Die dunklen Felle

Krimis, Thriller und Science Fiction


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Memoria – Zoё Beck

Zoё Beck – Memoria, Suhrkamp Verlag, 281 Seiten, ISBN: 978-3518472927

Harriet lebt als Klavierstimmerin in Frankfurt. Viel verdient man damit nicht, sie ist nahe am Existenzminimum. Auf dem Weg zu einem Auftrag, muss der Zug stoppen, da ein Waldbrand gefährlich nahe an die Gleise herankommt. Als der Zug stoppen und alle Passagiere aussteigen müssen, geschieht es, dass Harriet, gemeinsam mit zwei weiteren Passagieren, eine alte Frau aus einem nahe gelegenen Haus rettet, bevor dieses vom Feuer verschlungen wird. Eine folgenschwere Begegnung, denn diese alte Frau scheint Harriet zu kennen und weckt Erinnerungen in ihr, die Harriet selbst noch gar nicht kannte.

Dass die Autorin Spannung und Science Fiction kombinieren kann, hat sie schon in „Die Lieferantin“ und „Paradise City“ bewiesen. Auch der vorliegende Krimi spielt in der Zukunft, allerdings nicht sehr weit in der Zukunft. Auch spielt die Zukunft keine wesentliche Rolle, sondern ist einfach der Hintergrund, in den die Geschichte gebettet ist. Aus meiner Sicht, liefert dies der Autorin die Möglichkeit, ihre Geschichte freier zu gestalten und ein paar Kniffe mit zukünftigen Möglichkeiten zu erklären. Auch für die Auflösung der Geschichte spielt es eine wichtige Rolle. Dennoch spielt „die Zukunft“ keine Hauptrolle, aber ergänzt die Geschichte gekonnt.

Denn der ganz klare Fokus der Geschichte liegt diesmal auf den Erinnerungen, worauf der Titel des Buches natürlich auch hinweist. Harriet muss im Laufe der Geschichte mehrfach an ihren Erinnerungen zweifeln, bzw. versuchen ihre Erinnerungen mit Fakten, die nicht dazu passen, abzugleichen. Gemeinsam mit der Protagonistin steht man als Leser immer wieder vor den Fragen: kann man den eigenen Erinnerungen trauen? Inwieweit verändern wir Erinnerungen im Laufe der Zeit? Stimmen unsere Erinnerungen wirklich eins zu eins mit den Geschehnissen von damals überein  – verändern, verzerren wir diese mit der Zeit nicht einfach? Ein wenig so, wie es uns passt, so wie wir uns erinnern wollen. Als Leser muss man sich zusätzlich noch fragen: kann man Harriet denn eigentlich trauen? Eine unzuverlässige Erzählerin erzeugt ja immer eine ganz besondere Situation für den Leser, denn schließlich könnte, aber muss eben nicht alles stimmen, was Harriet denkt, fühlt, erlebt. Und dies eröffnet dem Leser unzählige Möglichkeiten sich den weiteren Verlauf der Geschichte vorzustellen.

Harriet selbst ist eher zu bedauern. Der Vater lebt dement in einem Heim, allerdings in einem hervorragendem. Bezahlt aus dem Erbe von Harriets Mutter, die ihr nichts hinterlassen hat. Als Klavierstimmerin hat sie nun auch nicht den gefragtesten Job und lebt von der Hand in den Mund, hält sich mit einem anderen Job über Wasser. Sie hat weitgehend mit der ungerechten Behandlung durch ihre Mutter abgeschlossen, doch die Ereignisse rütteln an dieser geschlossenen Tür und zwingen Harriet, sich zu erinnern und sich mit ihrer Vergangenheit zu befassen. Auf der einen Seite ist das Glück, denn dadurch ergreift sie Initiative und wird zu einer viel sympathischeren Protagonistin, als die graue Maus, als die man sie am Anfang des Buches kennen lernt. Auf der anderen Seite muss sie sich jetzt aber eben mit ihrer Vergangenheit auseinander setzen.

Ich fand das Buch äußerst spannend, soghaft und wirklich faszinierend. Ich habe es auf einen Rutsch, an einem Tag, weggelesen. Vielleicht weil dieser Sog so riesig und einnehmend war, war ich fast schon ein wenig vom Ende enttäuscht. Ein klein wenig, denn auch wenn die verschütteten Erinnerungen trickreich aufgelöst werden, ist der Auslöser – fast – schon banal. Ist er natürlich nicht, nur im Vergleich zum irrsinnigen Spannungsbogen davor, der sich bei mir aufgebaut hat. Ich bin sehr zufrieden mit der Lektüre, denn ich hätte mir keinen spannenderen Tag wünschen können und ich muss auch immer wieder feststellen, dass ich die Einbindung der Zukunft, ohne sie explizit hervorzuheben, sehr gerne mag. Ganz nach dem Motto: Show, don’t tell.
Spannung, Zukunft, Ungewissheit – was will man mehr? Alles in einem, perfekt kombiniert. So geht Thriller.


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Unfollow Stella – Ellen Dunne

Ellen Dunne – Unfollow Stella, Haymon Verlag, 312 Seiten, ISBN: 978-3-7099-7965-5

Patsy Logan, Kriminalhauptkommissarin in Auszeit, wird von ihrem Bekannten, Sam Feurstein, Polizeiattaché der österreichischen Botschaft in Dublin, gebeten, bei der Suche nach Stella Schatz zu helfen, einer jungen Frau, die erst kurze Zeit in Dublin lebt und arbeitet. Patsy macht sich auf die Suche, offline, aber auch in den sozialen Medien, denn Stella war nicht nur im privaten online zu finden, sondern arbeitete als Content-Managerin und war jeglichem Schmutz im Netz ausgesetzt. Liegt hier der Grund für ihr Verschwinden?

Ich fürchte, ich wiederhole mich, aber ich mag Patsy Logan ganz einfach. Ich kann es gar nicht so genau bestimmen, warum das so ist, aber diese zerrissene und doch so klare Frau scheint mir gleichzeitig so ähnlich zu sein und doch ganz anders als ich, dass ich sie einfach ins Herz geschlossen habe. Leichtfüßig und melancholisch zugleich, stark mit schwachen Momenten, kompliziert und verrückt, so vielschichtig wie bezaubernd. Daneben – oder gerade deshalb – ist sie aber auch eine erstklassige Ermittlerin, in diesem Fall nochmal ohne offiziellen Auftrag, denn sie befindet sich immer noch in einer Auszeit. Gekonnt spinnt die Autorin hier auch private Verwicklungen ein, die es den Lesern der Reihe unmöglich machen, auf den nächsten Titel zu verzichten. Denn irgendwann (hoffentlich demnächst?) wird die Autorin das Geheimnis um den Tod von Patsys Vater lösen müssen und auch die berufliche Zukunft scheint weiter turbulent und es steht sogar die Frage im Raum – wo wird Patsy zukünftig ermitteln? Wieder in München? Immer noch in Dublin? Oder gar in Wiesbaden?

Das Verschwinden der Stella Schatz führt Patsy Logan aber erst mal in die dunklen Seiten der sozialen Netzwerke. Über Content-Management mögen die Riesen der Branche nicht gerne reden, doch jeder hat sie, bzw. beschäftigt Firmen, die in ihrem Auftrag den Content ihrer Netzwerke filtern. Gegen Hass und Hetze, Pornographie und Gewalt, gegen alles Schlimme in dieser Welt. Was diese Soße aus einem macht, der stundenlang nur diese Inhalte sichtet… nun das kommt ganz auf den Typ Mensch an, doch viel Gutes kann hierbei nicht herauskommen. Wie gewohnt beleuchtet die Autorin das Thema von vielen Seiten und flicht es in ihre Geschichte ein, ohne belehrend mit dem Zeigefinger zu winken. Sehr gelungen finde ich auch den Aufbau des Krimis, der – passend zum Thema – durch Chatprotokolle, Emails und Notizen aufgefrischt wird. Das treibt nicht nur die Geschichte voran, sondern man erhält dadurch auch andere Perspektiven, die Einblick in das Geschehen liefern.

Fazit:
Die genau richtige Mischung aus Patsy Logan, meiner most beloved Ermittlerin, und einem neuen Fall, diesmal im spannenden Umfeld des Content Management. Das einzig zu Kritisierende ist, dass der Fall ja reichlich schnell ausgelesen war und man nun eine Weile auf den Nächsten warten muss. Bitte weiter so – ich möchte gerne noch viele Fälle mit Patsy lösen!


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Ein Fluss so rot und schwarz – Anthony Ryan

Anthony Ryan – Ein Fluss so rot und schwarz, Übersetzerin: Sara Riffel, Verlag: Tropen Verlag, 272 Seiten, ISBN: 978-3-608-50179-7

Huxley ist einer von sechs Menschen, die auf einem Schiff mitten im Nirgendwo erwachen. Der siebte ist tot – Selbstmord. Keiner der Sechs kann sich an Persönliches erinnern, doch alle scheinen bestimmte, nützliche Fertigkeiten zu besitzen. Und alle haben einen Namen auf den Arm tätowiert, alles Namen von SchriftstellerInnen. So wie Huxley, der vermutlich mal Polizist war. Wer er war, ob er Familie hatte, das alles weiß er nicht. Die Sechs erkunden das Schiff und stellen fest, dass es automatisch gesteuert ist und sie keine Möglichkeit haben einzugreifen. Viel erkennen können sie auch nicht, denn mysteriöser roter Nebel umgibt  sie. Doch nach und nach öffnen sich Fächer, klingelt ein Satellitentelefon, das Ufer wird sichtbar und Hinweise ergeben sich – sie nähern sich London, einem postapokalyptischen London. Doch dort ist etwas passiert und die Sechs sind losgeschickt worden, um das Grauen dort zu bekämpfen.

 Natürlich ist es die mysteriöse, unheimliche Spannung und das Nichtwissen der sechs Personen auf dem Schiff, welche die ganze Geschichte vorantreiben und einen unheimlichen Sog entwickeln. Angefangen mit dem grundsätzlichen Misstrauen in der Gruppe, nachdem alle aufwachen und einen von ihnen tot auffinden. Keiner kann dem anderen trauen, denn keiner kennt den anderen – aber eben auch nicht sich selbst. Alle haben die gleichen Narben, auf dem Kopf und im Bauchbereich, doch keiner kann sich erinnern, warum. Sie finden heraus, dass jeder eine Art Spezialist ist: Ärztin, Soldat, Polizist, Physikerin, Historiker und Polarforscherin. Doch allen ist gemein, dass sie sich nur an Fakten, an Fertigkeiten, an automatisierte Abläufe erinnern. Keiner hat Erinnerungen an Familie, Freunde, persönliche Ereignisse. Und wenn sie sich zu erinnern versuchen, erleiden sie Schmerzen.

Auch der Leser bleibt mit den Figuren im Ungewissen und erfährt nichts im Voraus. Da allen Figuren das Privatleben abhanden geht, fällt es einem auch schwer, Bezug zu jemanden herzustellen. Bei einigen musste ich mich immer wieder vergewissern, wer denn wer ist. Einzig zu Huxley, aus dessen Sicht die Geschehnisse geschildert werden, und zu Rhys, der Ärztin, baut man eine Verbindung auf – das hat auch seinen Grund. Die Geschichte besticht also nicht unbedingt mit Charakterzeichnung – da fehlt dann irgendwie doch das persönliche. Doch andererseits ist das auch gut so, denn allen voran soll hier die unheimliche Atmosphäre, die mysteriösen Vorkommnisse und die nach und nach enthüllten Tatsachen wirken und das gelingt auch.

Wenn man das Buch in zwei Teile aufteilt, so lebt es anfänglich von dem Nichtwissen der Charaktere und dem Dürsten nach Informationen, den unheimlichen Kleinigkeiten und der Interaktion der Gruppe. Der zweite Teile artet dann in repetitive Handlungen aus – von denen man sich zweifellos die eine oder andere hätte sparen können – die aber unweigerlich auf einen großen Showdown zusteuern. Zuviel möchte ich hier natürlich nicht verraten, aber der Autor hat noch einiges, was er am Ende auspackt.

Insgesamt war das Buch einfach wirklich gute und spannende Unterhaltung mit einer gehörigen Portion mysteriöser und unheimlicher Atmosphäre, blutrünstigen Kämpfen und einem gewaltigen Showdown. Wer seine Thriller gerne auch mal postapokalyptisch/dystopisch und mit ordentlich Schmackes mag, kann hier nichts falsch machen. Spannend, unheimlich und in einem Rutsch weggelesen – genau das Richtige für einen verregneten Herbstnachmittag.


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Aus der Balance – Megan Abbott

Megan Abbott – Aus der Balance
Übersetzung: Karen Gerwig und Angelika Müller, Pulp Master Verlag, 416 Seiten, ISBN: 978-3946582168

Es gibt so viele Dinge im Leben, über die man nichts weiß. Und anstatt Sachbücher zu wälzen, finde ich es immer fantastisch, wenn AutorInnen mir ein Thema verpackt in einer guten Geschichte, ok bei mir meist in einer Kriminalgeschichte, näher bringen. Und so gelingt das auch Meg Abbott in ihrem Spannungsroman “Aus der Balance”, denn wer hätte schon gedacht, dass Ballett so spannend und faszinierend sein kann, ganz abseits einer Ballettaufführung? Und, noch nebenbei erwähnt, ist Meg Abbott die erste (aber hoffentlich nicht die letzte) Autorin im Programm des Pulp Master Verlages. Tendenziell sind Autorinnen im Pulp/Noir Genre ja eher wenig zu finden, umso wichtiger, dass diejenigen, welche sich in dem Genre tummeln, auch veröffentlicht werden.

Die beiden Schwestern Dara und Marie, führen gemeinsam mit Charlie, der sowohl Daras Ehemann  ist als auch der frühere Meisterschüler ihrer Mutter war, die Ballettschule, die ihre Mutter gründete. Mögen die Ballettschülerinnen mit straff geknoteten Haaren und rosa Tutu das Ebenbild von Perfektion und Reinheit abgeben, so sieht es hinter den Kulissen ganz anders aus. Neid und Missgunst, Ehrgeiz und kaputte Füße unterlegt mit einem ranzigen Schweißgeruch beherrschen die Ballettsäle der Schule. Dara, Marie und Charlie treiben den Wettbewerb unter ihren Schülern zusätzlich voran, denn nur diese klaustrophobische Atmosphäre bringt wahre Stars der Branche hervor, nur wer diese Qualen durchsteht, erhält die begehrten Studienplätze. Ähnlich eng und intim ist auch die Beziehung dieser drei, die miteinander aufgewachsen sind und Zeit ihres Lebens kaum je getrennt waren. Sie leben in ihrer eigenen kleinen Welt. Als durch einen Brand der Bauunternehmer Derek in ihr Leben tritt, gerät diese “heile” Welt aus den Fugen.

Ohne dass überhaupt dieser Fremdkörper namens Derek, in die Welt der Drei platzt, fand ich die Beschreibung der Atmosphäre – der intimen Beziehung der drei Protagonisten, der beiden Häuser, das alte Wohnhaus und die Schule, beides etwas vergammelt und knarzig, des Ballettunterrichts mit allen seinen Facetten von aufgeregten Schülerinnen sowie wenigen Schülern, die außerhalb viel Häme ertragen müssen, und ehrgeizigen Eltern, und das alles auf die Spitze getrieben durch die jährliche Nussknacker-Aufführung, die aus aufgeregt und ehrgeizig neidisch und bösartig macht – unglaublich intensiv und schaurig.  Untermalt wird diese Szenerie durch Rückblicke in Daras und Maries Vergangenheit, welche die Omnipräsenz ihrer Mutter offenbart und die Schwäche und Abwesenheit ihres Vaters.

Dieses fragile, aber in sich gefestigte Konstrukt, immer noch aufrecht gehalten von Daras und Maries verstorbenen Mutter, bekommt Risse als Derek, der Bauunternehmer, in ihr Leben tritt. Einer, der so gar nicht in das zart-harte Ballettmilieu passt. Ein so fürchterlich männlicher Mann, groß und grob, wild und animalisch, einer, der seinen Platz behauptet und sich nimmt was er will. Ein Brocken von einem Kerl, so gegensätzlich zu dem feinen, leidenden und kränkelnden Charlie. Der Bauunternehmer kommt in die Ballettschule um den abgebrannten Saal zu erneuern, hämmert, sägt, zerstört und nimmt sich Marie.

Und wenn man so will, beginnt nun ein Tanz. Doch ganz entgegen der Erwartungen, finden sich die Tänzerinnen selbst hier erst gar nicht zurecht. Der Bauunternehmer gibt den Ton an, spielt mit den Dreien, verfolgt seine Ziele. Er treibt die Drei vor sich her, beeinflusst und flüstert, macht Andeutungen und ist immer präsent. Es scheint, als würden die drei den Kerl nie wieder los werden. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem man nur ganz klar weiß, auf welcher Seite Dara und auf welcher Seite Derek stehen. Bei Marie, nun, die hat dem Bauunternehmer ja erst Tür und Tor geöffnet. Und Charlie ist so weich und schmerzerfüllt, gegen so einen Felsen kommt er nicht an.

Ein Kammerspiel, umrundet von Mäuschen und Schneeflocken in Tutus, entspinnt sich. Zu der eh schon schaurigen Atmosphäre gesellen sich nun Sex und Verlangen, Erniedrigung und Demütigungen. Hinterlistig schleicht sich Derek in das Leben der Tänzer und hebelt es aus allen Strukturen und den Dreien gelingt es erst nur ohnmächtig zuzusehen. Doch Derek kann sich nicht zu früh freuen, denn das Trio hat noch einige Familiengeheimnisse in petto. Die Autorin wartet nicht nur mit einigen Enthüllungen und Überraschungen auf, sondern entfernt auch eine Komponente früher als ich gedacht hätte. Wer nun denkt, ab da wäre die Spannung abgeflaut, der ist auf einem Irrweg, denn der Stein, den Dereks Auftauchen und Eindringen in die Familie, ins Rollen gebracht hat, lässt sich nicht aufhalten.

Abschließend kann ich nur sagen, dass mir Megan Abbotts Geschichte außerordentlich gut gefallen hat. Dabei ist es auch nicht wichtig, ob man die Geschichte nun als Krimi, Spannungsroman oder sonstiges einordnet, denn gute Geschichten sprengen sowieso die dargelegten Grenzen. Aber seid Euch gewisse – an Spannung mangelt es in “Aus der Balance” keinesfalls. Man sollte sich auch keineswegs von dem Thema Ballett abschrecken lassen – vor allem nicht die Männer, die Ballett als reine Frauensache abstempeln. Denn dann würden sie eine ausgezeichnet ausgefeilte Geschichte in einer schräg-schaurigen Atmosphäre verpassen, die es einem unmöglich macht, das Buch nicht gierig aufzusaugen. Zumal man in der Geschichte auch rausfinden kann, dass Ballerinen durchaus keine zarten Geschöpfe sind, sondern genau wissen, was Schmerzen sind.
Was soll ich sagen – es gibt also wirklich so gar keinen Grund, warum man “Aus der Balance” nicht lesen sollte. Bitte greift unbedingt zu!

Ach, und ganz zum Schluss noch ein Lob an den Verlag. Es ist wundervoll, dass Megan Abbott beim Pulp Master Verlag eine Heimat gefunden hat und auch schon ihr nächstes Buch angekündigt wurde. Ich freu mich sehr darauf! Aber ja, auch da müsst ihr stark sein, denn da geht es um Cheerleading.  


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Moon Lake – Joe R. Lansdale

Joe R. Lansdale – Moon Lake, Übersetzung: Patrick Baumann, Festa Verlag, ISBN: 978-3-98676-030-4

Neues Jahr – neuer Schwung? Zumindest im Moment habe ich Lust und Laune, mal wieder etwas auf meinem Blog zu posten. Ob das anhält? Wir werden sehen.

Jedenfalls ist der vor Kurzem im Festa Verlag erschienene neuste Streich von Joe R. Lansdale auf jeden Fall eine Erwähnung wert. Ich wäre ja froh, wenn der Autor beim Festa Verlag eine Konstante werden würden, denn nachdem beim Golkonda Verlag die Hap & Leonard Reihe wohl nicht mehr weitergeht und bei anderen Verlagen der Autor nur sporadisch in Erscheinung tritt, wäre das sehr sehr genial für mich Fangirl. Für mich ist und bleibt Lansdale einer der großen Erzähler des amerikanischen Südens und ja, das bleibt er auch, egal in welchem Genre er schreibt. Gerade die Vielfalt des Autors fasziniert mich, denn bisher konnte er mich auch in Genres, die ich sonst nicht mit der Kneifzange anfassen würde, begeistern. Gerüchteweise habe ich gehört, dass der Festa Verlag in 2023 zumindest schon mal eine weitere Übersetzung von einem seiner Bücher plant…. Juchu!

Kommen wir nun aber zu “Moon Lake”…. Daniel Russell überlebt nur knapp, als sein Vater ihr Auto von einer Brücke in den Moon Lake steuert. Sein Vater sowie das Auto bleiben verschwunden. Doch als Jahre später der Moon Lake austrocknet und das Autowrack freigibt, reist Daniel zurück nach New Long Lincoln. Dort finden sich allerdings nicht nur die Knochen seines Vaters und so macht Daniel sich auf, um die Rätsel des Moon Lake und von Long Lincoln auf den Grund zu gehen.

Nach dem einleitenden und schrecklichen Ereignis geht es erstmal gemächlich los, denn Daniel wird von einer einheimischen schwarzen Familie aufgenommen, bis es dem Sheriff von New Long Lincoln gelingt, seine Tante zu erreichen und diese auch Lust hat, zurück in die USA zu reisen und ihrem Neffen ein Zuhause zu bieten. Nichtsdestrototz liest sich dieser Anfang ganz wunderbar, Lansdale gelingt es wie immer, seinen Leser in den Bann zu ziehen. Da ich erst vor Kurzem “Die Wälder am Fluss” gelesen habe, kamen hier Parallelen auf – die Geschichte beginnt mit einer Art Coming-of-Age Story im ländlichen Süden der USA.

Doch dann schießen wir einige Jahre vorwärts, Daniel Russell ist mittlerweile erwachsen. Er verdient als Journalist seine Brötchen und wohnt noch im Haus seiner Tante, dass er nach ihrem Tod geerbt hat. Als er dann vom Sheriff erfährt, dass der Moon Lake ausgetrocknet ist und das Autowrack seines Vaters aufgetaucht ist, fährt er dorthin um die Leiche bzw. was davon übrig ist, zu identifizieren und damit abzuschließen. Aber, wie so oft, kommt es anders als man denkt, denn das Autowrack hält noch Geheimnisse parat.

Und nicht nur das Autowrack. Denn zurück in New Long Lincoln passieren Daniel einige seltsame Dinge, es gibt Andeutungen und Geheimnisse. Der Autor baut eine unheimliche Stimmung auf, die auf mysteriöse, vielleicht übernatürlich Geschehnisse in New Long Lincoln hindeuten, auch in Bezug auf den Moon Lake, der das “alte” Long Lincoln bedeckt. Vor Jahren wurde Long Lincoln geflutet, doch noch alle Häuser stehen und als der See nun austrocknet, tauchen diese Gebäude wieder auf. Schon alleine diese Tatsache verleiht der Geschichte ihren Reiz.

Wer nun eine ausgefeilte Krimihandlung bzw. Ermittlung seitens Daniel erwartet, liegt nicht ganz falsch. Er betreibt einige Nachforschungen, doch einiges fällt ihm auch in den Schoss oder er stößt zufällig darauf. Insgesamt macht es das aber nicht weniger spannend, denn die unheimliche Atmosphäre, welche das Dorf umgibt, steigert sich weiter, so dass man das Buch kaum aus der Hand legen mag. Mitunter wird es für Daniel sogar gefährlich und er kriegt einige Blessuren ab.

Insgesamt muss ich sagen, dass Lansdale ein wirkliches Gespür für junge Charaktere hat, so dass mir der junge Daniel viel mehr im Gedächtnis haftet, als der erwachsene Daniel. Vielleicht mag es auch ein wenig daran liegen, dass im späteren Verlauf die Stadt mit Ihren Einwohner mehr Gewichtung bekommt und natürlich die düstere, unheimliche Atmosphäre ihren Platz braucht. Aber mir scheint es, als hätte Lansdale einfach ein unheimlich gutes Gespür für junge Charaktere und ihre Wünsche, Träume und Handlungen.

Wer auch “Die Wälder am Fluss” kennt, wird sich am Anfang erinnert fühlen, doch die Geschichten sind sehr unterschiedlich. Während in “Die Wälder am Fluss”, die Krimihandlung und gesellschaftspolitische Themen viel mehr ausgearbeitet sind und das ganze Buch aus Sicht eines Jungen geschrieben ist, findet man hier viel mehr Mysteriöses und Spannendes. Beide haben mir sehr gut gefallen, doch da ich immer Bücher mit mehr “Futter” im Rücken bevorzuge, hat “Moon Lake” ein klitzekleines Bisschen das Nachsehen.

Moon Lake – Joe R. Lansdale, signierte Vorzugsausgabe

Und nun muss ich leider noch die tolle Vorzugsausstattung der signierten Sonderausgabe erwähnen – “leider”, da diese schon vergriffen ist. Wer also Glück hatte und sich auch den höheren Kaufpreis gegönnt hat, der ist eben nicht nur mit der Signatur von Joe R. Lansdale belohnt worden, sondern auch mit der Signatur – und hier wichtiger: den wunderschönen und passenden farbigen Zeichnungen – von Dirk Berger belohnt worden. Aber keine Sorge, das Buch gibt es auch in der “Must Read” Fassung des Festa-Verlags (eben ohne Signatur und Zeichnungen), sowie als ebook. Ihr könnt also jetzt loslaufen und Euch das Buch holen. Nein, eigentlich müsst ihr das sogar – denn egal wie, Bücher von Joe R. Lansdale lohnen sich und dürfen in keinem Bücherregal fehlen.

Fazit:
Ein ganz wunderbarer Mix aus Coming-of-Age Story und einer unheimlichen, mysteriösen Ermittlung, die man kaum aus der Hand legen mag. Nur zu empfehlen!


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Die andere Mrs. Walker – Mary Paulson-Ellis

Mary Paulson-Ellis – Die andere Mrs. Walker, Übersetzung: Kathrin Bielfeldt, Argument-Verlag, 441 Seiten, ISBN: 978-3867542609

Margaret Penny steht in der Mitte des Lebens und hat nichts mehr – Job verloren, Heim verloren, Liebe verloren. Aller Träume beraubt fährt sie nach Edinburgh und schlüpft bei ihrer Mutter unter, die ihr aber schon beim Reinkommen nahelegt, nicht zu lange zu bleiben. Na denn – frohes neues Jahr!
Für Margaret ergibt sich dann zufällig die Chance, im Auftrag des Amts für Hinterbliebene zu arbeiten. Sie soll herausfinden, wer die tote, alte Frau war, von der man nicht mehr weiß, als dass sie Mrs. Walker hieß und die nur wenig zurückgelassen hat: ein paar Mandarinenkerne, ein grünes Kleid, eine Paranuss, auf der etwas winzig klein eingeritzt ist, ein vergilbtes Foto…. Zuerst wohl mehr mit der Hoffnung, dass etwas (oder etwas mehr) Bares für sie rausspringt, wird Margaret von der geheimnisvollen Mrs. Walker und den Bruchstücken ihrer Geschichte, die sie nach und nach aufdeckt, in den Bann gezogen.

Selten habe ich ein Buch aus dem Argument Verlag gelesen, dass so sehr einen Bezug zu dessen Kategorie “Ariadne” hat, in dem der Verlag Krimis und Noirs veröffentlicht. Denn fast bildlich kann man auf jeder Seite den Ariadnefaden schlängeln sehen, vom heutigen Edinburgh hinein und wieder heraus in die vergangenen Jahrzehnte. Auf der einen Seite haben wir Margart Penny, die, ohne noch etwas zu haben, im eiskalten Edinburgh aufschlägt. Einen Ort, den sie glaubte, hinter sich gelassen zu haben. Die sich durch Totenfeiern und Leichenhäuser fragt, bei Nachbarn und Geschäften anklopft, sich sogar einen Trip zurück nach London ergaunert, und doch bleibt Mrs. Walkers Leben für Margaret diffus und sie fragt sich mehr und mehr, was von ihr selbst irgendwann übrig bleibt, am Ende.

Die zweite Zeitebene spannt sich über mehrere Jahrzehnte, beginnend Ende der Zwanziger zieht sie sich über den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegsjahre ins Hier und Heute. Es beginnt mit Alfred und Dorothea Walker und ihrer Tochter Clementine, sowie der Geburt von Zwillingen. Und während die Jahre vergehen, folgen wir dieser Familie über die Zeit, erleben den Krieg mit all seinen Schrecken und Grausamkeiten, die Einschränkungen der folgenden Jahre. Immer wieder schrabbt die Geschichte an Verbrechen, lockerer Moral und gefährlichen Unternehmungen, oft im Kleinen und Verborgenen, quasi ein Arrangieren mit den Umständen.

Häufig ist eine klare Zuordnung zum Genre in den Krimis aus dem Argument Verlag schwierig, aber diesmal finde ich das so gar nicht. Auch ohne Mord und Totschlag hat Margaret Pennys Suche nach Mrs. Walkers Leben mehr mit der Arbeit einer Privatdetektivin gemein, als in manch anderen Büchern, die sich das offiziell auf die Fahnen schreiben. Verbunden mit einem Spiegel des heutigen Edinburgh und der Geschichte um die Familie Walker, umspannt das Buch mehrere Jahrzehnte Zeitgeschichte, vor allem aus Sicht der Walker und Penny Frauen, und baut durch diese Mixtur eine ungemeine Spannung auf.

Und so folgt man gespannt dem Ariadnefaden, gleitet durch die Kapitel und verknüpft die Geschichte nach und nach, erlebt Edinburgh und London, damals und heute, eine Detektivgeschichte auf der einen, und eine Familiengeschichte auf der anderen Seite. Folgt den kleinen Hinweisen, bei denen man am Anfang nicht mal ansatzweise sagen kann, wohin sie führen oder gar warum sie von Bedeutung sind. Wie so oft konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen, wollte alle Geheimnisse aufdecken, den Walker und den Penny Frauen folgen, ihr Leben nachspüren und miterleben. Eine mitreissende Geschichte, die mit detektivischem Spürsinn von Margaret Penny und dem Leser gelüftet wird, aber eben auch gleichzeitig ein Stück Zeitgeschichte.

Fazit:
Manchmal komme ich mir ein wenig vor, als würde ich immer das Gleiche zu den Krimis aus dem Hause Argument schreiben, aber das sagt nur eins: dass die Auswahl des kleinen Verlags vorzüglich getroffen ist und ich immer, wirklich immer darauf vertrauen kann, ein großartiges Leseerlebnis geboten zu bekommen. So möchte ich mich auch hier einfach wiederholen: unbedingt lesen!


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Der blonde Hund – Kerstin Ehmer

Kerstin Ehmer – Der blonde Hund, Pendragon Verlag, 458 Seiten, ISBN: 978-3865327635

Ariel Spiro ermittelt diesmal im Mordfall eines aus dem Kanal gezogenen Journalisten. Dieser schrieb für den “Völkischen Beobachter” und besuchte in Berlin die Salonrunde der Bachmanns, denen eine Pianofabrik in Berlin gehört und dementsprechend einflussreich und gern gesehen sind. Nicht nur die höheren Kreise machen Spiros Ermittlung schwierig, sondern auch die Politische Polizei, die aufgrund des Arbeitsplatzes des Mordopfers mitmischt. An seiner Seite ermittelt sein Kollege Bohlke bekannt charmant auf die Berliner Art, doch seine Frau schleppt ihn noch in ganz andere Kreise. Auch Nike, Ariels Freundin und Geliebte, wandelt auf seltsamen Pfaden und nimmt an Séancen teil, die man ihr als wissenschaftlichen Menschen gar nicht zugetraut hätte. Spiros Fall hängt fest bis ein Beweisstück auftaucht, welches den Druchbruch bedeuten könnte, doch dafür muss sich Spiro erst mal auf Reisen begeben.

In diesem Teil der Reihe scheint Ariel Spiro endlich in Berlin angekommen. Er fühlt sich nicht mehr so zerrissen und fängt an sich wohl zu fühlen, in Berlin, in seinem Job und auch in seiner Beziehung mit Nike. Seinen berlinerischen Kollegen Bohlke empfindet er nun als gute Ergänzung zu ihm und hätte es gerne, wenn sie beide sich für die neue Mordkommission bewerben. Hin und wieder ist er noch ein wenig unsicher in Bezug auf Nike, doch scheint die Beziehung nun wesentlich fester als im letzten Band und verleiht Spiro Stabilität. Es könnte also alles nicht besser laufen für Ariel Spiro, doch natürlich gibt es da noch den Mordfall.

Dieser erweist sich in der Ermittlung nicht ungewöhnlich, doch es gibt einige Begleitumstände, welche die Ermittlung spannend machen. Angefangen bei Spiros Zusammenarbeit mit den Dieben der Stadt, nicht ganz legal, aber nötig um endlich den richtigen Ansatz für die Ermittlung zu finden; über die Befragungen in den höheren Kreisen und die Einmischung der Politischen Polizei, bis hin zu Spiros Reise. Ja, Spiro ermittelt diesmal nicht nur in Berlin, sondern begibt sich – wieder nicht ganz legal – auf eine recht abenteuerliche Dienstreise, bei der er viel Glück hat und einen passenden Reisekumpan und mehr Landleben als erwartet bekommt.

Durch die drohenden Schatten der Machtergreifung der Nazis verliert das Setting in Berlin in den Goldenen Zwanzigern seine Leichtigkeit. Ja, diese ist noch einige Jahre entfernt, doch gerade Spiros Ermittlungen führen in Kreise, die kein Blatt vor den Mund nehmen und ihre antisemitische und nationale Gesinnung stolz äußern. Zwar hört sich Spiro dies nur mit Befremden an, doch er widerspricht nicht, hauptsächlich um die Ermittlungen voranzutreiben und keine Zeugen zu vergrätzen. Zugleich denkt er aber auch, dass diese nationalen Tendenzen nur Ausnahmen sind und sich keinesfalls festigen bzw. dem allgemeinen Tenor entsprechen. Als Leser empfindet man ein natürliches Befremden, weiß man doch wohin das führt. Zusätzlich finde ich es sehr sehr schade, dass der Zauber der Zwanziger nach und nach verloren geht, aber natürlich war das zu erwarten. Hier offenbart auch Spiros Reise Einblicke, denn seien wir mal ehrlich – golden waren die Zwanziger wohl hauptsächlich in den Großstädten und für die, die es sich leisten konnten. Ein wenig Wehmut bleibt, aber ich bin wirklich sehr gespannt, wie sich die nächsten Teile der Reihe entwickeln und wie Ariel Spiro, der ja aufgrund seines Namen desöfteren für einen Juden gehalten wird, sich in diesen Zeiten zurecht finden wird.

Fazit:
Beeindruckend gelingt es der Autorin die Widersprüche der Goldenen Zwanziger mit den beginnenden Verzweigungen des Nationalsozialismuses, den Gegensatz Stadt- zu Landleben und die unterschiedlichsten Strömungen der Zeit unter einen Hut zu bringen. In dieser wilden Zeit ermittelt Kommissar Ariel Spiro gekonnt und nicht ganz legal in einem verzwickten, aber nicht unmöglichen Fall. Ein wunderbares Leseerlebnis, welches Lust auf mehr macht!


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Boom Town Blues – Ellen Dunne

Ellen Dunne – Boom Town Blues, Haymon Verlag, ISBN 978-3-7099-7939-6, 320 Seiten

“Es gab da mal eine Polizistin, die arbeitete für die Kripo München. “ (S. 13)

Der dritte Fall von Patsy Logan aus der Feder von Ellen Dunne erscheint nicht nur in neuem Gewand, sondern auch im neuen Verlag. Die Krimis haben ihre neue Heimat im Haymon Verlag gefunden und bevor ich dieses kleine, aber für mich wichtige Detail vergesse: der Krimi hat abgerundete Ecken. Ja, vielleicht nur ein kleines, kosmetisches Detail, aber mit viel Wirkung – keine verknickten Ecken mehr. Ob das bei der Protagonistin auch so ist – schaun wir mal. Bei den Protagonistinnen mag ich Ecken und Kanten ja schon.

Eigentlich nimmt Patsy Logan eine Auszeit. Von ihrem Job, bei dem sie auf der Stelle tritt und von ihrer Ehe, die nicht mehr gut läuft, sie schlüpft in Irland bei ihrer Cousine unter. Doch ein Anruf ihres Chefs holt sie in das irische Ermittlungsteam um den Mord an Laura Brunner, einer Deutschen, die in der österreichischen Botschaft ermordet wurde. Keiner kann sich einen Grund vorstellen, warum eine Praktikantin ermordet wurde, doch da diese einen berühmten Vater hat, sorgt die deutsche Botschafterin für Patsys Beteiligung. Zudem holt der österreichische Botschafter noch einen seiner Untergebenen ins Team. Und wem passt das deutsch-österreichische Duo gar nicht – klar, dem ermittelnden DI Flanagan.

Ah, endlich ist Patsy in Irland… und wer weiß, vielleicht bleibt sie. Aber kommen wir erstmal zum vorliegenden Fall. Der Mord der deutschen Praktikantin führt Patsy Logan in die jüngere Geschichte Irlands. Ein Land, welches einen unheimlichen Boom erlebt hat, der in sich zusammengebrochen ist, wie ein Souffle. Die Ansiedlung von großen IT-Konzernen und Branchenriesen, Jobchancen und gutes Geld, der Wunsch nach einem Eigenheim und viel zu hohe Kredite – Finanzkrise, Immobilienblase, Ausverkauf. Zwischen Patsys Ermittlungen flicht die Autorin kleine Einblicke in das Leben vieler von der Krise Betroffener ein –  Opfern, Tätern, Beteiligten – welche dem Leser eine andere Perspektive zeigen, die letztendlich zum Mord an der Praktikantin geführt haben. Ohne den Fluss der Erzählung oder Ermittlung zu stören, führt die Autorin uns hier nicht zu den großen Tieren am Drücker, sondern erzählt wie die kleine Leute, Leute wie du und ich, unter der Krise zu leiden hatten. Großartig erzählte, kurze, aber doch eindrückliche Szenen, welche die kleinen Dramen aufzeigen, welche die Großen der Welt verursacht haben und die sich einen Dreck darum scheren. Diese Eindrücke erklären, aber berühren einen auch sehr.

Ah, Leid und großartig. Da sind wir auch bei Patsy Logan. Wie ja in der kurzen Einführung schon beschrieben, hat Patsy in diesem Teil auch ihr eigenes Päckchen zu tragen, aber egal wie – Patsy ist und bleibt großartig. Ich mag Patsys schnodderige Art, die ja unter anderem Ellen Dunnes großartigem Schreibstil geschuldet ist. So viele Gedanken, die in Patsys Kopf hin und herfliegen, aber nicht immer so rauskommen, manchmal zu früh, manchmal ganz anders. Man fühlt und leidet mit ihr, aber genauso hartnäckig mischt man sich in den Fall ein und positioniert sich im irischen Ermittlerteam. Patsy ist nicht perfekt, aber die perfekte Protagonistin.  Für mich zumindest auf jeden Fall. Und auch wenn Privates der Ermittler in Krimis oft störend wirkt, ist es hier gut verflochten, niemals zu viel und lenkt auch nicht vom Fall ab. Eine sehr gelungene Kombination. Ja, Patsys Gedanken und Seelenleben könnte ich ständig lesen. Ich mag sie einfach. Total gerne.

Fazit:
Patsy at her best – ich fand auch die letzten beiden Teile mit Patsy Logan klasse, aber nicht nur das gewählte Hintergrundthema gefiel mir hier im dritten Teil der Reihe ausnehmend gut, sondern ich finde auch, dass Patsy angekommen ist. Ja, es knirscht und ruckelt, aber das gehört halt im Leben dazu. Irgendwie gehört Patsy einfach nach Irland, so muss das sein.  Die Möglichkeit zu bleiben hat sie nun, also könnte es im nächsten Teil doch wieder heißen:
“Es gab da mal eine Polizistin, die arbeitete für die Kripo München. “ (S. 13)
Ich jedenfalls fände das großartig. Aber bis es soweit ist, bitte lest den dritten Teil (und auch den ersten und zweiten, falls ihr die wirklich noch nicht kennt) um eine der grandiosesten Ermittlerinnen aller Zeiten – es lohnt sich!


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Das giftige Glück – Gudrun Lerchbaum

Gudrun Lerchbaum – Das giftige Glück, Haymon Verlag, 271 Seiten, ISBN 978-3709981498

Ich lese zwar schon auch, na, ich nenn sie mal klassische Krimis, aber am liebsten mag ich doch die Krimis, die an den Grenzen kratzen, die über das Genre hinausschauen und etwas Besonderes liefern. So wie z. B. in Gudrun Lerchbaums Krimi “Wo Rauch ist”, der 2018 im Argument Verlag erschienen ist. Frau Lerchbaums neuster Roman ist nun zum einem im Haymon Verlag erschienen, der sich ja erst kürzlich neu aufgestellt hat, zum anderen eher kein Krimi, auch wenn wirklich viele Leute sterben. Aber – worum geht es?

Saisonales
Ja, ich gebe es zu, auch ich bin großer Fan von Bärlauch. Schmeckt einfach gut und ist eben etwas Besonderes allein schon dadurch, dass er nur zu einer bestimmten Zeit zu bekommen ist. Allerdings bin ich jetzt auch nicht so der Natur- und / oder Wandertyp – ich kauf den einfach. Wer aber nun zum Bärlauch sammeln in den Wald geht, sollte zukünftig sehr acht geben. Vor allem in Wien. Dort hat sich nämlich ein Pilz auf dem Bärlauch gemütlich gemacht und beschert den Sammlern zwar einen irren Glücksmoment, aber eben auch einen schnellen Tod. Das Viennese Weed ruft nun die verschiedensten Auswüchse menschlichen Verhaltens hervor.

Ein Wiedersehen
Man könnte es Figurenrecycling nennen – sehr nachhaltig, sozusagen also im Trend der Zeit – aber auch einfach einen klugen Schachzug der Autorin, die Hauptfiguren aus ihrem vorigen Krimi wieder auftreten zu lassen. Denn sowohl Olga Schattenberg als auch Christiane Bach, Kiki genannt, trifft man gerne wieder. Olga mittlerweile immer mehr von ihrer Multiplen Sklerose zur Handlungsunfähigkeit verdammt und auf Kikis Hilfe angewiesen, sieht in Viennese Weed einen Notfallplan und schickt Kiki in den Wald, um etwas von dem Bärlauch zu ergattern. Dort wiederum trifft Kiki auf Jasse, eigentlich Jasmin, eine Jugendliche mit einer Unmenge an Problemen. Aufmüpfig oder verloren – wohl er beides, wie das bei Teenagern ja oft der Fall ist. Diese Zufallsbekanntschaft vertieft sich durch eine ermordete Moderatorin und beginnt die kriminelle (Neben-)Handlung der Geschichte.

Krimi hin oder her
Doch auch wenn die Moderatorin vorsätzlich den Bärlauch aufgetischt bekommt, ist sie nicht die einzige die stirbt, denn der giftige Bärlauch lockt die unterschiedlichsten Typen aus ihren Löchern. Da sind natürlich diejenigen, die unabsichtlich sterben, da sie einfach Bärlauch genießen wollten und die tödliche Wirkung noch nicht bekannt war, aber schnell reihen sich Leute ein, die ihrem Leben oder dem Leben anderer ein Ende setzen wollen. Den Behörden fällt es mitunter schwer zu ermitteln, wer nun wer ist – freiwillig gestorben oder eben nicht – zumal sich die Todesfälle ja auch häufen und die Ressourcen der Polizei begrenzt sind. Auch der Versuch die Bärlauchpopulation zu dezimieren, will gelernt sein und gelingt nicht so gut.

Pandemie oder nicht Pandemie – das ist hier die Frage!
Fast ganz ohne die real herrschende Pandemie einzubeziehen, gelingt es der Autorin einige Gedanken dieser Zeit auf eine kleine, lokale Epidemie umzusetzen und sich mit vielen Fragen der Gesellschaft auseinander zu setzen, bzw. dem Leser hierhingehend Denkanstösse zu geben. Natürlich wird es immer Menschen geben, die denken, sie müssten andere umbringen und es wird wohl auch immer Menschen geben, die ihre Situation so auswegslos erachten, dass sie an Selbstmord denken – und natürlich gibt es auch immer welche, die daraus ein Geschäft machen. Doch was ist mit Menschen wie Olga, die einen Notfallplan möchten, wenn es ihnen noch schlechter geht oder Menschen, denen es eben schon sehr schlecht geht? Die schwer krank sind und leiden – ist ein selbstbestimmtes Sterben möglich?

Fazit
Ganz neben der Tatsache, dass ich sowohl Gudrun Lerchbaums süffigen Schreibstil mag und ihre Charaktere immer interessant und ungewöhnlich sind, ohne dabei abstrus zu sein, regt mich die Lektüre ihrer Bücher zum Nachdenken an. Ja, ich mag auch Bücher, die “nur” spannend sind, aber bevorzugt hab ich doch Bücher bzw. Krimis, die ein Thema transportieren, es aus verschiedenen Blickwinkel betrachten, aber keine festgelegten Meinungen präsentieren, sondern Denkanstösse geben. Wenn dies alles dann noch in einer guten Krimihandlung verpackt ist, dann hab ich doch alles, was mein Leseherz begehrt. Eine klare Leseempfehlung an all – und bitte weiter so, Frau Lerchbaum. Weitere Buchperlen aus ihren fähigen Fingern dürfen gerne folgen!


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Alle kleinen Tiere – Anne Goldmann

Anne Goldmann – Alle kleinen Tiere
Verlag: Argument Verlag
301 Seiten
ISBN: 978-3867542517

Ich bin traurig. Wer meinem Blog schon von Anfang an folgt, wird mitbekommen haben, dass ich ein großer Fan von Anne Goldmann und ihren Büchern bin. Deshalb hab ich mich natürlich außerordentlich gefreut, als ihr neues Buch “Alle kleinen Tiere” hier bei mir angekommen ist. Wie so oft, wollte ich es nicht gleich lesen, sondern es mir für eine besondere Zeit aufheben. Nun habe ich es in meinem Urlaub gelesen, bin total begeistert und gleichzeitig sehr traurig. Denn ein nächstes neues Buch wird es nicht geben. Leider ist Anne Goldmann dieses Jahr verstorben.

Somit wird dies nicht nur eine kleine Rezension zu ihrem neusten Streich, sondern auch ein kleiner Blick zurück. Ganz unten könnt Ihr die Links zu meinen Rezensionen ihrer vier anderen Bücher finden, aber auch den Link zu den beiden Interviews, welche ich 2017 und 2018 mit ihr führen durfte. Auch erinnere ich mich gerne daran, dass ich Anne Goldmann einmal auf der Leipziger Buchmesse getroffen habe und mich ganz wunderbar mit ihr unterhalten habe. Noch heute bin ich erstaunt darüber wie interessiert sie an mir als Person war – eigentlich ist es ja eher umgekehrt, dass man als Leser ein tiefes Interesse an der Autorin / dem Autor hat, doch hier hab ich mich auf einer Höhe gefühlt und gleich auch wohl gefühlt.

Dieses Treffen wird mir immer in Erinnerung bleiben und ihre 5 Bücher bleiben natürlich in meinem Bücherregal, so dass ich sie immer wieder hervorziehen und nochmal lesen kann. Das ist bei einem Krimi nun oft ein wenig langweilig, da man ja das Ende der Geschichte schon kennt, doch Anne Goldmann schafft es in ihren Geschichten, so ausgezeichnet unterschwellig  Spannung aufzubauen, dass jede nochmalige Lektüre eine Bereicherung und alles andere als langweilig ist.

Und so ist das auch bei “Alle kleinen Tiere”. Wer nun aber Thriller im Sinne von Sebastian Fitzek, Chris Carter oder ähnlichen erwartet, der wird enttäuscht sein, denn hier wird die Spannung nicht brutal mit dem Hammer (oder wahlweise Messer, Kreissäge, etc – ihr wisst schon) erzeugt, sondern subtil und hauchdünn. Und damit gelingt es der Autorin eine wesentlich bedrohlichere Atmosphäre aufzubauen, als es bluttriefende Psychothriller jemals könnten. Die Situationen sind alltäglich und die Bedrohungen klein, aber deshalb nicht weniger bedrohlich für die Menschen, die darin gefangen sind.

“Alle kleinen Tiere, dachte er, werden von den großen gefressen. Das war schon immer so.” (S. 76)

Der Plot der Geschichte dreht sich um 4 Personen: Rita, die viele wohl als dumm bezeichnen würden, Ela, die von ihrer Vergangenheit und Alpträumen heimgesucht wird, Tom, der in ständiger Gefahr vor den Nachbarn lebt und Marisa, die nicht allein sein kann und will. Alle vier sind ganz normale Menschen, keine Ermittler oder Journalisten, lose verbunden durch einige Vorfälle und zwei Grundstücke.

Viel mehr zum Inhalt will ich gar nicht erzählen, doch alle vier waren für mich Sympathieträger. Sie sind sich sehr unterschiedlich und eine skurril zusammengewürfelte Truppe, auch wenn man das nicht falsch verstehen sollte – anfangs kennen sich gar nicht alle und erst nach und nach zeigt sich, wie sie in der Geschichte miteinander verbandelt sind, bzw werden. Doch eins eint sie: jeder hat vor etwas Angst: der Vergangenheit, dem Alleinsein, vor der Bloßstellung, vor Hunden usw. Alltägliche Ängste, wovon jeder welche hat. Es gibt wohl kaum Menschen, die keine Angst haben, nur viele wissen damit umzugehen. Alle vier leben in einem sehr fragilen Leben, welches schon durch kleine Geschehnisse ins Wanken kommt und ihre alltägliche Normalität bedroht.

Und diese Bedrohung ist es eben, die den Thriller – oder ich will es lieber Spannungsroman nennen – zu etwas besonderem macht. Es sind vielleicht nur kleine Dinge, vielleicht unbedacht, vielleicht nicht, aber sie können das sorgfältig aufgebaute Leben einstürzen lassen. Natürlich kann die Autorin aber auch mit handfesteren Themen punkten, die sie eingebaut hat. Es geht um Wohnungsbaupolitik, nur am Rande, aber nicht unwesentlich für die Geschichte, um verpfuschte Kindheiten und unglückliche Erben, um Selbständigkeit, Freundschaft und das Glück im Kleinen.

Und doch endet das Buch für mich mit einer Ungewissheit, denn eine der Protagonisten ist eine unzuverlässige Erzählerin  – und wer garantiert mir, dass die anderen dies nicht auch sind? So frage ich mich, wie viel Innenleben der Protagonisten die Autorin preis gegeben hat und wie viel sie zurückgehalten hat. Und damit weckt sie Gedanken, die ich mir am Ende des Buches stelle und mich noch weit nach der Lektüre beschäftigen. So wie es ein gutes Buch ja auch soll.

Fazit:
Für mich sind Anne Goldmanns Spannungsromane immer ein absolutes Highlight.. Ich liebe die Art, wie sie eine bedrohliche Atmosphäre schafft und darin ganz normale Menschen darum kämpfen, ihre kleine Normalität wieder zu erlangen, zumindest soweit möglich. Das alltägliche Leben kann eben viel bedrohlicher sein als jeglicher erdachte Serienkiller – und mir persönlich macht das auch viel mehr Spaß zum Lesen. Ein grandioses Leseerlebnis und somit nur zu empfehlen.

Weiterführende Links zu meinen Rezensionen von Anne Goldmann:

Sowie die Links zu den beiden Interviews mit Anne Goldmann: