
Ich lese zwar schon auch, na, ich nenn sie mal klassische Krimis, aber am liebsten mag ich doch die Krimis, die an den Grenzen kratzen, die über das Genre hinausschauen und etwas Besonderes liefern. So wie z. B. in Gudrun Lerchbaums Krimi “Wo Rauch ist”, der 2018 im Argument Verlag erschienen ist. Frau Lerchbaums neuster Roman ist nun zum einem im Haymon Verlag erschienen, der sich ja erst kürzlich neu aufgestellt hat, zum anderen eher kein Krimi, auch wenn wirklich viele Leute sterben. Aber – worum geht es?
Saisonales
Ja, ich gebe es zu, auch ich bin großer Fan von Bärlauch. Schmeckt einfach gut und ist eben etwas Besonderes allein schon dadurch, dass er nur zu einer bestimmten Zeit zu bekommen ist. Allerdings bin ich jetzt auch nicht so der Natur- und / oder Wandertyp – ich kauf den einfach. Wer aber nun zum Bärlauch sammeln in den Wald geht, sollte zukünftig sehr acht geben. Vor allem in Wien. Dort hat sich nämlich ein Pilz auf dem Bärlauch gemütlich gemacht und beschert den Sammlern zwar einen irren Glücksmoment, aber eben auch einen schnellen Tod. Das Viennese Weed ruft nun die verschiedensten Auswüchse menschlichen Verhaltens hervor.
Ein Wiedersehen
Man könnte es Figurenrecycling nennen – sehr nachhaltig, sozusagen also im Trend der Zeit – aber auch einfach einen klugen Schachzug der Autorin, die Hauptfiguren aus ihrem vorigen Krimi wieder auftreten zu lassen. Denn sowohl Olga Schattenberg als auch Christiane Bach, Kiki genannt, trifft man gerne wieder. Olga mittlerweile immer mehr von ihrer Multiplen Sklerose zur Handlungsunfähigkeit verdammt und auf Kikis Hilfe angewiesen, sieht in Viennese Weed einen Notfallplan und schickt Kiki in den Wald, um etwas von dem Bärlauch zu ergattern. Dort wiederum trifft Kiki auf Jasse, eigentlich Jasmin, eine Jugendliche mit einer Unmenge an Problemen. Aufmüpfig oder verloren – wohl er beides, wie das bei Teenagern ja oft der Fall ist. Diese Zufallsbekanntschaft vertieft sich durch eine ermordete Moderatorin und beginnt die kriminelle (Neben-)Handlung der Geschichte.
Krimi hin oder her
Doch auch wenn die Moderatorin vorsätzlich den Bärlauch aufgetischt bekommt, ist sie nicht die einzige die stirbt, denn der giftige Bärlauch lockt die unterschiedlichsten Typen aus ihren Löchern. Da sind natürlich diejenigen, die unabsichtlich sterben, da sie einfach Bärlauch genießen wollten und die tödliche Wirkung noch nicht bekannt war, aber schnell reihen sich Leute ein, die ihrem Leben oder dem Leben anderer ein Ende setzen wollen. Den Behörden fällt es mitunter schwer zu ermitteln, wer nun wer ist – freiwillig gestorben oder eben nicht – zumal sich die Todesfälle ja auch häufen und die Ressourcen der Polizei begrenzt sind. Auch der Versuch die Bärlauchpopulation zu dezimieren, will gelernt sein und gelingt nicht so gut.
Pandemie oder nicht Pandemie – das ist hier die Frage!
Fast ganz ohne die real herrschende Pandemie einzubeziehen, gelingt es der Autorin einige Gedanken dieser Zeit auf eine kleine, lokale Epidemie umzusetzen und sich mit vielen Fragen der Gesellschaft auseinander zu setzen, bzw. dem Leser hierhingehend Denkanstösse zu geben. Natürlich wird es immer Menschen geben, die denken, sie müssten andere umbringen und es wird wohl auch immer Menschen geben, die ihre Situation so auswegslos erachten, dass sie an Selbstmord denken – und natürlich gibt es auch immer welche, die daraus ein Geschäft machen. Doch was ist mit Menschen wie Olga, die einen Notfallplan möchten, wenn es ihnen noch schlechter geht oder Menschen, denen es eben schon sehr schlecht geht? Die schwer krank sind und leiden – ist ein selbstbestimmtes Sterben möglich?
Fazit
Ganz neben der Tatsache, dass ich sowohl Gudrun Lerchbaums süffigen Schreibstil mag und ihre Charaktere immer interessant und ungewöhnlich sind, ohne dabei abstrus zu sein, regt mich die Lektüre ihrer Bücher zum Nachdenken an. Ja, ich mag auch Bücher, die “nur” spannend sind, aber bevorzugt hab ich doch Bücher bzw. Krimis, die ein Thema transportieren, es aus verschiedenen Blickwinkel betrachten, aber keine festgelegten Meinungen präsentieren, sondern Denkanstösse geben. Wenn dies alles dann noch in einer guten Krimihandlung verpackt ist, dann hab ich doch alles, was mein Leseherz begehrt. Eine klare Leseempfehlung an all – und bitte weiter so, Frau Lerchbaum. Weitere Buchperlen aus ihren fähigen Fingern dürfen gerne folgen!