Die dunklen Felle

Krimis, Thriller und Science Fiction

Gewaltig: Die Straße – Cormac McCarthy

20 Kommentare

Ich glaube, es ist unvermeidlich. Die beiden Bücher „Die Straße“ von McCarthy aus dem Jahre 2006 und „Der aufrechte Mann“ von Longo von 2010 müssen unweigerlich einen Vergleich  nach sich ziehen. Natürlich sind die Bücher sich thematisch ähnlich doch auch der Rowohlt Verlag hat da mit seiner Covergestaltung nachgeholfen. Ich habe zuerst Longos Buch gelesen und jeder, mit dem ich darüber gesprochen habe, meinte, „Die Straße“ sei noch besser. Allerdings haben auch alle diese Leser die Bücher in der Reihenfolge gelesen – erst McCarthy, dann Longo. Ich hingegen hab ich mich zufälligerweise für die andere Reihenfolge entschieden. Ob das wohl der Grund ist, dass mir „Der aufrechte Mann“ noch einen Ticken besser gefallen hat?

Zerstört
Die Geschichte handelt von einem Mann und seinem Sohn. Beide ziehen durch ein zerstörtes Amerika Richtung Küste. Die Landschaft ist trist und grau, mit Asche bedeckt. Es fällt Schnee und Asche, es ist erbärmlich kalt. Alle Habseligkeiten haben sie einem Einkaufswagen dabei, außer den wichtigsten Sachen, die sie in einem Rucksack oder am Leib tragen. Der Mann trägt eine Pistole bei sich, mit noch zwei Kugeln, die übrig sind. Die Küste birgt eine diffuse Hoffnung: besseres Land, gute Menschen, saubere Luft. Doch es ist ungewiss, ob sich diese Hoffnung erfüllt. Oder ob sie dort überhaupt ankommen.

„Sie hungerten erbärmlich. Das Land war geplündert, kahl gefressen, verheert. Jeder Krume beraubt. Die Nächte waren entsetzlich kalt und sargschwarz, und die lange Spanne des Morgens hatte etwas fürchterlich Stilles. Wie die Dämmerung vor einer Schlacht. Die wächserne Haut des Jungen war fast durchscheinend. Mit seinen großen, starren Augen wirkte er wie ein außerirdisches Wesen.“ (S. 117)

Vater und Sohn
Das Land ist zerstört, warum das so ist, erfährt man nicht. So  manchen Leser mag das stören, doch das Buch reduziert sich einfach auf das Wichtigste. Die Vergangenheit ist nicht wichtig, es kommt nicht darauf aus, woher der Mann und der Junge kommen oder wohin sie gehen. Auch die Küste ist nur ein Wort, ein Hoffnungsschimmer, der allerdings nur sehr düster glimmt. Es ist ein postapokalyptisches Setting, ein Endzeitroman, doch die eigentliche Geschichte ist die des Mannes und des Jungen.

Literarisches Meisterwerk
Sprachlich leistet das Buch einiges, so fehlen dem Buch jegliche Kapitel, doch Absätze sind vorhanden. Es gibt viele Gespräche zwischen dem Mann und dem Jungen, doch diese sind – übereinstimmend mit dem Tenor des Buches – karg und kurz. Doch das vermindert nicht die  Eindrücklichkeit, es verdeutlicht nur noch die Intensivität des Buches. Denn das ist es – ein intensives, nachdrückliches Leseerlebnis. Ein Buch, über das man noch Tage nachdenkt, welches einen nicht loslässt.

„Es gibt noch andere Gute. Das hast du selbst gesagt.
Ja.
Und wo sind sie?
Sie verstecken sich.
Vor wem?
Voreinander.
Gibt es viele von ihnen?
Das wissen wir nicht.
Aber einige schon.
Einige. Ja.
Stimmt das?
Ja. Das stimmt.
Aber vielleicht stimmt es auch nicht.
Ich denke, es stimmt.
Okay.
Du glaubst mir nicht.
Doch, ich glaube dir.
Okay.
Ich glaube dir immer.
Das glaube ich nicht.
Doch, das tue ich. Das muss ich.“ (S. 164)

Die Hoffnung
Das Gute. Ist es verschwunden oder lässt es sich noch finden? Der Mann und der Junge scheinen die einzigen zu sein, die noch Werte und Moral aufrecht erhalten. Trotz aller schlechten Bedingungen, schwierigen Umstände und gefährlichen Begegnungen versucht der Mann seinem Sohn Werte mitzugeben, an das Gute im Menschen zu plädieren, ihn aber trotzdem vor den Gefahren zu beschützen und ihn auf ein Leben in dieser Welt vorzubereiten.. Der Zusammenhalt ist wichtig, die Familie, die Liebe zwischen Eltern und ihrem Kind. Doch das Gute scheint verschwunden, aus Verzweiflung, aus Hunger, aus Angst. So sind der Mann und der Junge selbst ein kleiner Hoffnungsschimmer in dieser düsteren, grauen Welt, die keine Zukunft zu haben scheint.

Zutiefst
Ein aufwühlendes, durchdringendes Leseerlebnis, welches der Autor dem Leser hier beschert. Verzweifelt und düster, aber auch erhaben und getragen. Die Vater-Sohn-Beziehung scheint in dieser zerstörten Welt die letze Bastion des Guten zu bilden und hinterlässt dadurch nachdrücklich eine Beklemmung. Eine düstere Geschichte, aber auch eine herzerweichende Geschichte, kein einfaches Buch, aber ein wichtiges Buch.
Und hätte ich eine Rezension zu „Der aufrechte Mann“ geschrieben, hätte diese so ähnlich gelautet. Bei mir sind beide Bücher so eindrücklich in Erinnerung, dass ich diese nur dringendst empfehlen kann. Seid gewarnt, die Lektüre ist nicht einfach, aber sehr, sehr lohnenswert.

Der Film
Die Verfilmung hält sich ziemlich getreu an das Buch, nur wenige Szenen wurden raus gekürzt. Dafür wurde viel Farbe weggelassen und der düsteren Stimmung Rechnung getragen, die wenigen Rückblicke wirken durch ihre Farbigkeit dann auch sehr gewaltig. Sie ist gut gelungen, die filmische Umsetzung und ergänzt die Lektüre. Tatsächlich konnte der Film vielfach widerspiegeln, was ich beim Lesen des Buches gefühlt habe, doch letztendlich war die Lektüre für mich noch intensiver. Nichtsdestotrotz ist die Verfilmung definitiv zu empfehlen.

 

Fazit:
Eine zerstörte Welt, in der diese innige Vater-Sohn-Beziehung glimmt wie der letzte Hoffnungsschimmer. Bildgewaltig, aufwühlend und emotional.

 


Andere Meinungen zum Buch:
Ralf von Der Lesemond: „Es hat mich fasziniert, mit wie wenig Farbe und wenigen Worten man so viel vermitteln kann.“
Petzi von Die Liebe zu den Büchern: „Ein berührendes und erschütterndes Buch, das den Leser nachdenklich und zum Teil auch traurig zurück lässt.“
Ma San von Ma San Blog: „Ein brillanter Endzeitroman von Amerikas größtem Pessimisten“
Nicole von Zeit für neue Genres: „Es ist eine düstere Geschichte, die mich wie ein Sog in ihren Bann gezogen hat. Emotional sehr berührend, beschäftigt sie mich im Nachhinein stark und nach dem Ende, konnte ich kaum einschlafen.“


Bibliographie:
Cormac McCarthy – Die Straße
Verlag: Rowohlt
Übersetzung: Nikolaus Stingl
253 Seiten
ISBN: 978-3499246005


20 Kommentare zu “Gewaltig: Die Straße – Cormac McCarthy

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  4. Ich liebe die Straße. Und die Bücher von Cormac McCarthy sowieso (wenn du mal etwas so richtig total verstörendes lesen möchtest, dann unbedingt „Ein Kind Gottes“ – aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt;-)). Freue mich, dass dir die Straße auch so gut gefallen hat!

    Den Film dazu habe ich nicht gesehen. Sollte ich wohl nachholen.

  5. Das ist schon so lange auf meiner Wunschliste. Ich habe zuerst mal nur „No Country for old men“ von McCarthy gelesen. Aber die Geschichte reizt mich auf jeden Fall.

  6. Ich habe das Buch gerade hier und deswegen nur das Fazit gelesen! Komme nochmal vorbei, wenn ich es durch hab :3
    Kenne aber den Film, den ich inzwischen 2x gesehen habe, da ich beim ersten Mal einfach in der falschen Stimmung war und nicht glücklich damit wurde. Beim 2ten Mal wars perfekt :D

    • Das hätte bei mir auch passieren können, aber ich kannte ja dann doch schon das Buch und wusste, was mich erwartet. Ich hab das Filmgucken dann natürlich entsprechend am passenden Tag eingeplant.

      • So, da bin ich wieder :D

        Kann dir nur zustimmen und kann jetzt auch sagen, dass die filmische Umsetzung sehr gut gelungen ist. Genau das Flair, was ich mein Lesen empfunden hatte, hat mir auch der Film vermittelt.
        Auch wenn die fehlenden Kapitel abschrecken scheinen (bin so ein Kapitelleser, wenn ich Pausen mach und wenn keine da sind, ist das doof :P) würde das Buch immer als Lesetipp aussprechen!

        • Ich hatte tatsächlich kein Problem wegen der fehlenden Kapitel – es gibt ja trotzdem Absätze, so dass man doch immer wieder Pause machen konnte. Wenn es allerdings Fließtext gewesen wäre…. :-)

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  8. Hallo
    wahnsinn, du hast „Die Strasse“ besprochen und die ich bin hin und weg. Mein liebstes Lieblingsbuch und du hast mich gerade wieder rein katapultiert, hach….Ich sollte es zum xten Male wieder lesen.
    Der Film ist echt gut? Ich hab mich da noch nicht ran getraut. OMG ich heule bestimmt wieder am Ende.
    Super Rezension, danke dafür
    Liebe Grüße
    Kerstin

    • Hi Kerstin,
      Ja, „Die Straße“ ist wirklich ein geniales Buch. Sehr beeindruckend, aber eben auch traurig. Der Film bleibt sehr nah an der Vorlage und kann diese Gefühle, die im Buch vorherrschen auch transportieren. Ich fand es noch ein wenig intensiver, den Film zu sehen, als das Buch zu lesen, aber beides war gleich beeindruckend.
      Viele Grüße,
      Christina

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  12. Da will man nur kurz vorbeihuschen und Dich für meine Reihen-Challenge verlinken und jetzt stromere ich von deinem Jahresrückblick von Rezension zu Rezension…und kein Ende in Sicht. Ist ja echt immer das Selbe bei Dir XD.
    Diese Dystopie klingt wirklich vielversprechend und bei „Literarisches Meisterwerk“ hattest Du mich in der Tasche.
    Jetzt habe ich da nur noch paar Fragen. Ich habe dieses Buch natürlich sofort geamazont und jetzt weiß ich nicht in welcher Reihenfolge man diese Reihe lesen sollte, was Du mit „Der aufrechte Mann“ von Longo zuerst (oder danach?) lesen meinst und ob ich dieses Buch auch eigenständig lesen kann.
    Dieses Buch würde sich auch hervorragend für mein Hüttenzauber-Special im Februar als „Kaminlektüre“ eignen. Bei solchen Büchern ist man ja immer froh, wenn man, im Gegensatz zu den Protagonisten, im Warmen bei einer heißen Tasse Kaffee sitzt XD.
    So, und ich stöbere jetzt erstmal weiter.
    Liebe Grüße aus Wien
    Conny

    • Die beiden Büchern „Der aufrechte Mann“ von Davide Longo und „Die Strasse“ von Cormac McCarthy können unabhängig voneinander gelesen werden. McCarthys hat sein Buch vor Longo geschrieben und deshalb haben es vermutlich auch viele Leute zuerst gelesen. Ich persönlich bin aber erst über Longo gestolpert.
      Die beiden haben eine ähnliche Ausgangssituation (Dystopische Zukunft, durch die ein Vater mit seinem Kind / seinen Kindern zieht), so dass die beiden Bücher oft verglichen werden. Aber es sind eigenständig Bücher. Über Longos „Der aufrechte Mann“ habe ich damals keine Rezi geschrieben, aber das Buch hat mich genauso nachhaltig beeindruckt wie McCarthys „Die Strasse“. Ich kann also beide empfehlen – für mich sind beide sehr gut. Trotzdem ist mir Longos Buch noch länger im Gedächtnis geblieben und das liegt bestimmt daran, dass ich es vor Cormacs gelesen habe. Das begründet vermutlich auch, warum viele McCarthys besser finden – sie haben es vor Longos gelesen.
      Ich hoffe, das konnte jetzt ein wenig helfen!
      LG, Christina

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