Doris Gercke – Frisches Blut. Deutsche Geschichten
Verlag: Argument
203 Seiten
ISBN: 978-3867542357
Kurzgeschichtenbände zu rezensieren fällt mir nie leicht. Irgendwie fällt es mir schwer, auch noch über die Inhalte der doch eh schon kurzen Geschichten zu berichten. Nichtsdestotrotz lese ich immer wieder mal gerne Kurzgeschichten. Auch gerne mehrere zusammengefasst in einem Buch. Doris Gerckes Buch hat mich aber nicht nur deshalb angesprochen, sondern weil ich tatsächlich noch nichts von Doris Gercke kenne. Nein, ich habe noch keinen Bella Block Krimi gelesen, oder gesehen. Mal wieder ein blinder Fleck auf meiner Krimilandkarte, den ich jetzt schließen kann.
Enthaltene Geschichten:
Hafenrand
… eine Obdachlose möchte auch mal eine Reise unternehmen
Der Richter von Unna
… ist verliebt
Wohlers Allee
… die Chilenin und der deutsche Botschafter
Der Rest von Etwas
… eine Frau findet einen Koffer
Eine Lobby
… Kinder und Statistiken
Die Huren von Hagen
… verteidigen sich
Die sanften Hügel der Türkei
… eine verlorene Liebe
Frisches Blut
… ein Wirt macht Beobachtungen
Eine triviale Geschichte
… eine maßlose Frau
Das Meer ist blau
… eine alte Geschichte auf Teneriffa
Bass goes Föhr
… eine Stammtischgeschichte
Zwei Fremde in Schaffhausen
… ein langsamer Ausstieg
Der Bulle von Gelsenkirchen
… ein ungelöster Fall
Vor Gericht
… eine Befreiung
Winterquartier
… natürlich ohne Einwilligung der Eigentümer
Die Geschichten beschreiben die Realität, berichten ruhig und sachlich vom alltäglichen Leben. Einige Charaktere haben noch nicht mal Namen, manche nur Berufe oder gar keine bestimmte Bezeichnung. Auch gibt es, wie in Kurzgeschichten ja eh selten, keine genauen Charakterbeschreibungen, aber doch genug, um zu wissen, was für ein Mensch das hier ist, der gerade die Geschichte erlebt. Beschreibungen werden eh von zu vielen AutorInnen zu häufig benutzt, eigentlich sollte man es mehr und mehr dem Leser überlassen, sich den Charakter vorzustellen, aus dem was er tut, aus seinen Handlungen heraus. Ob der- oder diejenige dann blonde oder braune Haare hat, spielt doch kaum eine Rolle.
Alle Protagonisten der Kurzgeschichten sind oder werden kriminell, aber nicht mit einem Paukenschlag, es stecken kaum perfiden Pläne oder bösartigen Menschen dahinter. Es sind Alltäglichkeiten, die passieren. Sie verführen, überzeugen, drängen die Protagonisten in eine Situation, die sich nur noch kriminell lösen lässt. Zwar nicht immer, doch oft sind die Charaktere Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben. Huren und Zechpreller, Obdachlose und Geflüchtete, Gestrandete und Verzweifelte. Trotzdem aber nicht der Bodensatz der Gesellschaft, sondern eine Mischung. Der gut situierte Richter findet sich auch hier, genauso wie der pensionierte Polizist.
Die Geschichten beginnen alle in der Normalität, begleiten die Charaktere in ihrer üblichen Umgebung, bevor sie erst zum Ende hin kriminell und morbide werden. Nur langsam offenbaren sie ihr kriminelles Gemüt, zeigen die Wirklichkeit düster und noiresk. Ruhig und kühl erzählt die Autorin diese Geschichten, einmal sogar fast wie einen Bericht. Die Konferenz in „Die Lobby“ sticht sowieso hervor aus diesen Geschichten, wird sie doch von jemandem erzählt, der gar nicht in Erscheinung tritt. Jeden Tag habe ich eine Geschichte gelesen und sie auf mich wirken lassen, nicht alle Geschichten aufeinander fortfolgend gleich gelesen. Es gibt Geschichten, die mochte ich mehr, manche etwas weniger, doch die erste Geschichte ist mir am eindrücklichsten in Erinnerung. Vielleicht weil es um eine Obdachlose geht, vielleicht weil es nur ein geringes Verbrechen ist. Vielleicht weil ich mich hier am eindrücklichsten gefragt habe, wo denn nun der kriminelle Part der Krimikurzgeschichte bleibt, bevor er mich am Ende kalt erwischte.
Fazit:
Eine wunderbare Sammlung an Kurzgeschichten von der fantastischen Doris Gercke. Normal, real und noir. So, wie ich meine Kurzgeschichten liebe.