
Kriminalliteratur aus Nordkorea gibt es nicht. So wie vieles anderes. Immer wieder erschreckt es mich, wenn ich eine Dokumentation von dort sehe und doch bleibt immer unklar, ob diese Bilder wirklich das Nordkorea zeigen, wie es den Journalisten vorgeführt wird. Aus Südkorea gibt es dafür immerhin einiges an Kriminalliteratur, auch wenn es mehr sein könnte. Doch besonders dieses Buch hat mich angezogen. Ein nordkoreanischer Spion, der schon 20 Jahre in Südkorea lebt, vergessen von seiner Regierung, verheiratet, mit Kind. Keiner würde denken, dass Kim Giyoung kein Südkoreaner ist. Doch dann erhält er eine verschlüsselte Botschaft, eine Nachricht aus Nordkorea: er soll nach Pyöngjang zurückkehren, in den nächsten 24 Stunden.
„Im Allgemeinen ist die Vorstellung, die man von Spionen hat, völlig verzerrt: Mata Hari, intrigante Schönheiten, Einbrüche, Fluchtszenen, Minikameras, Bestechungen, Erpressungen. Die meisten Informationen, die sie herausbekommen, sind der Öffentlichkeit schon bekannt. […] Auf eine gewisse Weise waren sie Wissenschaftler und Sammler, die immer zwischen den Zeilen zu lesen versuchten.“ (S. 90)
Vor zehn Jahren ist Giyeongs Betreuer aufgedeckt worden, so dass er seitdem ohne Kontakt nach Nordkorea, ohne Auftrag oder Aufgabe sein Leben lebt. Davor hatte er durchaus Aufgaben, hat Aufträge ausgeführt, hat getötet. Er war einer der besten in der Ausbildung, war stolz darauf, seinem Land auf diese Weise zu dienen. Doch das ist lange her. Seit zehn Jahren lebt er unbehelligt, geht seiner Arbeit als Filmimporteur nach, lebt in einer stagnierenden Ehe, hat eine kluge Tochter. Das Leben plätschert so vor sich hin. Die Nachricht ändert alles. Giyoung muss sich darüber klar werden: geht er zurück, lässt er seine Familie zurück, alle Annehmlichkeiten, alles, woran er sich gewöhnt hat. Oder bleibt er in Südkorea, wird vielleicht getötet, muss sich der Polizei stellen, um Sicherheit zu bekommen. In diesen 24 Stunden sucht Giyeoung Kontakt zu anderen Spionen, rätselt , ringt mit sich, überlegt, welche Entscheidung die richtige für seine Zukunft ist, aber vor allem, welche die richtige Entscheidung für seine Familie ist.
Gleichzeitig folgt der Leser in diesen 24 Stunden aber auch Mari, seiner Frau, und Hyonmi, seiner Tochter. Warum das so ist, erschließt sich mir nicht ganz. Zumindest Hyonmi erfährt während des gesamten Buches nicht, dass ihr Vater ein Spion ist und aus Nordkorea stammt. Man folgt ihr in den Schulalltag und nach Hause zu einem Klassenkameraden, in den sie sich verliebt hat. Das war es. Auch Mari folgen wir Leser durch den Alltag, ihrem Job in einem Autohaus, dem Mittagessen mit ihrem jüngeren Geliebten, der sie zu einem Dreier drängt. Immerhin wird Mari am Ende des Buches damit konfrontiert, dass ihr Mann ein nordkoreanischer Spion ist. Und doch hätte ich mir bei beiden Erzählsträngen, von Mari und von Hyonmi, gewünscht, dass diese mehr Interaktion mit Giyoung haben, dass das Geheimnis früher aufgedeckt wird, um dem Roman mehr zu verleihen. Mehr Spannung. Mehr Interaktion. Mehr Wendungen.
Denn ganz ehrlich, diese habe ich vermisst. Die Geschichte plätschert so vor sich hin, folgt mal Giyoung, mal Mari, mal Hyonmi, mal einigen wenigen anderen, die in diesem Dunstkreis auftauchen. Giyoung erinnert sich an seine Zeit in Nordkorea, seine Familie dort, seine Ausbildung, wie er nach Südkorea kam und das auf ihn wirkte. Wie schwer es ist, sich in ein Land zu integrieren, in dem man nicht aufgewachsen ist und alle anderen dies nicht wissen, nicht wissen dürfen. Ein solider Einblick in die Unterschiede zwischen süd- und nordkoreanischer Kultur und Gesellschaft, aber mehr auch nicht. Zum letzten Drittel hin wird es dann doch noch ein wenig spannender, taucht doch der südkoreanische Geheimdienst noch auf.
Nichtsdestotrotz, ein Roman, ein Spionageroman – denn Krimi oder gar Thriller möchte ich ihn nicht nennen – der sich süffig lesen lässt und nicht langweilig war, von dem ich mir aber mehr Interaktion erhofft habe. Ich habe keinesfalls erwartet James Bond zu treffen, mir ist klar, dass das Spionageleben durchaus für die meisten Spione doch eher langweilig ist, Arbeit eben. Wenn auch ein wenig andere Arbeit. Doch ich hatte mir mehr erhofft, indem Giyoungs Geheimnis gelüftet wird, dass er sich seiner Familie offenbaren muss. Und wenn das schon nicht, dass er nach einem Ausweg sucht. Das tut er zwar, aber doch eher passiv, nur mit wenig Aktion. Nun ja, insgesamt muss man wohl sagen, dass das Buch durchaus eine passable Lektüre war, mich aber nun nicht zum heißglühenden Leser hat werden lassen. Schade.
Fazit:
Ein eher ruhiger, nachdenklicher Roman, über einen nordkoreanischen Spion in Südkorea, der zurückgerufen wird. Überzeugen konnten mich die Details aus Nordkorea, die Beschreibung des „Kulturschocks“ des Spions, der nach Südkorea kommt und die süffige Leseweise. Doch wenig Aktion, viele Handlungsstränge, welche die Hauptgeschichte nicht voran bringen und Spannungsarmut konnten mich nicht vom Hocker hauen.

Kim Young-ha – Im Reich der Lichter
Verlag: Heyne
Übersetzer: Kyong-Hae Flügel und Angelika Winkler
414 Seiten
ISBN: 978-3453405448