buchblog hat sich „Der Report der Magd“ von Margaret Atwood vorgenommen. Ein kleines Meisterwerk, doch Philly hat auch ein wenig Kritik zu bieten. Unbedingt reinschauen!

»Der Report der Magd« erzählt von einer Zukunft, in der ein totalitäres, religiös-fundamentalistisches Regime den Frauen sämtliche Rechte abgesprochen hat, in der atomare Verseuchung und Krankheiten zur Unfruchtbarkeit der Bevölkerung geführt haben und in der die noch fruchtbaren Frauen dazu verdammt sind zu gebären, für den Erhalt und den Aufbau der Republik Gilead.

über Margaret Atwood – Der Report der Magd — WortGestalt-BuchBlog


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Gewaltig: Die Straße – Cormac McCarthy

Ich glaube, es ist unvermeidlich. Die beiden Bücher „Die Straße“ von McCarthy aus dem Jahre 2006 und „Der aufrechte Mann“ von Longo von 2010 müssen unweigerlich einen Vergleich  nach sich ziehen. Natürlich sind die Bücher sich thematisch ähnlich doch auch der Rowohlt Verlag hat da mit seiner Covergestaltung nachgeholfen. Ich habe zuerst Longos Buch gelesen und jeder, mit dem ich darüber gesprochen habe, meinte, „Die Straße“ sei noch besser. Allerdings haben auch alle diese Leser die Bücher in der Reihenfolge gelesen – erst McCarthy, dann Longo. Ich hingegen hab ich mich zufälligerweise für die andere Reihenfolge entschieden. Ob das wohl der Grund ist, dass mir „Der aufrechte Mann“ noch einen Ticken besser gefallen hat?

Zerstört
Die Geschichte handelt von einem Mann und seinem Sohn. Beide ziehen durch ein zerstörtes Amerika Richtung Küste. Die Landschaft ist trist und grau, mit Asche bedeckt. Es fällt Schnee und Asche, es ist erbärmlich kalt. Alle Habseligkeiten haben sie einem Einkaufswagen dabei, außer den wichtigsten Sachen, die sie in einem Rucksack oder am Leib tragen. Der Mann trägt eine Pistole bei sich, mit noch zwei Kugeln, die übrig sind. Die Küste birgt eine diffuse Hoffnung: besseres Land, gute Menschen, saubere Luft. Doch es ist ungewiss, ob sich diese Hoffnung erfüllt. Oder ob sie dort überhaupt ankommen.

„Sie hungerten erbärmlich. Das Land war geplündert, kahl gefressen, verheert. Jeder Krume beraubt. Die Nächte waren entsetzlich kalt und sargschwarz, und die lange Spanne des Morgens hatte etwas fürchterlich Stilles. Wie die Dämmerung vor einer Schlacht. Die wächserne Haut des Jungen war fast durchscheinend. Mit seinen großen, starren Augen wirkte er wie ein außerirdisches Wesen.“ (S. 117)

Vater und Sohn
Das Land ist zerstört, warum das so ist, erfährt man nicht. So  manchen Leser mag das stören, doch das Buch reduziert sich einfach auf das Wichtigste. Die Vergangenheit ist nicht wichtig, es kommt nicht darauf aus, woher der Mann und der Junge kommen oder wohin sie gehen. Auch die Küste ist nur ein Wort, ein Hoffnungsschimmer, der allerdings nur sehr düster glimmt. Es ist ein postapokalyptisches Setting, ein Endzeitroman, doch die eigentliche Geschichte ist die des Mannes und des Jungen.

Literarisches Meisterwerk
Sprachlich leistet das Buch einiges, so fehlen dem Buch jegliche Kapitel, doch Absätze sind vorhanden. Es gibt viele Gespräche zwischen dem Mann und dem Jungen, doch diese sind – übereinstimmend mit dem Tenor des Buches – karg und kurz. Doch das vermindert nicht die  Eindrücklichkeit, es verdeutlicht nur noch die Intensivität des Buches. Denn das ist es – ein intensives, nachdrückliches Leseerlebnis. Ein Buch, über das man noch Tage nachdenkt, welches einen nicht loslässt.

„Es gibt noch andere Gute. Das hast du selbst gesagt.
Ja.
Und wo sind sie?
Sie verstecken sich.
Vor wem?
Voreinander.
Gibt es viele von ihnen?
Das wissen wir nicht.
Aber einige schon.
Einige. Ja.
Stimmt das?
Ja. Das stimmt.
Aber vielleicht stimmt es auch nicht.
Ich denke, es stimmt.
Okay.
Du glaubst mir nicht.
Doch, ich glaube dir.
Okay.
Ich glaube dir immer.
Das glaube ich nicht.
Doch, das tue ich. Das muss ich.“ (S. 164)

Die Hoffnung
Das Gute. Ist es verschwunden oder lässt es sich noch finden? Der Mann und der Junge scheinen die einzigen zu sein, die noch Werte und Moral aufrecht erhalten. Trotz aller schlechten Bedingungen, schwierigen Umstände und gefährlichen Begegnungen versucht der Mann seinem Sohn Werte mitzugeben, an das Gute im Menschen zu plädieren, ihn aber trotzdem vor den Gefahren zu beschützen und ihn auf ein Leben in dieser Welt vorzubereiten.. Der Zusammenhalt ist wichtig, die Familie, die Liebe zwischen Eltern und ihrem Kind. Doch das Gute scheint verschwunden, aus Verzweiflung, aus Hunger, aus Angst. So sind der Mann und der Junge selbst ein kleiner Hoffnungsschimmer in dieser düsteren, grauen Welt, die keine Zukunft zu haben scheint.

Zutiefst
Ein aufwühlendes, durchdringendes Leseerlebnis, welches der Autor dem Leser hier beschert. Verzweifelt und düster, aber auch erhaben und getragen. Die Vater-Sohn-Beziehung scheint in dieser zerstörten Welt die letze Bastion des Guten zu bilden und hinterlässt dadurch nachdrücklich eine Beklemmung. Eine düstere Geschichte, aber auch eine herzerweichende Geschichte, kein einfaches Buch, aber ein wichtiges Buch.
Und hätte ich eine Rezension zu „Der aufrechte Mann“ geschrieben, hätte diese so ähnlich gelautet. Bei mir sind beide Bücher so eindrücklich in Erinnerung, dass ich diese nur dringendst empfehlen kann. Seid gewarnt, die Lektüre ist nicht einfach, aber sehr, sehr lohnenswert.

Der Film
Die Verfilmung hält sich ziemlich getreu an das Buch, nur wenige Szenen wurden raus gekürzt. Dafür wurde viel Farbe weggelassen und der düsteren Stimmung Rechnung getragen, die wenigen Rückblicke wirken durch ihre Farbigkeit dann auch sehr gewaltig. Sie ist gut gelungen, die filmische Umsetzung und ergänzt die Lektüre. Tatsächlich konnte der Film vielfach widerspiegeln, was ich beim Lesen des Buches gefühlt habe, doch letztendlich war die Lektüre für mich noch intensiver. Nichtsdestotrotz ist die Verfilmung definitiv zu empfehlen.

 

Fazit:
Eine zerstörte Welt, in der diese innige Vater-Sohn-Beziehung glimmt wie der letzte Hoffnungsschimmer. Bildgewaltig, aufwühlend und emotional.

 


Andere Meinungen zum Buch:
Ralf von Der Lesemond: „Es hat mich fasziniert, mit wie wenig Farbe und wenigen Worten man so viel vermitteln kann.“
Petzi von Die Liebe zu den Büchern: „Ein berührendes und erschütterndes Buch, das den Leser nachdenklich und zum Teil auch traurig zurück lässt.“
Ma San von Ma San Blog: „Ein brillanter Endzeitroman von Amerikas größtem Pessimisten“
Nicole von Zeit für neue Genres: „Es ist eine düstere Geschichte, die mich wie ein Sog in ihren Bann gezogen hat. Emotional sehr berührend, beschäftigt sie mich im Nachhinein stark und nach dem Ende, konnte ich kaum einschlafen.“


Bibliographie:
Cormac McCarthy – Die Straße
Verlag: Rowohlt
Übersetzung: Nikolaus Stingl
253 Seiten
ISBN: 978-3499246005