
Japanische Krimis sind irgendwie keine Pageturner, sondern eher ruhigere Krimis, die keine Spannungsspitzen aufweisen oder kontinuierlich auf höchstem Spannungsniveau operieren, dafür kontinuierlich ein gewisses, aber mehr unterschwelliges Level an Spannung halten und sich beharrlich und nagend im Kopf des Lesers vorarbeiten. Der Fokus von Natsuo Kirinos Krimi liegt demnach auch auf der Charakterzeichnung und der Spannung beim Zusehen der langsam zuschnappenden Falle, der Zuspitzung des Kriminalfalls.
Die Tat geschieht, wie so oft, unverhofft: Yayoi Yamamoto erwürgt ihren Ehemann, der sie schon lange schmäht und demütigt, erst letztlich auch körperlich angegriffen hat. Zur Beseitigung der Leiche bittet sie ihre Kollegin aus der Lunchpaketfabrik, Masako Katori, um Hilfe. Diese nimmt ihr die Leiche ab und holt wiederum die zwei Kolleginnen Yoshië Azuma und Kuniko Jonouchi ins Boot, die eine gewollt, die andere eher ungewollt. Natürlich ist aber mit der Beseitigung der Leiche die Geschichte nicht zu Ende und das Drama nimmt seinen Lauf.
Ganz klar ist Masako die Protagonistin des Buches, auch wenn alle vier Frauen und auch weitere Charaktere eigene Kapitel bekommen. Masako ist pragmatisch und durchdacht, fast schon kalt. Sie hält die Zügel in der Hand und unterweist auch Yayoi, deren einzige „Glanzleistung“ die Ermordung ihres Mannes Kenji zu sein scheint. Masako ist die einzige der vier, die keine Geldsorgen hat und den Job in der Lunchfabrik angenommen hat, da sie aus ihrem alten, vorigen Job in einer Bank herausgemobbt wurde. Sie lebt in einem Haus mit Mann und Sohn, doch eigentlich leben alle ein eigenes Leben, Familie kann man dies nun nicht bezeichnen. Der Mann hat sich schon lange zurückgezogen, der Sohn spricht nicht mehr. Masako macht sich Gedanken, aber nimmt es gelassen. Sie kann es nicht ändern und am ehesten scheint ihr eine eigene Veränderung möglich. Tatsächlich bietet ihr die Beseitigung von Kenjis Leiche eine Möglichkeit, ihr Leben zu verändern.
Yayois Leben ist einfach, aber erfüllend mit Mann und zwei Kindern, und verläuft geradlinig. Bis Kenji an den Bakkara-Tischen der Spielhöllen versumpft und sich in eine junge Dame eines Clubs verguckt hat und die gesamten Ersparnisse durchbringt. Yayoi ist schön, eine sanftmütige Frau, deren Schönheit gerne bewundert wird. Ihre Tat erschrickt sie erst, doch schon kurz danach – vermutlich auch, da sie an der dreckigen Beseitigung der Leiche nicht beteiligt war – fühlt sie sich befreit, von einer Last erlöst. Zwar meldet sie ihren Mann als vermisst, beantwortet besorgt Fragen, doch sie wirkt nicht wirklich traurig, was weder den Polizisten noch den Nachbarn verborgen bleibt und sie in den Fokus der Ermittlungen stellt, bis die Verbindung zu den Spielhöllen auftaucht. Die 50 Millionen aus der Lebensversicherung machen das auch nicht besser.
Yoshië ist der Charakter, welcher für mich am wenigsten Reiz ausübte. Sie ist pflichtbewusst und arbeitsam, jammert nicht, sondern erträgt. Sie hilft bei der Beseitigung der Leiche, ungern, aber der Bezahlung kann sie nicht widerstehen, ist ihr Leben doch ärmlich. Nach dem Tod ihres Mannes muss sie sich allein um ihre bettlägerige Schwiegermutter und ihre Tochter im Teenageralter kümmern, zudem lädt ihre ältere Tochter irgendwann ihren Enkel bei ihr ab. Nur in der Nachtschicht der Lunchpaketfabrik kann sie arbeiten und mit diesem Gehalt weiter ihren häuslichen Pflichten nachkommen und gerade alles so aufrecht erhalten.
Neben Masako ist Kuniko der spannendste Charakter. Man sieht es kommen, dass sie das Kartenhaus zusammenbrechen lässt. Kuniko hat viele Wünsche, aber kein Geld. Hoffnungslos bei Kredithaien verschuldet kann sie nur noch ihre Zinsen abstottern, aber schon gar nicht etwas zurückzahlen. Bekommt sie ein bisschen Geld in die Hände denkt sie auch gar nicht an Rückzahlung sondern wirft das Geld hemmungslos für Schnickschnack aus dem Fenster. Sie muss in der Lunchfabrik arbeiten, da sie woanders keine Stelle findet. Etwas dicklich und mit schlechtem Kleider- sowie Schminkstil gepaart mit ihrer Faulheit bleiben ihre wenigen Versuche, einen anderen Job zu finden, ergebnislos. Kein Wunder, dass es Masako gelingt, Kuniko zu zwingen und mit Geld zu überreden, bei der Leichenbeseitigung mitzumachen.
Mit dabei sind noch die Polizisten, ein Kollege, ein Kredithai und der Spielhöllenbesitzer, wobei die ersteren die geringste Rolle spielen, die drei anderen aber unbedingt nötig sind, um die Geschichte weiter zu treiben und die vier Frauen zum Äußersten zu reizen. Masako ist nicht nur diejenige im Fokus, sondern treibende Kraft und für mich der beeindruckendste, vielschichtigste Charakter. Ich vermute viele könnten Sie kalt und unberührt finden und so wird sie auch von den anderen Charakteren im Buch empfunden, doch als Leser sieht man mehr. Sie ist eine Frau, dich sich verschlossen hat, verschließen musste, die sich aber keine Schuldgefühle einreden lässt oder mit sich selbst hadert. Sie ist klar in ihren Vorstellungen, bedacht und klug, unerschrocken und pragmatisch. Doch auch sie hat Zweifel und Unsicherheiten – keiner, auch wenn er noch so nach außen erscheinen mag, ist in allem völlig sicher.
Wie anfangs schon angedeutet, handelt sich um einen bedächtigen Krimi, bei dem sich langsam und kontinuierlich die Schlinge um die vier Frauen enger zieht. Ich habe wirklich lange gebraucht, um das Buch zu lesen, wobei es mir jetzt nicht schwer gefallen ist oder langweilig war, aber es war doch hin und wieder ein wenig zäh. Der Fokus liegt klar auf den Charakteren und wie diese mit der Situation umgehen, trotzdem spielen die Ermittlungen eine Rolle und auch die Männer in der Geschichte wirken als Katalysatoren und fördern das Zuspitzen der Ereignisse. Zugegebenermaßen hat mich – warum auch immer – die Erwähnung der Lunchpaketfabrik im Klappentext besonders angesprochen, doch tatsächlich dient sie hauptsächlich als Arbeitsplatz, durch den die vier Frauen sich eben auch kennen gelernt haben.
Über das Ende der Geschichte bin ich noch unschlüssig, denn die Richtung, welche die Geschichte ab einem gewissen Zeitpunkt nimmt, hat mir nicht so sehr zugesagt, allerdings ist es eben dann auch konsequent, dass es zu diesem „Showdown“ kommt, so dass ich doch mit einem zufriedenen Gefühl das Buch zugeklappt habe. Der Sinn des Covers hingegen, auch wenn es sich erst auf den zweiten bzw. mit genauem Blick enthüllt, erschließt sich mir nicht und ich finde es auch unpassend.
Fazit:
Der Krimi schleicht sich bedächtig in den Kopf des Lesers und kann mit seinem Fokus auf die Charakterisierung punkten. Der Krimi löst keine Euphorie aus, aber das soll er auch gar nicht. Es ist eine Geschichte, die bedächtig voran schreitet, die sich festsetzt und leise nachhallt.

Natsuo Kirino – Die Umarmung des Todes
Verlag: Goldmann
Übersetzerin: Annelie Ortmanns
608 Seiten
ISBN: 978-3442458528