Die dunklen Felle

Krimis, Thriller und Science Fiction


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Ein Fluss so rot und schwarz – Anthony Ryan

Anthony Ryan – Ein Fluss so rot und schwarz, Übersetzerin: Sara Riffel, Verlag: Tropen Verlag, 272 Seiten, ISBN: 978-3-608-50179-7

Huxley ist einer von sechs Menschen, die auf einem Schiff mitten im Nirgendwo erwachen. Der siebte ist tot – Selbstmord. Keiner der Sechs kann sich an Persönliches erinnern, doch alle scheinen bestimmte, nützliche Fertigkeiten zu besitzen. Und alle haben einen Namen auf den Arm tätowiert, alles Namen von SchriftstellerInnen. So wie Huxley, der vermutlich mal Polizist war. Wer er war, ob er Familie hatte, das alles weiß er nicht. Die Sechs erkunden das Schiff und stellen fest, dass es automatisch gesteuert ist und sie keine Möglichkeit haben einzugreifen. Viel erkennen können sie auch nicht, denn mysteriöser roter Nebel umgibt  sie. Doch nach und nach öffnen sich Fächer, klingelt ein Satellitentelefon, das Ufer wird sichtbar und Hinweise ergeben sich – sie nähern sich London, einem postapokalyptischen London. Doch dort ist etwas passiert und die Sechs sind losgeschickt worden, um das Grauen dort zu bekämpfen.

 Natürlich ist es die mysteriöse, unheimliche Spannung und das Nichtwissen der sechs Personen auf dem Schiff, welche die ganze Geschichte vorantreiben und einen unheimlichen Sog entwickeln. Angefangen mit dem grundsätzlichen Misstrauen in der Gruppe, nachdem alle aufwachen und einen von ihnen tot auffinden. Keiner kann dem anderen trauen, denn keiner kennt den anderen – aber eben auch nicht sich selbst. Alle haben die gleichen Narben, auf dem Kopf und im Bauchbereich, doch keiner kann sich erinnern, warum. Sie finden heraus, dass jeder eine Art Spezialist ist: Ärztin, Soldat, Polizist, Physikerin, Historiker und Polarforscherin. Doch allen ist gemein, dass sie sich nur an Fakten, an Fertigkeiten, an automatisierte Abläufe erinnern. Keiner hat Erinnerungen an Familie, Freunde, persönliche Ereignisse. Und wenn sie sich zu erinnern versuchen, erleiden sie Schmerzen.

Auch der Leser bleibt mit den Figuren im Ungewissen und erfährt nichts im Voraus. Da allen Figuren das Privatleben abhanden geht, fällt es einem auch schwer, Bezug zu jemanden herzustellen. Bei einigen musste ich mich immer wieder vergewissern, wer denn wer ist. Einzig zu Huxley, aus dessen Sicht die Geschehnisse geschildert werden, und zu Rhys, der Ärztin, baut man eine Verbindung auf – das hat auch seinen Grund. Die Geschichte besticht also nicht unbedingt mit Charakterzeichnung – da fehlt dann irgendwie doch das persönliche. Doch andererseits ist das auch gut so, denn allen voran soll hier die unheimliche Atmosphäre, die mysteriösen Vorkommnisse und die nach und nach enthüllten Tatsachen wirken und das gelingt auch.

Wenn man das Buch in zwei Teile aufteilt, so lebt es anfänglich von dem Nichtwissen der Charaktere und dem Dürsten nach Informationen, den unheimlichen Kleinigkeiten und der Interaktion der Gruppe. Der zweite Teile artet dann in repetitive Handlungen aus – von denen man sich zweifellos die eine oder andere hätte sparen können – die aber unweigerlich auf einen großen Showdown zusteuern. Zuviel möchte ich hier natürlich nicht verraten, aber der Autor hat noch einiges, was er am Ende auspackt.

Insgesamt war das Buch einfach wirklich gute und spannende Unterhaltung mit einer gehörigen Portion mysteriöser und unheimlicher Atmosphäre, blutrünstigen Kämpfen und einem gewaltigen Showdown. Wer seine Thriller gerne auch mal postapokalyptisch/dystopisch und mit ordentlich Schmackes mag, kann hier nichts falsch machen. Spannend, unheimlich und in einem Rutsch weggelesen – genau das Richtige für einen verregneten Herbstnachmittag.


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Die andere Mrs. Walker – Mary Paulson-Ellis

Mary Paulson-Ellis – Die andere Mrs. Walker, Übersetzung: Kathrin Bielfeldt, Argument-Verlag, 441 Seiten, ISBN: 978-3867542609

Margaret Penny steht in der Mitte des Lebens und hat nichts mehr – Job verloren, Heim verloren, Liebe verloren. Aller Träume beraubt fährt sie nach Edinburgh und schlüpft bei ihrer Mutter unter, die ihr aber schon beim Reinkommen nahelegt, nicht zu lange zu bleiben. Na denn – frohes neues Jahr!
Für Margaret ergibt sich dann zufällig die Chance, im Auftrag des Amts für Hinterbliebene zu arbeiten. Sie soll herausfinden, wer die tote, alte Frau war, von der man nicht mehr weiß, als dass sie Mrs. Walker hieß und die nur wenig zurückgelassen hat: ein paar Mandarinenkerne, ein grünes Kleid, eine Paranuss, auf der etwas winzig klein eingeritzt ist, ein vergilbtes Foto…. Zuerst wohl mehr mit der Hoffnung, dass etwas (oder etwas mehr) Bares für sie rausspringt, wird Margaret von der geheimnisvollen Mrs. Walker und den Bruchstücken ihrer Geschichte, die sie nach und nach aufdeckt, in den Bann gezogen.

Selten habe ich ein Buch aus dem Argument Verlag gelesen, dass so sehr einen Bezug zu dessen Kategorie “Ariadne” hat, in dem der Verlag Krimis und Noirs veröffentlicht. Denn fast bildlich kann man auf jeder Seite den Ariadnefaden schlängeln sehen, vom heutigen Edinburgh hinein und wieder heraus in die vergangenen Jahrzehnte. Auf der einen Seite haben wir Margart Penny, die, ohne noch etwas zu haben, im eiskalten Edinburgh aufschlägt. Einen Ort, den sie glaubte, hinter sich gelassen zu haben. Die sich durch Totenfeiern und Leichenhäuser fragt, bei Nachbarn und Geschäften anklopft, sich sogar einen Trip zurück nach London ergaunert, und doch bleibt Mrs. Walkers Leben für Margaret diffus und sie fragt sich mehr und mehr, was von ihr selbst irgendwann übrig bleibt, am Ende.

Die zweite Zeitebene spannt sich über mehrere Jahrzehnte, beginnend Ende der Zwanziger zieht sie sich über den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegsjahre ins Hier und Heute. Es beginnt mit Alfred und Dorothea Walker und ihrer Tochter Clementine, sowie der Geburt von Zwillingen. Und während die Jahre vergehen, folgen wir dieser Familie über die Zeit, erleben den Krieg mit all seinen Schrecken und Grausamkeiten, die Einschränkungen der folgenden Jahre. Immer wieder schrabbt die Geschichte an Verbrechen, lockerer Moral und gefährlichen Unternehmungen, oft im Kleinen und Verborgenen, quasi ein Arrangieren mit den Umständen.

Häufig ist eine klare Zuordnung zum Genre in den Krimis aus dem Argument Verlag schwierig, aber diesmal finde ich das so gar nicht. Auch ohne Mord und Totschlag hat Margaret Pennys Suche nach Mrs. Walkers Leben mehr mit der Arbeit einer Privatdetektivin gemein, als in manch anderen Büchern, die sich das offiziell auf die Fahnen schreiben. Verbunden mit einem Spiegel des heutigen Edinburgh und der Geschichte um die Familie Walker, umspannt das Buch mehrere Jahrzehnte Zeitgeschichte, vor allem aus Sicht der Walker und Penny Frauen, und baut durch diese Mixtur eine ungemeine Spannung auf.

Und so folgt man gespannt dem Ariadnefaden, gleitet durch die Kapitel und verknüpft die Geschichte nach und nach, erlebt Edinburgh und London, damals und heute, eine Detektivgeschichte auf der einen, und eine Familiengeschichte auf der anderen Seite. Folgt den kleinen Hinweisen, bei denen man am Anfang nicht mal ansatzweise sagen kann, wohin sie führen oder gar warum sie von Bedeutung sind. Wie so oft konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen, wollte alle Geheimnisse aufdecken, den Walker und den Penny Frauen folgen, ihr Leben nachspüren und miterleben. Eine mitreissende Geschichte, die mit detektivischem Spürsinn von Margaret Penny und dem Leser gelüftet wird, aber eben auch gleichzeitig ein Stück Zeitgeschichte.

Fazit:
Manchmal komme ich mir ein wenig vor, als würde ich immer das Gleiche zu den Krimis aus dem Hause Argument schreiben, aber das sagt nur eins: dass die Auswahl des kleinen Verlags vorzüglich getroffen ist und ich immer, wirklich immer darauf vertrauen kann, ein großartiges Leseerlebnis geboten zu bekommen. So möchte ich mich auch hier einfach wiederholen: unbedingt lesen!


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Lesetipp: Gimme More – Liza Cody

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Liza Cody – Gimme More
Verlag: Argument
Übersetzung: Pieke Biermann
398 Seiten
ISBN: 978-3867542432

 

 

 

 

Eigentlich mach ich ja gerade ein bisschen Pause vom Rezensieren und fühle mich damit auch sehr wohl. Aber nachdem nun gerade ein Titel erschienen ist, dem ich quasi schon Ewigkeiten hinterher renne und ich nun, nach der Lektüre weiß, dass ich hier schon viel früher hätte zuschnappen sollen, muss ich es einfach empfehlen.

Es geht um Liza Codys „Gimme More“. Vor Jahren ist das Buch im Unionsverlag erschienen, leider war Liza Cody mir zu dieser Zeit noch kein Begriff. Als ich die Autorin dann durch ihre vielen Bücher, allen voran Lady Bag, im Argument Verlag kennengelernt habe, bin ich auch über „Gimme More“ gestolpert, aber das Buch war eben nur noch antiquarisch erhältlich. Ich kaufe nun durchaus auch gerne gebrauchte Bücher, aber manchmal lässt der Zustand schon zu wünschen übrig, so dass ich bei „Gimme More“ ewig gezögert habe, denn – und das versteht bestimmt nur jemand der auch verrückt nach Büchern ist – ich wollte das Buch gerne in einem hübschen, auf jeden Fall noch ansehnlichen Zustand.

Dann endlich, letztes Jahr Weihnachten, habe ich mich dazu durchgerungen, das nur noch gebraucht erhältliche Buch  auf meine Wunschliste zu setzen und habe es auch bekommen. Juchu!
Um nur nach wenigen Tagen, Wochen, die neue Ausgabe von „Gimme More“ in der Vorschau des Argument Verlags zu entdecken! Und ja, ihr vermutet richtig, die hab ich mir natürlich auch bestellt.

Warum ich das nun alles erzählt habe?
Ein ganz kleines bisschen, weil ich mich geärgert habe. Darüber, dass ich schon so lange um dieses Buch herumgeschlichen bin. Aber hauptsächlich deshalb weil ich unbedingt möchte, dass jeder, wirklich jeder dieses Buch liest. Gut, das ist jetzt nichts neues – das wünsche ich mir für jedes Buch von Liza Cody. Aber eben auch, weil sie einfach so verdammt gute Geschichten schreibt und immer nur zu empfehlen ist.

Und eine wirklich geniale Geschichte ist ihr auch hier wieder gelungen. Eine Geschichte über das Rock’n’Roll Business, darüber wie zerfressen und missgünstig es ist, wie wenig Kunst sich mit Geld und Erfolg vereinen lässt, das alles nur Schein ist und nur wenige an vielen verdienen. Und es ist die Geschichte von Birdie Walker, einem blonden Anhängsel, dem nichts zugetraut wird, die aber mehr vom Business versteht als man(n) denkt.

Eine Geschichte, die mich überrollt und begeistert platt gefahren zurückgelassen hat, ein Buch, dass man nur ungern zuklappt, eine Protagonistin, die man weiter begleiten will. Ein Krimi? Na, ein bisschen, aber eigentlich nicht, trotzdem ungemein spannend, eine wilde Fahrt als Birdies Sozius, ein austarieren und täuschen, nichts ist wie es scheint und jeder muss sich selbst am nächsten sein. Aber Birdie, die, ja die ist etwas ganz besonderes. Eine Überlebenskünstlerin, eine Kuriosität und immer unterschätzt. Die  Geschichte um Birdie hat schon ein paar Jährchen auf dem Buckel, aber nichts von ihrer Aktualität eingebüßt, sie ist spritzig, witzig und abgefahren. Und endet mit einem leisen, aber feinen Knall. Puh – schon zu Ende. Ich bin zurück aus dem Birdie-Kosmos, fühl mich ein wenig ausgelutscht, aber sehr sehr glücklich.

„Gimme More“ ist sehr, sehr, sehr genial und absolut zu empfehlen.
Bitte unbedingt im lokalen Buchhandel oder direkt beim Verlag bestellen. Es lohnt sich.

So, und weil Leser – also ich zum Beispiel – nun mal unersättlich sind, drücke ich nun die Daumen, dass der Argument Verlag alsbald Liza Codys Reihe um Privatdetektivin Anna Lee neu herausgibt, denn die kenne ich auch noch nicht und es will doch keiner, dass mir diese Kostbarkeiten erneut so lange entgehen, oder?


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Women rule: Die Nacht ist unser Haus – Jules Grant

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Jules Grant – Die Nacht ist unser Haus
Verlag: Heyne
Übersetzerin: Viola Siegemund
352 Seiten
ISBN: 978-3453439153

 

 

 

Wenn Else Laudan das Buch empfiehlt und Simone Buchholz sogar auf dem Rückcover zitiert wird, ist es quasi ein Muss, dieses Buch zu lesen. Aber ich gebe zu, ohne Elses Empfehlung wäre mir das Buch auch durchgegangen. Unscheinbar und mit einem sperrigen Titel versehen – der allerdings im Englischen nach länger und sperriger ist – springt es einem nicht gerade ins Auge und im stationären Buchhandel hab ich es auch nicht gesehen. Wobei das mittlerweile – leider – auf sehr viele Bücher zutrifft, die ich lese. Sei es drum, das Buch hat zu mir gefunden! Auch die Lektüre war nicht ganz so einfach wie gedacht, aber einfach kann eben jeder. Eine Herausforderung ist da schon was ganz anderes. Aber fangen wir mal vorne an.

Donna und Carla kennen sich seit Ewigkeiten, aus dem Kinderheim. Beste Freundinnen, vielleicht auch mehr. Mittlerweile führen sie eine Gang, eher Donna als Carla, aber die beiden gibt es eben nur im Doppelpack. In der Gang sind nur Frauen, Lesben um genauer zu sagen, und sie verticken Drogen. Liquid Ecstasy zum Beispiel, auf den Toiletten der Clubs der Gegend. Und da muss sich sehr genau an die Grenzen gehalten werden, denn Manchesters Viertel sind genau aufgeteilt und Grenzüberschreitungen werden hart geahndet. Ihre Gang ist eine von vielen, in einem fragilen, von außen fast unübersichtlichem Gefüge. Donna ist nun nicht sehr gebildet, aber schlau und pfiffig. Fehler macht sie nur einmal, denn wer einen Fehler zweimal macht, ist dumm. Und das ist Donna nicht. Missmutig, jähzornig – Donna ist vieles, aber Carla kann Donna um den kleinen Finger wickeln. Doch jetzt hat sich Carla eine Schnellschussaktion zuviel geleistet. Sie klaut dem Mitglied einer anderen Gang die Frau. Schwerer Fehler, denn jetzt gibt es Krieg.

Klappentext und Prolog verraten es schon – Carla stirbt und hinterlässt eine Tochter, eine rotzfreche Göre, Aurora, die quasi schon auf dem besten Weg ist, es Donna und Carla gleich zu tun. Doch bevor Carla ermordet wird, lernt der Leser erst mal die Strukturen kennen. Wie die Frauen in Donna’s Gang so aufgestellt sind, welche anderen Gangs in Manchester vorherrschen, die Gebietsaufteilungen – wie eine Schattenwelt, die neben dem eigentlichen Manchester existiert, aber trotzdem tief darin verwurzelt ist. Donnas Gang ist auf Drogen spezialisiert, hier arbeiten sie aber auch mit anderen zusammen, Gewaltbereitschaft ist da und wird zur „Revierverteidigung“ genutzt. Doch dieses Gefüge bricht nun. Dabei ist Carlas Tod nur eine Komponente, denn die Polizei führt einen Großschlag gegen die Gangs in Manchester durch und einige Anführer landen im Knast. Dies verursacht eine Neuverteilung der Macht, in der Carla nur ein Puzzlesteinchen ist. Donna braucht eine Weile, um dahinter zu kommen, steht bei ihr doch an erster Stelle, Carla zu rächen.

Die Sprache des Krimis ist recht derbe, einfach und ein wenig ordinär, eben passend zum Milieu. Zumeist wird die Geschichte aus Donnas Sicht geschildert, doch auch Aurora kommt, vermehrt zum Ende hin, zu Wort. Hin und wieder fand ich das Buch zäh, was aber hauptsächlich dadurch kommt, dass Carlas Tod schon bekannt ist, aber dann tatsächlich erst nach einer ganzen Weile passiert. Und wer nun hier aber Wunder was erwartet hat, weil die Gang aus Frauen und zusätzlich auch noch nur aus Lesben besteht, wird enttäuscht sein, denn die Frauen stehen den Männern hier nichts nach. Es wird gedealt, gesoffen, selbst Drogen genommen, es gibt viel Sex und Beziehungen, die Mädels schmeißen sich, wenn nicht so gar noch enthusiastischer, in den Kampf, lassen sich nichts bieten, wissen Grenzüberschreitungen auch entsprechend demütigend zu bestrafen und nutzen schlau ihre Vorteile. Wer mit Krimis um Gangs nichts anfangen kann, wird auch hier nicht zufrieden sein. Alle anderen erwartet ein Gangkrieg in Manchester, bei dem die Frauen den Männern mal ordentlich den Arsch versohlen.

Fazit:
Schneller und rasanter Ausflug in die Gangszene von Manchester mit ein paar zähen Stellen, der in einem Bandenkrieg gipfelt. Spannend, heftig und abgebrüht, aus weiblicher Perspektive.


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Aussortiert: Slow Horses – Mick Herron


Mick Herron – Slow Horses
Verlag: Diogenes
Übersetzerin: Stefanie Schäfer
472 Seiten
ISBN: 978-3257245059

 

 

 

 

Zuerst wollte ich Slow Horses ja nicht lesen. Spionageromane und ich – wir sind keine Freunde. Ich probier es immer mal wieder, aber meist nicht erfolgreich. Aber gut, das Buch wurde ja sehr gefeiert und zumindest ein Aspekt hat mich sehr gereizt. In Slow Horses geht es zwar um Geheimagenten, aber um Geheimagenten, welche aussortiert wurden. Vermeintliche Verräter, Versager, unliebsame Spione. Diese versammelt der MI5 in Slough House, einem heruntergekommenen Haus, eingequetscht zwischen einem chinesischen Restaurant und einem erweiterten Zeitungskiosk. Derweil der MI5 also in Regent’s Park residiert und die Geschicke des Landes lenkt, verbringen die Slow Horses ihre Tage in Slough House, lesen uralte Transkripte, machen Abfragen und sitzen ihre Stunden ab.

River Cartwright ist vor ein paar Monaten in Slough House gelandet. Eigentlich am Anfang seiner Karriere, vermasselt er einen Testlauf und kann noch froh sein bei den Slow Horses gelandet zu sein. Einzig zu verdanken seinem Großvater, dem O.B. (Old Bastard), einem MI5 Urgestein. Cartwright möchte raus aus Slough House, weg von den langweiligen Aufgaben, weg von Jackson Lamb, seinem Chef, der unter dem Dach, hinter heruntergelassenen Jalousien sein Dasein fristet und alles beobachtet, wie die Made im Speck – River will Agent sein. Als ein pakistanischer Jugendlicher von einer rechten Organisation entführt wird und diese droht ihn in 48 Stunden zu enthaupten, sieht River Cartwright seine Chance gekommen.

Doch wie das so ist, mit den Spionen, so einfach ist es dann doch nicht Denn, und das ist wohl eines der am meisten wiederkehrenden Motive, Spione lügen, betrügen und sind immer eher daran interessiert ihren eigenen Arsch zu retten, als irgendetwas anderes, sei es das Land, die Kollegen oder die Menschheit. So zumindest mein Eindruck nach den bisherigen Spionageromanen, die ich gelesen habe. Dies ist auch in Mick Herrons erstem Teil einer Reihe, welche sich um die Slow Horses dreht, nicht anders. Und doch war das Debüt des Autors um einiges spannender und amüsanter als die anderen Spionageromane, die ich gelesen habe.

Den Reiz machen eben sie aus, die Slow Horses. Nach und nach kommen eingie Geschichten raus, warum die Einzelnen im Slough House gelandet sind. Tatsächlich finde ich River Cartwright, der meines Erachtens hier der Protagonist ist, auch wenn der Krimi mit „Ein Fall für Jackson Lamb“ untertitelt ist, ist einer der langweiligsten Charaktere des Buches. Wäre der Testlauf nicht schief gegangen, wäre er ein hervorragender Agent geworden, unscheinbar, nichtssagend und grau. Aber von Kindheit an mit dem „Spionvirus“ infiziert, kein Wunder mit dem Großvater und den Gute-Nacht-Geschichten, die er hören durfte. Jackson Lamb ist mir durch die Beschreibungen so unangenehm, dass ich ihm niemals begegnen möchte. Dick und ungepflegt sind noch die harmlosesten Begriffe, eklig und scheiß-gefährlich ist er aber auch. Bei ihm hat man ständig das Wort „lauern“ im Kopf. Er lauert, da oben in seiner Dachkammer. Worauf er lauert, erfährt aber keiner. Denn Lamb war ein Top-Agent. Was ihn zu Fall brachte, erfährt man nicht, noch nicht, vielleicht ja im nächsten Teil. Und da erfährt man dann vielleicht auch mehr zu den anderen Slow Horses. Catherine Standish zum Beispiel, die frühere Privatsekretärin des MI5 Chefs. Oder über Roderick Ho, der IT-Spezialist/Hacker. Oder Min Harper und Louisa Guy.

Die Story ist trickreich und erfährt immer neue Wendungen, nichts ungewöhnliches bei Spionage-Romanen. Ständig werden die Seiten gewechselt, der Leser weiß nie genau, wer auf welcher Seite steht und ob er da stehen bleibt. Und alle Sympathien gehören dem armen pakistanischen Jugendlichen. Dessen einziges Verbrechen es ist, die falsche Hautfarbe zu haben. Doch auch diese Entführung ist nicht so, wie sie auf den ersten Blick scheint. Ein Verwirrspiel, welches der Autor vorzüglich inszeniert. Und das erschreckendste daran ist, ich befürchte, dass unsere Geheimdienste genauso sind. Auf sich selbst konzentriert, mit sich selbst beschäftigt und immer dabei, ihren eigenen Arsch zu retten. Nun, zumindest in literarischer Form hat mir das dieses Mal richtig Spaß gemacht zu lesen. Dank den Slow Horses.

Fazit:
Endlich hab ich einen Spionageroman gefunden, der mich überzeugt und mir gefallen hat. Ich mag Versager eben, auch als Agenten. Also auf, auf, ihr Slow Horses. Nichts wie hin zu Eurem nächsten Fall!


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Kaleidoskop: Ballade einer vergessenen Toten – Liza Cody


Liza Cody – Ballade einer vergessenen Toten
Verlag: Argument
Übersetzer: Martin Grundmann
411 Seiten
ISBN: 978-3867542388

 

 

 

 

Ich glaube, ich hab noch kein Buch von Liza Cody gelesen, welches ich einwandfrei als Krimi bezeichnen kann. Sie schreibt immer hart an der Grenze, mit kriminellen Elementen, das schon, aber vielmehr zeichnet sie ein Abbild der Gesellschaft, tiefe Einblicke in die Seelen von Menschen, ein Stück Realität, welches sie mit einem Kriminalfall abrundet und ausklingen lässt. Es ist diese Leichtigkeit, mit der sie schwer verdauliche Kost, die Realität, in eine Geschichte packt, ihre Charaktere für sich selbst sprechen lässt, die mich so umhaut, wenn ich ein Buch von Liza Cody lese.

Elly
Elly Astoria ist in den 80ern ein musikalisches Wunderkind, eine Songwriterin, mit der jeder arbeiten will. Jung ist sie, nicht besonders hübsch, ein Teil von SisterHood, einer Band nur aus Frauen. Sie ist aus schlechten Verhältnissen, Vater unbekannt, ihre Mutter ein Junkie. Doch Elly strahlt, sie leuchtet, sie zieht jeden in ihren Bann, sobald sie Musik macht. Ihre Songs gehen um die Welt, jeder will mit ihr arbeiten. Dann wird sie brutal ermordet.

Amy
Amy bläst Trübsal. Nach einer gescheiterten Beziehung hängt sie perspektivlos in einem Café ab, als sie den Hit aus den 80ern im Radio hört. Den Song von Elly, Elly Astoria. Und Amy beschließt eine Biografie über Elly zu schreiben. Doch so einfach ist das gar nicht, umso mehr Amy mit den Leuten aus Ellys Umgebung spricht, umso mehr deckt sie Widersprüche auf und fragt sich immer mehr: wie war Elly eigentlich wirklich?

Recherchen
Amy, in Sachen Biografie schreiben unbedarft, macht sich auf, um Interviews zu bekommen. Das damalige Management sowie die Bandmitglieder von SisterHood sind so gut wie nicht zu bekommen, so dass sie mit dem weiteren Umkreis von Elly beginnt. Sie führt Interviews, recherchiert und liest, schreibt Probekapitel. Dabei kommt Amy in der ersten Hälfte des Buches kaum zu Wort. Einzig ihre Interviewabschriften, die Dokumente, die sie zusammenstellt, bekommt der Leser unter die Nase gehalten.

„Ich bin keine Detektivin. Bloß weil es einen Mord gab, muss er noch lange nicht aufgeklärt werden. Es ist zwanzig Jahre her! Ich schreibe an einer Biografie, nicht an einem scheiß Thriller.“ (S. 258)

Detektivin
Doch immer mehr tritt Amy in den Vordergrund, bekommt man ihren Kampf mit, einen Verleger zu finden, aber auch das abgeschirmte Management und die Mitglieder der mittlerweile aufgelösten Band aufzustöbern. Mehr und mehr wird sie in die Richtung gedrängt, den Mord an Elly Astoria aufzurollen, Verdächtige zu präsentieren, Vermutungen anzustellen, wogegen sie sich vehement sträubt. Doch die junge Sängerin lässt sie nicht los, sie macht weiter, gräbt und stochert, wehrt sich gegen die Androhungen gerichtlicher Verfahren und ignoriert jegliche Drohungen.

Der engere Kreis
Die Band bestehend aus einer Übermutter, einer Hardcore-Lesbe, einer Depressiven und der eitlen Sängerin sowie das Management Caranto – Carol und Tom Prax, ein Geschwisterpaar, sind so gut wie nicht erreichbar und nur mit viel Überredung schafft es Amy den ein oder anderen zu treffen. Kein Wunder, stellt sich doch nach und nach heraus, dass jeder sein eigenes Häppchen von Elly Genie abhaben wollte. Aus den unterschiedlichsten Gründen. War Elly glücklich? Wusste sie davon? Zumindest hat es den Anschein, dass die Kleine hauptsächlich glücklich war, wenn sie Musik machen durfte – das sie dadurch von jedem für seine Zwecke benutzt wurde, hat sie wohl nicht gesehen. Und doch sitzt bei einigen die Scham, die Wut, der Hass tief. Auch noch nach zwanzig Jahren.

„Was ist bloß los mit Ihnen und den anderen? Nach zwanzig Jahren leidet ihr immer noch am längsten Nervenzusammenbruch in der Geschichte der Frauenwelt.“  (S. 396)

5 Akte
Es sind kurze Kapitel, kleine Kapitel, manche bestehen nur aus 2, 3 Emails, welche Amy bekommt, doch es sind viele, unterteilt in 5 übergeordnete Abschnitte. Mehr und mehr kreist die angehende Schriftstellerin die Person Elly ein und muss doch feststellen, dass keiner Elly wirklich kannte. Zudem verstricken sich auch viele in Widersprüche, nicht alle Erinnerungen sind so geschehen, wie geschildert. So bastelt sich jeder seine eigene Elly und Amy steht immer wieder kurz davor, die Flinte ins Korn zu werfen, doch Elly Astoria lässt sie nicht gehen. Das musikalische Genie  soll entsprechend gewürdigt werden, dafür möchte Amy sorgen. Ganz nebenbei dient die Biografie aber natürlich auch Amys Selbstfindung.

Kaleidoskop
Amy findet mehr und mehr Informationen über Elly, doch Elly scheint nie ganz da zu sein. Immer sieht Amy sie durch das Kaleidoskop anderer Menschen und je nachdem wer durchsieht oder daran dreht, verändert sich die Elly, die man sehen kann. Schonungslos deckt Amy dabei aber die Facetten der Menschen auf, die Elly umgeben haben. Alle Facetten. Die wenigen guten, aber eben auch die vielen schlechten Facetten. Gier, Neid, Erfolgssucht. Jeder wollte auf Ellys Rücken zum Erfolg getragen werden und dabei ist Elly unter die Räder gekommen. Doch Amy kann nun, zwanzig Jahre später, das Rätsel zumindest so weit aufdröseln, so dass sie einen Verdächtigen präsentieren kann. Also ist sie doch irgendwie eine Detektivin, und ja, ein klein wenig ist das Buch auch ein scheiß Thriller.

Fazit:
Liza Cody wirft wie immer einen schonungslosen Blick auf die Realität: die 80er Jahre, das Musikbusiness und ein kleines Mädchen, welches darin zerrieben wird. Facettenreich fächert sie Elly Astorias Leben auf und lässt die angehende Schriftstellerin Amy nicht nur eine Biografie schreiben, sondern auch ihre detektivischen Fähigkeiten entdecken. Ein Liza Cody, wie er sein soll: fordernd, unorthodox und überzeugend bis zur letzten Seite.


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Flash Gordon: Das Nest – Val McDermid


Val McDermid – Das Nest
Verlag: Argument
Übersetzerin: Judith Hüller
246 Seiten
ISBN: 978-3886195213

 

 

 

Worum geht es?
Lindsay Gordons Freudin Deborah wird des Mordes an Rupert Crabtree beschuldigt. Deborah ist Teil eines Frauenfriedenscamps, welches sich im Brownlow Common gebildet hat, um gegen die dort stationierten Kernwaffen zu demonstrieren. Rupert Crabtree hingegen ist ein Einheimischer, der Vorsitzende eines Vereins, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, gegen das Friedenscamp anzugehen. Kurz vor Crabtrees Tod gab es eine Auseinandersetzung zwischen ihm und Deborah, so dass die allgemeine Meinung schon Deborah als Täterin im Gefängnis sieht. Lindsay übernimmt gleich mehrere Rollen und balanciert zwischen diesen: als Journalistin, Vermittlerin zwischen Polizei und Camp – und als Deborahs Verteidigerin.

Einer wie der andere?
Zwei Jahre sind seit dem letzten Fall von Lindsay Gordon vergangen und die Journalistin flüchtet des Öfteren ins Friedenscamp, nicht nur um ihre frühere Geliebte und jetzige Freundin Deborah zu sehen, sondern auch um dem wohlsituierten Leben zu entkommen, welches sie sich mit Cordelia, ihre Geliebte seit dem letzten Fall, zu entkommen. Mit festem Job beim Daily Clarion und den betuchten Freunden von Cordelia, kann sie im Camp wieder ihre feministische, links gerichtete Seite ausleben und eine Art Freiheit genießen. Bei dieser Ermittlung ist Lindsay schon wesentlich gewiefter und nicht mehr unsicher, ob ihr eine Ermittlung überhaupt liegt.

Opfer, Tat und Täter
Rupert Crabtree ist natürlich das Opfer. Die Tat geschieht des Nachts und dummerweise war Deborah natürlich in der Gegend und auch noch alleine. Doch die Ermittlung ist nicht ganz ohne, denn nach und nach kristallisiert sich eine Verbindung heraus, die ich nicht erwartet hätte.

Themen
Demonstrieren gegen Atomwaffen? Doch eigentlich eine gute Sache, oder? Das sehen die Bewohner von Brownlow Common ganz anders. Manche mehr, manche weniger. Neben friedlichem Protest seitens Crabtrees Verein, gibt es auch Anschläge auf das Camp, den „Schandfleck“ im Dorf. Nicht in jedem Laden sind die Frauen willkommen und so ist Unterstützung von außerhalb, wie von Lindsay, gerne willkommen. Doch auch innerhalb des Camps gibt es Reibereien. Das sehr demokratische Plenum geht nicht immer gut aus, auch im Friedenscamp gibt es Frauen, die gerne radikaler vorgehen möchten. Neben der Ermittlung, waren die Spannungen im Camp, aber auch zwischen Camp und Dorf eine gut ausgetüftelte Kulisse, um den Mordfall und die Ermittlungen darin zu platzieren. Gelungen finde ich auch, dass Computer und Handys gerade erst aufkommen und noch nicht alltäglich sind, fast wie eine kleine Zeitreise. So gibt Lindsay ihre Berichte in öffentlichen Telefonzellen durch, findet aber auch Computercodes auf Kassetten… ah, und das ist keine 30 Jahre her – wie sehr sich die Welt doch verändert hat.

Was war gut?
Lindsays Ermittlung war diesmal viel professioneller. Klar, sie ist Journalistin und keine Polizistin, aber sie braucht auch nicht mehr die Unterstützung von Cordelia, wie im ersten Fall, und kommt gut zurecht. Sie weiß, wann sie reizen oder umschmeicheln muss, um ihre Antworten zu bekommen, nichtsdestotrotz ist die Unterstützung des Kripo-Beamten Rigano nicht wegzudenken, denn dieser ebnet ihr einige Termine, bei denen sie den Spuren nachgeht. Der Anfang war mir ein wenig lau, da zuerst die Auseinandersetzung zwischen Deborah und Crabtree stattfand, bevor der eigentliche Mord geschieht, doch durch die Ermittlungen nimmt die Geschichte Schwung auf und als diese in ihre letztendliche Richtung geschwenkt ist, war es um mich geschehen – was ein Ende!

Was war schlecht?
Ganz ehrlich – auf das Hin und Her zwischen Lindsay und Cordelia hätte ich gut verzichten können. Schon klar, Lindsay kämpft mit ihrem mittlerweile zu bravem Leben und wünscht sich mehr „Leben“ in ihr Leben, aber es war schon ein arges Hin und Her.

FAZIT:
Nach einem zögerlichen Start konnte mich die nun professionellere Lindsay Gordon in ihrem zweiten Fall voll überzeugen. Einzig die amourösen Verflechtungen bräuchte ich jetzt nicht unbedingt.


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Erster Auftritt: Die Reportage – Val McDermid


Val McDermid – Die Reportage
Verlag: Argument
Übersetzerin: Sonja Hruby, überarbeitet von Else Laudan
256 Seiten
ISBN: 978-3886195138

 

 

 

Schon ganz lange wollte ich mal einen Val McDermid Krimi lesen, denn man stelle sich vor – die schottische Queen of Crime kannte ich noch gar nicht. Zum Adventsspezial hat es die Autorin dann mit ihrer Reihe um Privatdetektivin Kate Brannigan in meine Leseliste geschafft, doch ihre erste Reihe um Journalistin Lindsay Gordon habe ich sogar noch davor beschnuppert. Allerdings aus den unterschiedlichsten Gründen, gibt es die Rezension zum ersten Teil der Reihe erst jetzt. Die Beschaffung der Bücher, die natürlich schon vollständig meine Regale ziert, war gar nicht so einfach, denn es sind nicht mehr alle Teile im Handel verfügbar, sondern manche nur noch antiquarisch zu bekommen. Als wahren Krimifan kann einen das aber natürlich nicht aufhalten!

Lindsay Gordon ist freie Journalistin und nicht gerade auf Rosen gebettet. Deshalb kann und muss sie auch den Auftrag ihrer Freundin Paddy Callaghan annehmen, über das Benefizwochenende des elitären Mädcheninternats Derbyshire House zu berichten, auch wenn ihr anspruchsvollere Themen natürlich mehr passen würden. Manchmal soll man seine Wünsche allerdings nicht zu laut äußern, denn just an dem Wochenende wird der Stargast des Benefizkonzerts, die Cellistin Lorna Smith-Couper, ermordet. Niemand wundert sich, war der Star zwar talentiert aber nicht besonders beliebt. Als allerdings Paddy für den Mord in Haft genommen wird, lässt sich Lindsay von der Schulleiterin dazu überreden, eigene Ermittlungen anzustellen.

Ein sehr klassisches und leider auch langweiliges Setting: ein Mädcheninternat auf dem Lande, ein abgeschotteter Kreis von Verdächtigen und wahrlich kein neuer Schauplatz für ein Verbrechen in Krimis. Nichtsdestotrotz bricht die Autorin mit den Konventionen und setzt dort die lesbische und feministisch engagierte Journalistin Lindsay Gordon hinein. Und entgegen den üblichen Klischees ist Lindsay auch so gar nicht überzeugt, ob sie die richtige dafür ist, den wahren Täter zu entlarven und zweifelt an ihren Ermittlerfähigkeiten, lässt sich aber breitschlagen, denn schließlich ist ihre Freundin Paddy  im Untersuchungsgefängnis. Lindsay verleiht dem Krimi den gewissen Pfiff und hebt ihn aus dem Einerlei-Krimisumpf heraus.

Neben einigen feministischen Scharmützeln, die sie mit den Lehrerinnen aber auch Schülerinnen ausfechtet, bekommt sie eine treue Begleiterin: Cordelia Brown, Schriftstellerin und Drehbuchautorin. Cordelia ist ein wenig älter und gesetzter als Lindsay, sie hält Lindsay bei den Befragungen in Zaum, zumindest versucht sie es. Ein wenig peinlich ist ihnen, dass sie die Zeit der Ermittlungen nicht nur dazu nutzen, ihre Freundin aus dem Gefängnis zu holen, sondern auch für ihre beginnende Liebesbeziehung.

Lindsay gelingt es, trotz einiger Verwirrung und keinerlei Erfahrung in Mordfällen, ihre investigativen Fähigkeiten anzuwenden und vielen Beteiligten die richtigen, aber hin und wieder auch die falschen Fragen zu stellen. Es finden sich ein oder zwei Fettnäpfchen und letztendlich baut sie so richtig Bockmist, bevor sie den Fall dann doch – mit ein wenig Hilfe – lösen kann.

Fazit:
Ein klassischer Whodunit mit dem gewissen Extra: Lindsay Gordon verleiht der leicht verstaubten Atmosphäre eines englischen Mädcheninternats Frische und Relevanz. Ein guter Erstling, der ausbaufähig ist, aber die steile Karriere der Autorin schon erahnen lässt.


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Privatschnüfflerin: Abgeblasen – Val McDermid

Den meisten ist Val McDermid bestimmt durch ihre Reihe um Tony Hill und Carol Jordan bekannt, doch die schottische Autorin hat vor dieser Reihe schon zwei weitere Reihen hervorgebracht bzw. angefangen. Die erste dreht sich um die Journalistin Lindsay Gordon, die zweite um Privatdetektivin Kate Brannigan. Beide Reihen erschienen in Deutschland auch im Argument Verlag, welcher, wie meine Leser wissen, immer mein Interesse weckt, die Kate Brannigan Reihe ist dort jedoch nicht mehr erhältlich, da die Reihe später nochmal vom Knaur Verlag veröffentlicht wurde, dessen Ausgabe ich nun gelesen habe.

Kate Brannigan ist Junior-Partner in der Privatdetektei Mortensen & Brannigan, spezialisiert auf Wirtschaftsverbrechen. Gerade ist sie auf der Spur von Fälschern von Markenuhren, als Jett, ein Star der Musikszene in Manchester, sie bittet, seine Seelenverwandte Moira auszuspüren. Gemeinsam mit Moira hat Jett seine ersten beiden Alben produziert, sie schrieb die Texte, er die Melodien. Doch dann gab es Streit und seitdem ist Moira untergetaucht. Obwohl Vermisstenfälle nicht Kates Spezialtät sind, macht sie sich auf die Suche und ist erfolgreich. Sie bringt Moira zurück zu Jett. Doch dann klingelt des Nachts Kates Telefon, sechs Wochen später. Moira ist tot.

Der Krimi ist in zwei Teile aufgeteilt. Im ersten Teil macht sich Kate auf die Suche nach Moira. Doch schon hier ist klar, dass nicht jeder in Jetts Umfeld begeistert davon ist, wenn Moira wieder gefunden wird. Seine neue Flamme, Tamar, ist aus vorstellbaren Gründen nicht begeistert, aber auch Kevin sein Manager hält die Rückkehr von Moira für keine gute Idee. Nichtsdestotrotz macht sich Kate auf, um die Verschollene zu finden. Das Musikbusiness hat Moira in die Drogen getrieben, so dass sie sich von Zuhälter zu Zuhälter hangelte und über eine Entzugsklinik letztendlich bei Maggie landet, die Moira nicht nur aufgenommen hat, sondern auch eine Beziehung mit ihr unterhält.

Im zweiten Teil ist nun Moira tot, aufgefunden im Tonstudio in Jetts Haus. Verdächtig: alle, die sich im Haus befunden haben, allen voran Jett. Doch den nimmt Kate erst mal raus aus ihrer Untersuchung, die natürlich auch bei der Polizei aneckt. Da wären dann also Tamar und Kevin, aber auch der angestellte Biograph Neil Webster, der Tontechniker Micky und die Sekretärin Gloria. Nicht zu vergessen Maggie, die Kate nachts fast vor den Wagen läuft, als sie von Jetts Anwesen wegfährt. Da hätten wir sie also – den genau abgesteckten Kreis von Verdächtigen. Mit Jetts Auftrag macht sich Kate also an die Arbeit aus dem Kreis der Verdächtigen schlau zu werden.

Zwar ist nun die Suche nach Vermissten oder die Mordermittlung nicht Kates Hauptbetätigungsfeld – was sie sich im Übrigen nicht scheut hin und wieder einzuwerfen, ob nun aus dem Bedürfnis heraus der Wahrheit Genüge zu tun, oder aus taktischen Gründen, das vermag ich nicht zu sagen – aber nicht undankbar nimmt sie diese Aufgabe an und führt Gespräche mit allen Verdächtigen, anstatt langwierige Observationen der Markenfälscher durchsitzen zu müssen. Schlagfertig und gewitzt führt sie ihre Dialoge und nähert sich nach und nach dem Täter an. Nach einem gut ausgeklügelten Showdown ist denn auch die Polizei überzeugt und Kate Brannigan kann sich demnächst dem nächsten Fall widmen.

Nun ist die taffe Privatdetektivin nicht die Erfindung der Autorin, doch mit Kate Brannigan ist ihr eine weitere wirklich vorzeigbare Privatschnüfflerin gelungen. Warum nun im ersten Fall keine Wirtschaftsfall geklärt wird, welcher zu Detektei der beiden Partner Mortensen & Brannigan ja durchaus  besser gepasst hätte, kann ich mir nicht erklären. Vielleicht wurde vermutet, dass man mit Wirtschaftsverbrechen keine Leser gewinnt, dabei ist das mitnichten so. Aber sei es drum, denn die Autorin verbindet hier ja geschickt einen Vermisstenfall mit einem Mordfall und zeigt damit die volle Bandbreite von Kate Brannigans Können. Wenn ich das denn richtig gesehen habe, geht es denn dann auch im nächsten Fall „Luftgärten“ um einen Hypothekenschwindel und Brannigan kann zu ihrem Kerngeschäft zurückkehren. Ich persönlich freue mich schon sehr auf den nächsten Teil um die Privatschnüfflerin und werde die Serie sehr gerne weiterverfolgen.

Fazit:
Es sollte viel mehr Krimis mit Privatdetektivinnen geben, denn unerhörter weise gibt es hier noch einen deutlichen Männerüberhang. Dabei stehen die Schnüfflerinnen ihren männlichen Kollegen in nichts nach, genau wie Kate Brannigan. Gekonnt findet sie sich auch im fachfremden Vermissten- bzw. Mordfall zurecht und bietet eine spannende Ermittlung. Ein gelungener Auftakt der Serie, die sich gerne im nächsten Teil einem Wirtschaftsverbrechen widmen darf!

 



Val McDermid – Abgeblasen
Verlag: Knaur
Übersetzerin: Renate Orth-Guttmann
304 Seiten
ISBN: 978-3-426416754

 


 


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Brexit, Druxit und was dann? : Zoë Beck – Die Lieferantin


Die Lieferantin – Zoë Beck
Verlag: Suhrkamp
325 Seiten
ISBN: 978-3518467756

 

 

 

 

Ellie Johnson liefert Drogen per App und Drohne. Und zwar astreinen Stoff, kein gepanschtes Zeug, bei dem man nicht weiß, woraus es besteht und was man sich in die Venen jagt. Mit diesem Geschäftsmodell macht sie den traditionellen Drogenbossen Konkurrenz und das sehen diese gar nicht gerne. Die Jagd auf „Die Lieferantin“ beginnt, doch die gibt sich nicht so leicht geschlagen.

Ich habe lange überlegt, ob ich eine Rezension über „Die Lieferantin“ schreibe – einfach aus Zeitgründen – aber es wäre wirklich schade, wenn ich dem Buch keinen Beitrag widmen würde. Und weil eben gerade ein Mangel an Zeit herrscht versuche ich mich einfach an einer Kurzrezension, um zu versuchen, dem Buch einfach noch ein wenig mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Denn es lohnt sich.

Zoe Becks neuer Thriller war schon vor Erscheinen quasi fester Kandidat für die Krimibestenliste und aus diesem Grund hat sich manch einer schon gefragt, ob das Buch die Vorschusslorbeeren denn überhaupt verdient. Und ja, das tut es. Und zwar aus vielen Gründen, aber ich will mich ja kurz fassen, deshalb gibt es hier nur vier davon:

Realistischer und beängstigender Blick in die Zukunft
Zwar nur ein Nebenschauplatz und auch kein allzu weiter Blick in die Zukunft, doch Zoë Beck gelingt es die aktuellen Entwicklungen in Großbritannien weiterzuspinnen. Neben ein paar technischen Erweiterungen werden die Brexit-Anhänger zu den Rotweißblauen und radikalisieren sich weiter. Die Lage wird für Auswärtige brenzlig und der „Druxit“ droht das Land weiter zu spalten.

Legalisierung von Drogen
Ob man nun dafür oder dagegen ist, ist völlig irrelevant, denn die Autorin liefert einfach ein paar gute Gründe, um sich mal ein paar mehr Gedanken zum Thema zu machen. Der „Druxit“ würde jegliche medizinische Hilfe für Drogenabhängige zunichtemachen – bei einer Legalisierung könnte Drogenabhängigen geholfen werden, Kriminalität verringert werden und Drogentote verhindert werden. Für oder Wider? Ein Drogenverbot lässt die Drogen ganz sicher nicht einfach von der Erde verschwinden, also wie damit umgehen?

Die Drogendealer
Zoe Beck verleiht ihren Hauptfiguren mehrere Dimensionen, zeigt Ambivalenz und bietet eine breite Palette. Ellie Johnson ist sehr geradlinig, zukunftsorientiert, überlegt. Und Drogendealerin. Declan Boyce – derjenige von der Gegenseite, der das Problem mit der Lieferantin lösen soll – ist der zweite in der Nachfolge seines Vaters und muss nun zeigen was er kann, weil sein älterer Bruder beschlossen hat, auszusteigen. Eigentlich ein unsicherer, schüchterner Studierter, bis er sich zum selbstsicheren, überheblichen Möchtegern-Mafioso entwickelt und die Situation eskaliert. Zugegebenermaßen ist seine Entwicklung ein wenig drastisch.

Verdammt cool
Ich mag halt einfach wie Zoe Beck schreibt und ihre Thriller aufbaut. Man rast so durch das Buch und weiß gar nicht wie einem geschieht. Alles passt – das Tempo, der Aufbau, die Charaktere. Und auch der leise Humor kommt nicht zu kurz. Hach, so sollten einfach mehr Thriller sein.

Hm, ich fürchte, es ist jetzt doch keine Kurz-Rezension geworden, aber egal, denn das Wichtige ist, das Ihr jetzt sagt: ja, das Buch hol ich mir. Zoë Beck Fans werden dieses Buch auf jeden Fall mögen, allen anderen kann ich es nur ans Herz legen. Es lohnt sich!

Fazit:
Ein Kombi-Paket aus Drogenkrimi und Zukunftsroman: Zoë Becks Thriller bietet alles was man für einen spannenden Lesegenuss braucht, verpackt in einer düsteren, nicht allzu fernen und leider nur zu realistischen Zukunft.

 

Besprechungen bei anderen Krimi-Blogs
Kaliber.17 sagt dazu: Die Lieferantin ist ein flotter Kriminalroman mit einigen guten Einfällen, politischer Note und auch schwarzem Humor.
Buch-Haltung sagt dazu: Zoë Beck hat erneut ihren Finger am Puls der Zeit und präsentiert mit diesem Krimi einen hochaktuellen, spannenden und originellen Roman, dem man die in einigen wenigen Passagen etwas platten und plakativen Szenen gerne verzeiht.

 

Und zum Schluss noch Zoë Beck über „Die Lieferantin“: