Anne Goldmann – Alle kleinen Tiere
Verlag: Argument Verlag
301 Seiten
ISBN: 978-3867542517
Ich bin traurig. Wer meinem Blog schon von Anfang an folgt, wird mitbekommen haben, dass ich ein großer Fan von Anne Goldmann und ihren Büchern bin. Deshalb hab ich mich natürlich außerordentlich gefreut, als ihr neues Buch “Alle kleinen Tiere” hier bei mir angekommen ist. Wie so oft, wollte ich es nicht gleich lesen, sondern es mir für eine besondere Zeit aufheben. Nun habe ich es in meinem Urlaub gelesen, bin total begeistert und gleichzeitig sehr traurig. Denn ein nächstes neues Buch wird es nicht geben. Leider ist Anne Goldmann dieses Jahr verstorben.
Somit wird dies nicht nur eine kleine Rezension zu ihrem neusten Streich, sondern auch ein kleiner Blick zurück. Ganz unten könnt Ihr die Links zu meinen Rezensionen ihrer vier anderen Bücher finden, aber auch den Link zu den beiden Interviews, welche ich 2017 und 2018 mit ihr führen durfte. Auch erinnere ich mich gerne daran, dass ich Anne Goldmann einmal auf der Leipziger Buchmesse getroffen habe und mich ganz wunderbar mit ihr unterhalten habe. Noch heute bin ich erstaunt darüber wie interessiert sie an mir als Person war – eigentlich ist es ja eher umgekehrt, dass man als Leser ein tiefes Interesse an der Autorin / dem Autor hat, doch hier hab ich mich auf einer Höhe gefühlt und gleich auch wohl gefühlt.
Dieses Treffen wird mir immer in Erinnerung bleiben und ihre 5 Bücher bleiben natürlich in meinem Bücherregal, so dass ich sie immer wieder hervorziehen und nochmal lesen kann. Das ist bei einem Krimi nun oft ein wenig langweilig, da man ja das Ende der Geschichte schon kennt, doch Anne Goldmann schafft es in ihren Geschichten, so ausgezeichnet unterschwellig Spannung aufzubauen, dass jede nochmalige Lektüre eine Bereicherung und alles andere als langweilig ist.
Und so ist das auch bei “Alle kleinen Tiere”. Wer nun aber Thriller im Sinne von Sebastian Fitzek, Chris Carter oder ähnlichen erwartet, der wird enttäuscht sein, denn hier wird die Spannung nicht brutal mit dem Hammer (oder wahlweise Messer, Kreissäge, etc – ihr wisst schon) erzeugt, sondern subtil und hauchdünn. Und damit gelingt es der Autorin eine wesentlich bedrohlichere Atmosphäre aufzubauen, als es bluttriefende Psychothriller jemals könnten. Die Situationen sind alltäglich und die Bedrohungen klein, aber deshalb nicht weniger bedrohlich für die Menschen, die darin gefangen sind.
“Alle kleinen Tiere, dachte er, werden von den großen gefressen. Das war schon immer so.” (S. 76)
Der Plot der Geschichte dreht sich um 4 Personen: Rita, die viele wohl als dumm bezeichnen würden, Ela, die von ihrer Vergangenheit und Alpträumen heimgesucht wird, Tom, der in ständiger Gefahr vor den Nachbarn lebt und Marisa, die nicht allein sein kann und will. Alle vier sind ganz normale Menschen, keine Ermittler oder Journalisten, lose verbunden durch einige Vorfälle und zwei Grundstücke.
Viel mehr zum Inhalt will ich gar nicht erzählen, doch alle vier waren für mich Sympathieträger. Sie sind sich sehr unterschiedlich und eine skurril zusammengewürfelte Truppe, auch wenn man das nicht falsch verstehen sollte – anfangs kennen sich gar nicht alle und erst nach und nach zeigt sich, wie sie in der Geschichte miteinander verbandelt sind, bzw werden. Doch eins eint sie: jeder hat vor etwas Angst: der Vergangenheit, dem Alleinsein, vor der Bloßstellung, vor Hunden usw. Alltägliche Ängste, wovon jeder welche hat. Es gibt wohl kaum Menschen, die keine Angst haben, nur viele wissen damit umzugehen. Alle vier leben in einem sehr fragilen Leben, welches schon durch kleine Geschehnisse ins Wanken kommt und ihre alltägliche Normalität bedroht.
Und diese Bedrohung ist es eben, die den Thriller – oder ich will es lieber Spannungsroman nennen – zu etwas besonderem macht. Es sind vielleicht nur kleine Dinge, vielleicht unbedacht, vielleicht nicht, aber sie können das sorgfältig aufgebaute Leben einstürzen lassen. Natürlich kann die Autorin aber auch mit handfesteren Themen punkten, die sie eingebaut hat. Es geht um Wohnungsbaupolitik, nur am Rande, aber nicht unwesentlich für die Geschichte, um verpfuschte Kindheiten und unglückliche Erben, um Selbständigkeit, Freundschaft und das Glück im Kleinen.
Und doch endet das Buch für mich mit einer Ungewissheit, denn eine der Protagonisten ist eine unzuverlässige Erzählerin – und wer garantiert mir, dass die anderen dies nicht auch sind? So frage ich mich, wie viel Innenleben der Protagonisten die Autorin preis gegeben hat und wie viel sie zurückgehalten hat. Und damit weckt sie Gedanken, die ich mir am Ende des Buches stelle und mich noch weit nach der Lektüre beschäftigen. So wie es ein gutes Buch ja auch soll.
Fazit:
Für mich sind Anne Goldmanns Spannungsromane immer ein absolutes Highlight.. Ich liebe die Art, wie sie eine bedrohliche Atmosphäre schafft und darin ganz normale Menschen darum kämpfen, ihre kleine Normalität wieder zu erlangen, zumindest soweit möglich. Das alltägliche Leben kann eben viel bedrohlicher sein als jeglicher erdachte Serienkiller – und mir persönlich macht das auch viel mehr Spaß zum Lesen. Ein grandioses Leseerlebnis und somit nur zu empfehlen.
Weiterführende Links zu meinen Rezensionen von Anne Goldmann:
Sowie die Links zu den beiden Interviews mit Anne Goldmann:
26. November 2021 um 18:08
Eine tolle Besprechung und vor allem eine schöne, angemessene Würdigung von Anne Goldmann, dessen Tod mich auch ziemlich überrascht hat. Ich bin froh, noch ein paar ungelesene Titel von ihr in meinem Regal zu wissen.
26. November 2021 um 21:38
Darum beneide ich dich – ich hätte auch gerne noch ein paar ungelesene Titel von ihr im Regal. 😔
27. November 2021 um 10:49
Ja, das ist wirklich traurig. :-(
29. November 2021 um 21:00
Schöne Würdigung von Anne Goldmann und ihrer originellen, phantasievollen Romane.