Die dunklen Felle

Krimis, Thriller und Science Fiction


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Privatschnüfflerin: Abgeblasen – Val McDermid

Den meisten ist Val McDermid bestimmt durch ihre Reihe um Tony Hill und Carol Jordan bekannt, doch die schottische Autorin hat vor dieser Reihe schon zwei weitere Reihen hervorgebracht bzw. angefangen. Die erste dreht sich um die Journalistin Lindsay Gordon, die zweite um Privatdetektivin Kate Brannigan. Beide Reihen erschienen in Deutschland auch im Argument Verlag, welcher, wie meine Leser wissen, immer mein Interesse weckt, die Kate Brannigan Reihe ist dort jedoch nicht mehr erhältlich, da die Reihe später nochmal vom Knaur Verlag veröffentlicht wurde, dessen Ausgabe ich nun gelesen habe.

Kate Brannigan ist Junior-Partner in der Privatdetektei Mortensen & Brannigan, spezialisiert auf Wirtschaftsverbrechen. Gerade ist sie auf der Spur von Fälschern von Markenuhren, als Jett, ein Star der Musikszene in Manchester, sie bittet, seine Seelenverwandte Moira auszuspüren. Gemeinsam mit Moira hat Jett seine ersten beiden Alben produziert, sie schrieb die Texte, er die Melodien. Doch dann gab es Streit und seitdem ist Moira untergetaucht. Obwohl Vermisstenfälle nicht Kates Spezialtät sind, macht sie sich auf die Suche und ist erfolgreich. Sie bringt Moira zurück zu Jett. Doch dann klingelt des Nachts Kates Telefon, sechs Wochen später. Moira ist tot.

Der Krimi ist in zwei Teile aufgeteilt. Im ersten Teil macht sich Kate auf die Suche nach Moira. Doch schon hier ist klar, dass nicht jeder in Jetts Umfeld begeistert davon ist, wenn Moira wieder gefunden wird. Seine neue Flamme, Tamar, ist aus vorstellbaren Gründen nicht begeistert, aber auch Kevin sein Manager hält die Rückkehr von Moira für keine gute Idee. Nichtsdestotrotz macht sich Kate auf, um die Verschollene zu finden. Das Musikbusiness hat Moira in die Drogen getrieben, so dass sie sich von Zuhälter zu Zuhälter hangelte und über eine Entzugsklinik letztendlich bei Maggie landet, die Moira nicht nur aufgenommen hat, sondern auch eine Beziehung mit ihr unterhält.

Im zweiten Teil ist nun Moira tot, aufgefunden im Tonstudio in Jetts Haus. Verdächtig: alle, die sich im Haus befunden haben, allen voran Jett. Doch den nimmt Kate erst mal raus aus ihrer Untersuchung, die natürlich auch bei der Polizei aneckt. Da wären dann also Tamar und Kevin, aber auch der angestellte Biograph Neil Webster, der Tontechniker Micky und die Sekretärin Gloria. Nicht zu vergessen Maggie, die Kate nachts fast vor den Wagen läuft, als sie von Jetts Anwesen wegfährt. Da hätten wir sie also – den genau abgesteckten Kreis von Verdächtigen. Mit Jetts Auftrag macht sich Kate also an die Arbeit aus dem Kreis der Verdächtigen schlau zu werden.

Zwar ist nun die Suche nach Vermissten oder die Mordermittlung nicht Kates Hauptbetätigungsfeld – was sie sich im Übrigen nicht scheut hin und wieder einzuwerfen, ob nun aus dem Bedürfnis heraus der Wahrheit Genüge zu tun, oder aus taktischen Gründen, das vermag ich nicht zu sagen – aber nicht undankbar nimmt sie diese Aufgabe an und führt Gespräche mit allen Verdächtigen, anstatt langwierige Observationen der Markenfälscher durchsitzen zu müssen. Schlagfertig und gewitzt führt sie ihre Dialoge und nähert sich nach und nach dem Täter an. Nach einem gut ausgeklügelten Showdown ist denn auch die Polizei überzeugt und Kate Brannigan kann sich demnächst dem nächsten Fall widmen.

Nun ist die taffe Privatdetektivin nicht die Erfindung der Autorin, doch mit Kate Brannigan ist ihr eine weitere wirklich vorzeigbare Privatschnüfflerin gelungen. Warum nun im ersten Fall keine Wirtschaftsfall geklärt wird, welcher zu Detektei der beiden Partner Mortensen & Brannigan ja durchaus  besser gepasst hätte, kann ich mir nicht erklären. Vielleicht wurde vermutet, dass man mit Wirtschaftsverbrechen keine Leser gewinnt, dabei ist das mitnichten so. Aber sei es drum, denn die Autorin verbindet hier ja geschickt einen Vermisstenfall mit einem Mordfall und zeigt damit die volle Bandbreite von Kate Brannigans Können. Wenn ich das denn richtig gesehen habe, geht es denn dann auch im nächsten Fall „Luftgärten“ um einen Hypothekenschwindel und Brannigan kann zu ihrem Kerngeschäft zurückkehren. Ich persönlich freue mich schon sehr auf den nächsten Teil um die Privatschnüfflerin und werde die Serie sehr gerne weiterverfolgen.

Fazit:
Es sollte viel mehr Krimis mit Privatdetektivinnen geben, denn unerhörter weise gibt es hier noch einen deutlichen Männerüberhang. Dabei stehen die Schnüfflerinnen ihren männlichen Kollegen in nichts nach, genau wie Kate Brannigan. Gekonnt findet sie sich auch im fachfremden Vermissten- bzw. Mordfall zurecht und bietet eine spannende Ermittlung. Ein gelungener Auftakt der Serie, die sich gerne im nächsten Teil einem Wirtschaftsverbrechen widmen darf!

 



Val McDermid – Abgeblasen
Verlag: Knaur
Übersetzerin: Renate Orth-Guttmann
304 Seiten
ISBN: 978-3-426416754

 


 


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Blogkooperative Adventsspezial: Privatdetektive – gemeinsam mit Kaliber.17

Und wieder ist es mir eine große Freude, Euch heute die traditionelle Blogkooperative mit dem Team von Kaliber.17 anzukündigen. In den nächsten Tagen, bis kurz vor Weihnachten werden wir Euch mit Rezensionen zu Krimis mit Privatdetektiven beglücken. Los geht es am Samstag, den 08.12.2018.

Ich liebe PIs – Private Investigators, PrivatdetektivInnen. Es ist bestimmt schon aufgefallen, dass ich doch einige Krimireihen rund um Privatdetektive lese. Neben den klassischen Privatdetektiven Spade und Marlow bevölkern wirklich viele Privatdetektive die Krimilandschaft. Privatdetektive ermitteln anders als Polizisten. Sie haben offiziell weniger Möglichkeiten, doch inoffiziell viel mehr Möglichkeiten. Ihre Ansicht von Recht und Ordnung mag nicht mit dem von Polizisten übereinstimmen, doch ihre Moral und ihr Gerechtigkeitssinn sind immer einwandfrei. Oft sind es ehemalige PolizistInnen, die mit dem starren Regelwerk der Polizei nicht zurecht kommen oder durch andere Erlebnisse aus dem Polizeidienst ausgeschieden sind, aber nicht immer. Für mich sind Krimis um PrivatdetektivInnen meist immer spannender als „traditionelle“ Krimis um KommissarInnen.

Wolfgang Schorlau mit seinem Georg Dengler, Christine Lehmann mit ihrer Lisa Nerz, Lawrence Block mit seinem Matthew Scudder, Robert B. Parker mit seinem Spenser, Sara Gran mit ihrer Claire DeWitt und viele mehr – das sind alles Reihen um Privatdetektivinnen und -detektive, denen ich folge. Um das Spezial nun ein wenig spannender für mich und auch für Euch, meine lieben Leser, zu machen, habe ich mich entschlossen, neue Reihen auszuprobieren, abgesehen von einer Ausnahme. Das war tatsächlich eine Herausforderung, denn welche Reihen kenne ich noch nicht? Welche Reihen möchte ich gerne lesen? Und gibt es auch Standalones, die mir zusagen?

Was es denn nun für Krimis geworden sind? Seht selbst, denn hier ist die Liste der von uns gelesenen Bücher, in der Reihenfolge, in welcher wir die Rezensionen veröffentlichen werden:

08.12.18 Val McDermid – Abgeblasen (Kate Brannigan) (Die dunklen Felle)
09.12.18 Dorothy L. Sayers – Starkes Gift (Lord Peter Wimsey) (Kaliber.17)
10.12.18 Leo Malet – Makabre Machenschaften am Boul’Mich‘ (Leo Malet) (Die dunklen Felle)
12.12.18 Jakob Arjouni – Ein Mann ein Mord (Kemal Kayankaya) (Kaliber.17)
13.12.18 Deon Meyer – Tod vor Morgengrauen (Zatopek van Heerden) (Die dunklen Felle)
14.12.18 Jobst Schlennstedt – Lübeck im Visier (Simon Winter) (Kaliber.17)
16.12.18 Sara Paretsky – Kritische Masse (V.I. Warshawski) (Die dunklen Felle)
17.12.18 Dashiell Hammett – Der Malteser Falke (Sam Spade) (Kaliber.17)
18.12.18 Matti Rönkä – Der Grenzgänger (Viktor Kärppä) (Die dunklen Felle)
20.12.18 Dennis Lehane – Ein letzter Drink (Patrick Kenzie & Angela Gennaro) (Kaliber.17)
21.12.18 Mitra Devi – Das Kainszeichen (Nora Tabani) (Die dunklen Felle)
22.12.18 Arthur Conan Doyle – Eine Studie in Scharlachrot (Sherlock Holmes) (Kaliber.17)

So, und dann bleibt mir nur noch übrig, Euch viel Spaß mit unserem Spezial rund um Privatdetektivinnen und -detektive zu wünschen!


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Planung ist alles: The Big O – Declan Burke

Da ich in meiner letzten Rezension zu Olivia Kiernans „Zu nah“ daran rumgemäkelt habe, dass der Handlungsort in dem Krimi völlig austauschbar war, muss ich hier nun klar stellen, dass er das nicht ist. Es wird in keiner Zeile angegeben, wo die Geschichte sich abspielt, aber ganz gewiss nicht in Europa, schon gar nicht in Irland. Der Krimi – oder fast schon die Krimikomödie – liest sich so verdammt amerikanisch, dass ich nochmal nachlesen musste, aber ja, der Autor wohnt tatsächlich noch in Irland und ist nicht in die USA ausgewandert. Nichtsdestotrotz ist das die einzige Gemeinsamkeit, die Burkes Krimi mit Kiernans Thriller gemein hat, denn diese Geschichte hier, ja genau diese hier, ist eine der abgefahrensten Stories, die ich je gelesen habe.

Figurenkarussell

Dabei passiert erst mal so gar nicht viel. Der Schönheitschirurg Frank darf nicht mehr praktizieren, nur noch beraten und lässt sich gerade von seiner Frau Madge scheiden. Das kostet beides fürchterlich viel Geld und so sucht er nach einem Lösungsweg. Da kommt ihm die Versicherung ganz recht, die eine halbe Millionen locker macht, wenn Madge –  noch seine Frau – entführt wird und Lösegeld verlangt wird. Deshalb engagiert er jemanden, der seine Frau entführt. Dieser jemand beauftragt Ray, der wiederum Karen in einer Bar aufgabelt und mit ihr eine Beziehung anfängt. Was Ray nicht weiß ist, dass Karen nicht nur Franks Sprechstundenhilfe ist, sondern auch Madges beste Freundin. Und dann gibt es da noch Rossi, Karens Ex, der seine Ducati, seine Waffe und sein Geld zurückfordert, welche Karen aber mittlerweile benutzt, um Läden zu überfallen, damit sie Anna durchfüttern kann. Komplettiert wird das Ensemble durch die Polizistin Doyle, die Straftaten wittert, als Frank den Diebstahl seines Smartphones meldet, aber dabei den Diebstahl seiner Aktentasche unterschlägt. Die wiederum wurde von Rossi geklaut….

Viel los! Nichts los?

Zugegeben, es ist eine Menge los bei Declan Burke. Zumindest im Figurenensemble geizt er nicht. Mit der Geschichte allerdings schon, denn ständig passiert etwas, aber die Entführung selbst findet dann auch erst in den letzten Seiten statt. So muss man sich also für das Buch öffnen und nicht gleich Mord und Totschlag, oder eben Entführung erwarten, sondern sich auf die Charaktere einlassen. Genüsslich diese Figuren kennen lernen, die alle ihre Eigenarten haben und von denen es keiner so genau mit dem Gesetz nimmt, abgesehen von Doyle vielleicht. So ist es auch ein wenig schwierig am Anfang den Überblick zu behalten, denn alle genannten bekommen ihre eigenen Kapitel, doch nach einigen Seiten hat man sich eingelesen und springt fröhlich auf das Figurenkarussell auf.

Heimlicher Star

Die heimliche Hauptfigur des Krimis ist definitiv Karen. Sie steht in der Mitte, verbindet alle losen Enden miteinander und ist Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Karen piesackt gerne Frank, lästert mit Madge über ihn und hat zwei, drei größere Geheimnisse. Als sie Ray kennenlernt geht sie eigentlich davon aus, dass das nur was Kurzes wird, aber irgendwie scheinen die beiden füreinander geschaffen. Offiziell streicht Ray Wände, doch nach einigen zufälligen Auffälligkeiten weiht er Karen ein und der Plan ändert sich. Schließlich will jeder ein Stückchen vom Kuchen.

„Karen hatte einen schiefen verwachsenen Kiefer, nachdem sie ihr Kinn wiederholt auf den Rand des Waschbeckens im Badezimmer geschlagen hatte, während ihr Vater unten in der Küche auf dem Boden lag, mit einer Gabel im Brustkorb knapp über dem Herzen.“ (S. 21)

Der arme Schlucker

Die wohl tragischste Figur im Ensemble ist Frank. Unglaublich, aber wahr. Sollte man doch meinen, Frank ist ein Ekel – schließlich will er seine Frau entführen lassen. Aber eigentlich ist er ein armer Tropf. Seine Fast-Ex-Frau und ihr Anwalt wringen ihn aus, seine neue Geliebte ist ein Dummchen, natürlich wunderschön, aber nur auf sein Geld aus und  schnappt sich die Reste und für Frank bleibt eigentlich nichts übrig. Nachdem noch zwei Klagen im Anzug sind, ist er völlig am Ende. Aber wir wissen ja, schlimmer geht es immer!

„Frank war der festen Überzeugung, dass dies der beste Morgen seines ganzen Lebens war.
…..
Er drehte sich um, bevor ihm dämmerte, dass er genau das nicht hätte tun sollen, aber jetzt war es ja schon zu spät. Sie hatte seinen Namen nur ausgesprochen, um ihn durcheinanderzubringen. Und als er sich jetzt umdrehte, spürte er auch noch etwas Kaltes und Hartes an seinem Handgelenk, das mit einem metallischen Klicken einschnappte und sich eng darumlegte.“ (S. 288)

Die Falle schnappt zu

Und so treibt man durch und mit den Figuren durch die Geschichte, plant die Entführung, ändert die Pläne. Leidet, aber vor allem lacht und schmunzelt mit den Figuren, die alle ihre Eigenheiten haben und auf ihre Vorteile bedacht sind. Einer schlimmer wie der andere, aber doch irgendwie liebenswürdig genial. Und man könnte meinen, es passiert doch gar nichts, doch man muss eben auch einfach mal die Herrlichkeiten von grotesk guter Charakterzeichnung genießen, wenn die Ganoven und Ganövchen hier einen exzellenten Tanz aufführen, rein mit der Planung bedacht, die dann in den letzten Seiten reinknallt und das Buch abschließt.

Fazit:
Eine Krimikomödie par excellence, mit hervorragend gezeichneten Charakteren, aber zugegebenermaßen einer schleichenden Handlung, die erst am Ende explodiert.

 

 

 

 



Declan Burke – The Big O
Verlag: Edition Nautilus
Übersetzer: Robert Brack
316 Seiten
ISBN: 978-3960540021

 

Weitere Titel von Declan Burke:
Absolute Zero Cool
Eight Ball Boogie

 


Weitere Stimmen:
Krimileser meint: „Das Buch überzeugt (mit dem würdevollen Ende und) auch deshalb, weil es schlichtweg eigenständig ist. Hier riskiert jemand was … und gewinnt. “
Krimikritik meint: „Aus dieser arg verwickelten Situation strickte Declan Burke einen ebenso witzigen wie wüsten und komplett moralfreien Krimiklamauk. Ziemlich unterhaltsam.“


 


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Reblogged: Tana French – Grabesgrün — WortGestalt-BuchBlog

Tana French ist noch ein blinder Fleck auf meiner Leselandkarte – selber schuld, denn ich hätte die Chance gehabt, dies jetzt zu ändern. Nun hat sich aber Philly auf Wortgestalt-Buchblog in unserem gemeinsamen Blogspezial zu irischer und nordirischer Kriminalliteratur dem ersten Krimi von Tana French nochmal gewidmet. Ja, genau, ein Re-Read. Wie Philly es diesmal fand und ob der Krimi immer noch gut bei ihr ankam, seht Ihr hier:

Zehn Jahre hat die deutsche Erstausgabe von »Grabesgrün« mittlerweile auf dem Buckel, zahlreiche Preise hat der Roman eingeheimst, Tana French ist inzwischen Bestseller-Autorin und ihr Name weithin bekannt. Auch wenn ich sonst oftmals zu den Spätentdeckern gehöre, hatte ich hier Der Beitrag Tana French – Grabesgrün erschien zuerst auf WortGestalt-BuchBlog.

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Police Procedural: Zu nah – Olivia Kiernan

Das Irische

Irgendwie hatte ich schon im Sinn, wenn ich irische/nordirische Krimis lese, dass diese dann irgendwie irisch sind. Also, so genau kann ich das gar nicht definieren, was eigentlich irisch ist, aber ein wenig mehr als ein paar Straßennamen oder irische Vor- und Nachnamen hatte ich dann schon im Sinn. Leider vermittelt Olivia Kiernans Debüt aber nicht mehr irisches Feeling als das: hin und wieder wird die Grafton Street erwähnt, da die Protagonistin dort wohnt, oder auch die Liffey, aber abgesehen davon hätte dieser Thriller auch gut in jeder anderen anglo-sächsischen Stadt spielen können. London zum Beispiel. Aber auch Edinburgh, Belfast, Manchester. Na ja, eben fast überall, solange das Prädikat Großstadt auf den britischen Inseln drauf steht. Und dieser Umstand ist wirklich schade, denn Individualität hätte diesem Thriller einiges Futter gegeben, das dieser auch dringend benötigt hätte, doch so bleibt er herrlich gleichförmig und austauschbar. Und leider auch ein wenig spannungsarm.

Die Opfer

Frankie Sheehans erster Fall, nachdem sie beim letzten schwer von einem Täter verletzt wurde und noch an den psychischen Narben knabbern muss, hat es gleich in sich. Eleanor Costello wird erhängt in ihrem Haus gefunden. Doch schon bald stellt sich heraus, dass sie erhängt wurde. Ihr Mann, Peter Costello, ist verschwunden und gilt als verdächtig, doch schon bevor die Ermittlungen richtig loslaufen, wird eine weitere Frau tot aufgefunden. Amy Keegan, eine junge Studentin, deren Leiche der Täter in einem Halloweenfeuer versteckt hat. Die Verbindung zwischen den beiden Frauen ist gleich offensichtlich: der Täter hat einen seltenen Farbton bei den Opfern hinterlassen, Preußischblau. Die Ermittlungen laufen heiß, denn nur noch ein Opfer mehr und ein Serienmörder muss gejagt werden.

Frankie goes to…

Frankie Sheehan ist dickköpfig, unbequem und lässt sich nur selten von ihrem Weg abbringen. Eine unbequeme Person. Tendenziell ein Pluspunkt als Ermittler – schließlich soll man sich weder von Vorgesetzten verbiegen noch von Tätern an der Nase herumführen lassen. Und so unangepasste Ermittler machen einen Krimi ja auch immer individuell, und ein wenig aufregender. Wenn das allerdings heißt, dass man elementare Fehler in der Ermittlung macht und dann so tut als wäre das in Ordnung, muss ich schon an der Kompetenz zweifeln. Der Kompetenz ihrer Vorgesetzten, die sie kräftig unterstützen und darüber hinwegsehen, aber auch ihrer Kollegen, allen voran ihrem Partner Baz Harwood. Frankie versteift sich schon früh auf einen Verdächtigen – ob er nun der Täter ist oder nicht, ist irrelevant – aber dieses Einschießen auf einen Menschen, macht sie blind gegenüber anderen Spuren. Unverzeihlich auch, dass sie einen Zeugen, der sich verdächtig macht, schont, weil sie ihn schon aus ihrer Kindheit kennt.

Realität

Und ich will auch gar nicht davon reden, dass sie aus Fehlern nicht lernt, und auch zum zweiten Mal alleine und ohne Verstärkung in ein Haus läuft, in dem der Täter ist. Unverständlich ist mir auch, wie ihr Vorgesetzter sie weiterhin schützen kann und sie für DIE Wahnsinnspolizistin hält, bei den offensichtlichen Fehlern, die sie sich leistet. Die einzige Blockade, die er ihr setzt, ist der Geldhahn, der sich langsam schließt – und das kommt ja auch noch von weiter oben. Darum dreht es sich übrigens hauptsächlich im letzten Drittel des Buches: Geld. Und das muss ich der Autorin zu Gute halten – hier hat sie bestimmt recht und sonst erwähnt es kaum jemand. Ermittlungen verschlingen wahnsinnig viel Geld.

„Letzten Endes läuft Gerechtigkeit darauf hinaus, wer das Geld hat, die richtigen Tests in Auftrag zu geben, und wer genug Personal, um einen Tatort zu untersuchen. Gerechtigkeit ist teuer.“ (S. 287)

Der Clou?

Nun mag ich aber dem Thriller einen guten Lesefluss und ein gesundes Maß an Spannung nicht abreden – das war definitiv vorhanden, auch wenn sich die Ermittlungen über mehrere Monate ziehen und immer wieder vor sich hin dümpeln. Das bekommt man nämlich gar nicht so direkt mit, die frustrierenden Zeiten, in denen nichts voran geht, werden übersprungen. Der Clou, das sich der alte Fall mit dem neuen Fall überschneidet, ist denn auch nicht fürchterlich überraschend für den geübten Krimileser, sondern sehr vorhersehbar – warum sonst hätte die Autorin denn sonst den ersten Fall nicht erst niedergeschrieben, bevor sie sich an den zweiten macht.

Not my cup of tea

Zusammenfassend muss ich wohl sagen, dass dieser Thriller außer eine gute Spannung, was ich eigentlich als Grundvorrausetzung für einen Thriller betrachte, nicht viel zu bieten hatte, was mich unterhalten hätte. Frankie Sheehan hätte eine taffe eloquente Ermittlerin sein können, hat aber leider einen Schnitzer nach dem anderen produziert und sich darüber noch nicht mal Gedanken gemacht. Unsympathisch finde ich sie im Übrigen auch noch – aber Sympathie ist für mich nun kein Muss bei der Hauptfigur. Auffällige Fehler sollte sie allerdings nicht machen – ich bin kein Experte und kann locker über viele Fehler, die ich gar nicht erkenne hinweg gehen, aber wenn ich diese entdecke sind sie dann schon elementar. Einzigartigkeit konnte ich leider auch nicht erkennen, der Thriller ist ein 08/15 Werk, welches man massenweise in den Regalen findet. Schade – hier wäre viel mehr Potenzial gewesen.

Fazit:
Austauschbar und Mainstream, gepaart mit einer unfähigen Ermittlern. Dieser Thriller verdient leider keine Lorbeeren für „nur“ Spannung. Da muss schon mehr kommen.

 



Olivia Kiernan – Zu Nah
Verlag: HarperCollins
Übersetzer: Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
368 Seiten
ISBN: 978-3959671835

 

 

 

 


Weitere Stimmen:
Mikkaliest meint: „Die Spannung baut sich schnell auf, die Autorin verwebt die verschiedenen Handlungsstränge und Ermittlungsansätze gekonnt. Die Geschichte ist originell und unverbraucht, und Frankie kann als Protagonistin mit starker Persönlichkeit punkten.“


 


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Reblogged: Seamus Smyth – Spielarten der Rache — WortGestalt-BuchBlog

Heute widmet sich Philly vom Wortgestalt-Buchblog in unserem gemeinsamen Blogspezial zu irischer und nordirischer Kriminalliteratur einem Krimi aus dem Pulp Master Verlag. Ein kleiner, aber feiner und leider oft übersehener Verlag, der aber eigentlich immer Knaller verlegt. Ist das hier auch so? Ich sag mal so – Phillys Lobgesang säuselt mir jetzt noch in den Ohren. Und warum das so ist, könnt ihr hier lesen:

 

»Spielarten der Rache« kann man nach dem Lesen erst einmal eine ganze Weile anstarren und darüber nachdenken, was für eine grandios kalkulierte Rachegeschichte man hier gerade gelesen hat. Meine Bewunderung galt zunächst leicht fehlgeleitet der Hauptfigur des Romans, Red Dock, Der Beitrag Seamus Smyth – Spielarten der Rache erschien zuerst auf WortGestalt-BuchBlog.

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Amoklauf: Die Wut – Gene Kerrigan

„Das hier waren Peanuts. Er hatte zig Millionen – so was wie hundertvierzig Millionen – in Grundstücke investiert. Alles mit geborgtem Geld – und beliehen mit Aktien, die keinen Cent wert waren. Das wird nie zurückgezahlt. Dann ist da noch der Betrug – Sweetman und seine Kumpels haben Millionen von Bank zu Bank verschoben, um die Rechnungsprüfer im Dunkel n zu lassen, haben Transfers als Einzahlungen abgeschrieben, um den Aktienkurs anzukurbeln. Schließlich hätten wir da noch die Steuertricks – der Kerl hätte eine Enzyklopädie über >Wie bescheiße ich am besten< verfassen können.“ (S. 116)

Der Bulle

Dublin kurz nach der Bankenkrise. Leer stehende Gebäude, nicht fertig gebaute Hüllen, geplatzte Träume. Nur nicht für die Banker. Zumindest für die meisten. Einen hat es doch erwischt, ermordet in seinem eigenen Haus. Detective Sergeant Bob Tidey ermittelt. Gleichzeitig erhält er von einer alten Bekannten, Maura Cody, einer früheren Nonne, einen Anruf. Ein Wagen wurde in ihrer Straße geparkt. Einer Seitenstraße, kaum Verkehr, unbekannte Männer. Ein Fluchtwagen? Tidey meldet es weiter und der Wagen wird observiert.
Tidey ist lange im Dienst, hat einiges gesehen. Und er weiß, dass Recht nicht immer unbedingt etwas mit Gerechtigkeit zu tun hat. Doch der Bulle liegt ihm. Besonnen und pragmatisch geht er an seine Fälle, schreckt aber eben auch nicht davor zurück, für eine alte Frau alles mal kurz liegen zu lassen. Ein einsamer Wolf, ja, aber einer, der es nicht gerne ist. Seine Exfrau lässt ihn ab und an in sein altes Leben zurück, seine Vorgesetzten verpassen ihm zwar gerne einen Maulkorb, wissen aber, was sie an ihm haben.

Der Dieb

Vincent Naylor ist gerade aus dem Knast entlassen und richtet sich sein Leben ein. Eine neue Freundin ist gefunden, er wohnt in einer Wohnung in einem leer stehenden Apartmenthaus. Kein Luxus, aber auch keine Miete, nur ein wenig Schmiergeld. Außerdem wird sich das schon bald ändern, denn Vincent hat einen todsicheren Plan, um gemeinsam mit Noel, seinem Bruder und zwei weiteren, an massig viel Geld heranzukommen: Übernahme eines Geldtransporters. Und der Plan klappt hervorragend, bis Noel und einer der anderen beim Fluchtwagen ankommen und er fürchterlich in die Brüche geht.
Vincent Naylor, jemand, der von sich behauptet nicht jähzornig zu sein, sich zurückhalten zu können, seine Wut unter Kontrolle zu haben – und doch ist er genau weil er sich nicht zurückhalten konnte, eingefahren. Doch jetzt ist er ja draußen und alles wird anders. Mit diesem einen, letzten Coup. Damit kommt so viel Geld in die Kasse, dass man es sich danach gemütlich machen kann. Und der Plan ist schließlich absolut narrensicher. Doch als sein geliebter Bruder, der sich gerade ergeben wollte, von einem Polizisten beim Fluchtwagen erschossen wird, sieht Naylor rot. All seine Wut bricht sich Bahn und er begibt sich in einen beispiellosen Amoklauf.

Mit Makeln

Keiner der Beteiligten ist über Fehl und Tadel erhaben. Tidey lässt sich in einem Gerichtsprozess bei der Falschaussage erwischen, auch wenn er nur keine Lust hatte, einen Streit zu schlichten, erhält er dafür natürlich eine Rüge. Der tote Banker hatte sowieso Dreck am Stecken, aber als Banker gehört das ja zum guten Ton – welcher von denen hat denn damals in der Krise nicht mitgemischt? Doch höchstens die kleinen Rädchen ganz unten im Getriebe. Doch auch Maura Cody, als Nonne eigentlich untadelig, erhob damals ihre Hand zur „Erziehung“ der Waisenkinder. Jeder kämpft mit seinen eigenen Dämonen, manche können diese besiegen, andere verlieren.

Sieg und Niederlage

Die Schlacht mag vielleicht gewonnen sein, der Krieg noch lange nicht. Der Autor beleuchtet die irische Gesellschaft, zwischen Religion und Kapitalismus, und dies grelle Licht zeigt, keiner ist hier der Gewinner. Alle haben verloren. Brüder, Moral, Geld – was spielt letztendlich keine Rolle. So gesehen, ein düsterer, irischer Noir mit nur wenig Aussicht auf Hoffnung, wenn auch Tidey einen kleinen Funken im Dunklen aufrecht erhält. Zwei Fälle, die an sich erst mal nur den Detective gemein haben, zufällig verknüpft, die in einem Alptraum enden. Und doch hat der Krimi wenig mit dem Mainstream gemein, es geht nicht um Ermittlungen, es geht um Hintergründe, Schuld, Reue und Wut. Um das Leben. So wie es eben manchmal ist. Hart und ungerecht. Noir.

Fazit:
Ein Buch wie ein wütender Hornissenschwarm. Es trifft einen und piesackt jede Stelle im Körper, so wie ein Noir das auch machen soll. Düster, packend und gewaltig!

 



Gene Kerrigan – Die Wut
Verlag: Polar
Übersetzer: Antje Maria Greisiger
315 Seiten
ISBN: 978-3945133064

 

 

Weiterer Titel von Gene Kerrigan:
In der Sackgasse

 


Andere Meinungen:

crimealley meint: „Bleibt man sich dieser Richtung treu, kann ich nur konstatieren: Sie mag zwischen den Buchdeckeln oft düster und kalt daherkommen, für uns Leser ist sie wahrhaft rosig. Großes Kompliment für die gelungene Übersetzung eines in allen Belangen überzeugenden Kriminalromans, den ich mit Freuden weiterempfehlen werde.“
crimenoir meint: „“Die Wut” bietet keine Wohlfühllektüre, sondern zeigt, wie Menschen, die unter Druck geraten, in Ausnahmesituationen ticken.“
booknerds meint: „Schön, dass solche, nicht ganz perfekte, aber belangreiche und düster-glimmende Kleinode in Deutschland publiziert werden.“
Zeilenkino meint: „„Die Wut“ ist ein intelligenter Kriminalroman, der von einigen Mustern des Irish Noir wohltuend abweicht.“
Krimilese meint: „Nichts in diesem Kriminalroman ist dem Mainstream dieses Genres zuzuordnen. Gene Kerrigan schreibt anders, keine simple Whodunit-Story, kein cosy-crime, keine Schenkelklopfer-Comedy. Kein melancholischer Alk als Cop.“


 


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Reblogged: Kevin Barry – Dunkle Stadt Bohane — WortGestalt-BuchBlog

 

Es gibt so Bücher, die will man schon ewig lesen und ärgert sich bei jeder neuen Rezension, dass man es immer noch nicht gelesen hat… so geschehen heute bei Phillys Rezension auf Wortgestalt-Buchblog in unserem Blogspezial zu irischer und nordirischer Kriminalliteratur mit Kevin Barrys „Dunkle Stadt Bohane“. Philly ist in diesem kleinen Meisterwerk, welches sich so gar nicht genau einordnen lässt, buchstäblich ersoffen – da muss und sollte man unbedingt reinschauen, warum:

Es ist der Fluss, sagen sie. Die schwarzen Fluten des Bohane, die den Ruch des Bösen in die Stadt tragen. In die dunkle Stadt Bohane, benannt nach diesem strömenden Gewürm aus der Großen Nichtsöde. Bohane ist ein düsterer Ort an Der Beitrag Kevin Barry – Dunkle Stadt Bohane erschien zuerst auf WortGestalt-BuchBlog.

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Drei, drei, drei: Blau ist die Nacht – Eoin McNamee

Selten hat ein Buch mich soviel Überwindung gekostet wie dieses hier. Schon ein wahrer Kraftakt war es, das Buch überhaupt anzufangen, so ist es mit mir auf Urlaub und auf Geschäftsreise geflogen und immer wieder ungelesen mit zurückgekommen. Dann wurde es angefangen und nach wenigen Seiten beiseite gelegt. Und nochmal. Und nochmal. Doch wer jetzt denkt, da hätte ich schon lange aufgegeben, kennt mich schlecht. Schließlich kann man nicht von vornherein sagen, ob ein Buch gut oder schlecht ist, wenn man es nicht bis zum Ende gelesen hat. Manche Bücher dauern einfach ein bisschen, manche werden erst nach hundert oder gar mehr Seiten gut und man fühlt sich wohl. Manche Bücher schaffen das gar nicht. Wie ist es mir also letztendlich mit „Blau ist die Nacht“ ergangen?

Dreiteiler

Der vorliegende Krimi ist der dritte und letzte Teil einer Trilogie um den Attorney General Lancelot Curran. Die beiden ersten Teile, „Blue Tango“ und „Requiem“ habe ich nicht gelesen, doch nach den Klappentexten zu urteilen, drehen sich alle drei Teile um drei Ereignisse, wobei jeder Teil sich eines herauspickt und die anderen beiden Ereignisse nur touchiert. Im Falle von „Blau ist die Nacht“ liegt der Hauptaugenmerk auf dem Mord an Mary McGowan und die darauffolgende Verhandlung gegen den Mörder Robert Taylor. Obwohl die Beweislage eindeutig ist, erhält die Verhandlung eine politische Dimension in der augeheizten Atmosphäre Nordirlands. Die katholische Mary McGowan, ermordet vom protestantischen Robert Taylor. Ein Pulverfass. Curran will Tayler hängen sehen und hat alle Beweise und Indizien auf seiner Seite – die politische Unruhe ignoriert er. Für ihn, eine Spielernatur, ist es eine Herausforderung, einerseits den Prozess zu gewinnen und andererseits seine Karriere voranzutreiben. Doch da ist ja noch sein Adjütant Harry Ferguson, der im Hintergrund die Strippen zieht, auch wenn er entgegen Currans Wünschen agiert.

„Es gibt solche Chancen und solche, Mr. Curran. Sie haben mir hier ein übles Blatt ausgegeben.“
„Es kommt nicht auf das Blatt an, Harry. Es kommt darauf an, wie man spielt.“ (S. 22)

Hin und Her

Dass ich das Buch anfangs immer wieder angefangen und weggelegt habe, lag vermutlich daran, dass der Autor hier ziemlich wild zwischen drei Zeiten hin und her springt. Zum einen 1949, zu der Zeit als Robert Taylors Verhandlung statt findet und auch der Hauptteil der Geschichte sich abspielt. Zum anderen ins Jahr 1952, dem Jahr in dem Patricia, die Tochter von Lance Curran, ermordet wird und dafür Iain Hay Gordon verurteilt wird, dessen Unschuld erst Jahrzehnte später bewiesen wird und sodann wieder auf freien Fuß gesetzt wird, derweil der Mord an Patricia noch heute ungelöst ist. Und zum anderen das Jahr 1961, in dem ein ähnlich gelagerter Fall wie von Patricia von Lance Curran verhandelt wird und der dort Angeklagte der letzte ist, der in Nordirland vom Galgen baumelte. Gleichzeitig folgt man hier Harry Ferguson, der Doris Curran, Patricias Mutter, in der Irrenanstalt besucht und versucht, ihr die genauen Geschehnisse vom Abend des Mordes an ihrer Tochter zu entlocken.

Versteckt, im Hintergrund

In weiten Teilen ist der Krimi ein Justizkrimi, die Verhandlung von Robert Taylor steht ganz klar im Vordergrund. Ankläger und Verteidigung fahren Zeugen auf, legen Indizien vor, verhören den Angeklagten. Von den Besucherhängen beurteilt Ferguson gemeinsam mit Patricia, die dafür die Schule schwänzt, die Verhandlung, kritisiert, deutet an und erklärt. Seine Machenschaften hinter den Kulissen hält er geheim. Auch die Spannung des Konflikts zwischen Katholiken und Protestanten scheint immer präsent, aber nie zu knistern. Wie es sich wohl auch für einen Justizkrimi gehört, bleibt der Autor auch hier recht trocken und pragmatisch, ein Pulverfass, vor dem jeder Angst zu haben scheint, das aber nie explodiert.

„Weiter muss ich meine Sache nicht begründen“, sagte Curran. „Die Verhöre haben die Anklage bestätigt. Die Geschworenen sind verpflichtet, alle Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Die Folgen eines Schuldspruchs dürfen bei der Entscheidungsfindung keine Rolle spielen. Die Sache ist eindeutig.“ (S. 163)

Cutbush war’s

Eine gruselige Komponente erhält die Geschichte durch Doris Curran. Als Tochter des Direktors einer Irrenanstalt, war sie ständig von Geisteskranken umgeben, bevor sie Lance Curran heiratete. Einer der Insassen war Thomas Cutbush, einer derjenigen, die damals im Verdacht standen Jack the Ripper zu sein – auch Doris ist ihm begegnet. Eine Freundin hat sie sich gewünscht, als sie ihre Tochter bekam, doch Patricia entwickelt sich ganz anders. Es gibt Reibereien, Patricia gilt als flatterhaft. Nach Patricias Ermordung wird Doris selbst in eine Irrenanstalt eingewiesen. Hier treten zwei weitere Persönlichkeiten zutage, Lucy, ihr altes Kindermädchen, aber auch der „Dreiste Jack“, Thomas Cutbush.

„Aber Doris fiel auf nichts davon herein. Sie hatte eine Hand auf die Schere im Frisiertisch gelegt. Hörte nackte Füße hinter sich durch das Zimmer tappen. Die Nackenhaare stellten sich ihr auf. Wie sie sich heranschlichen. Diese verstohlenen Schritte. Jeder schäkert gern mit Thomas Cutbush. Alle Mädchen mögen Tom.“ (S. 95)

Geheimnishüter

Vielleicht muss man die komplette Trilogie kennen, um das Buch entsprechend würdigen zu können, doch ganz leicht macht es einem weder der Autor noch der deutsche Buchmarkt. Zwischen den Büchern ist einige Zeit verstrichen und auch der Verlag hat gewechselt, so allerdings muss man eigentlich annehmen, dass man das Buch unabhängig von den anderen Teilen lesen kann. Trotzdem habe ich immer auf die Auflösung von Patricia Cullans Ermordung gewartet, denn diese hat bei mir das größte Interesse geweckt. Vielleicht weil man das Mädchen kennenlernt, die Familie, die Currans, die alle irgendein Geheimnis zu hüten scheinen. Letztendlich bietet der Autor den Hauch einer möglichen Auflösung, doch natürlich weiß man, dass dieser wahre Mordfall nie gelöst wurde. Die Currans werden also weiter ihre Geheimnisse hüten.

Fazit:
Ein Gerichtskrimi, der es aber nicht nur mit einem, sondern gleich drei realen Fällen aufnimmt, während im Hintergrund der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanen brodelt. Obwohl ich ein großer Fan des Noir bin und hier ein schönes Beispiel dafür vorliegt, konnte mich der Krimi einfach nicht packen. Schade.

 



Eoin McNamee – Blau ist die Nacht
Verlag: dtv
Übersetzer: Gregor Runge
265 Seiten
ISBN: 978-3423261111

Trilogie:
1. Blue Tango (nur noch antiquarisch zu erhalten)
2. Requiem
3. Blau ist die Nacht

Autorenspecial bei dtv

 


Weitere Stimmen:
Gunnar bei Kaliber.17 meint: „‚Blau ist die Nacht‘ hat mich ungemein fasziniert. McNamee spinnt ein enges Netz zwischen den Figuren, verbindet mühelos zwei reale Fälle zu einer fiktiven, intensiven Geschichte. Es ist oberflächlich ein Whodunnit, die Suche nach dem Mörder von Patricia Curran. Aber gleichzeitig ein hintergründiger Noir über eine korrupte Justiz, gesellschaftliche und familiäre Abgründe und verschiedene Facetten der Psychose. Für mich eines der Highlights in diesem Jahr.“


 


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Reblogged: Stuart Neville – Die Schatten von Belfast — WortGestalt-BuchBlog

Dass es im Krimi auch mal um Geister und Dämonen geht, zeigt nun Stuart Neville in „Die Schatten von Belfast“. Ein Buch, welches noch in meinem SUB schlummert, aber wohl gehörigst da rausgeholt gehört.
Warum?
Das seht ihr im heutigen Beitrag von Philly auf dem Wortgestalt-Buchblog, die das Buch im Rahmen unseren Blogspezials zu irischer und nordirischer Kriminalliteratur gelesen hat. Also hier bitte klicken:

Mit Anfang Zwanzig verübte Gerry Fegan seinen ersten Mord für die IRA. Elf weitere folgten. Insgesamt zwölf Menschenleben beendete Fegan während des Nordirlandkonfliktes. An jedes einzelne erinnert er sich. Das ist ganz leicht. Denn die Geister der Toten begleiten ihn. Der Beitrag Stuart Neville – Die Schatten von Belfast erschien zuerst auf WortGestalt-BuchBlog.

über Stuart Neville – Die Schatten von Belfast — WortGestalt-BuchBlog