Die dunklen Felle

Krimis, Thriller und Science Fiction

Marseille.73 – Dominique Manotti

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Dominique Manotti – Marseille.73
Verlag: Argument Verlag
Übersetzerin: Iris Konopik
397 Seiten (inkl. Glossar, Personenverzeichnis und Nachbemerkung)
ISBN: 978-3867542470

 

 

 

“Die Stadt stinkt vor Straflosigkeit und Gewalt, Grimbert. Straflosigkeit gebiert Gewalt.” (Seite 377)

In den siebziger Jahren schwelt es in ganz Frankreich, doch in Marseille ganz besonders. Hier ist der Mord an einem Busfahrer der Auslöser für rassistische Übergriffe auf nicht-französisch stämmige Menschen, allen voran denjenigen aus Algerien. Ein junger Mann, Malek Khider, wird vor einem Café niedergeschossen. Die Polizei ermittelt schlampig, verzögert und hofft darauf, dass der Fall bald kalt wird und zu den Akten kommt. Pech für die Polizei ist allerdings, dass da der Neue ist, Commissaire Daquin, kein Marseiller. Der jedenfalls untersucht mit seinem Team gerade die Aktivitäten der UFRA (Vereinigung der französischen Algerienheimkehrer), die sich am Rande der Legalität bewegen und viele der UFRA Mitglieder sind Polizisten. Wie gut, dass sich hier Überschneidungen mit dem Mordfall Khhider ergeben, denn so kann Daquin mit seinem Team beide Ermittlungen vorantreiben.

Zugegeben, es ist mir ein wenig schwer gefallen, in die Geschichte reinzukommen. Wie das häufig so bei Dominique Manotti ist, macht sie es dem Leser nicht einfach. Sie schreibt keine Krimis für Zwischendurch, kein Fast Food – hier benötigt man schon ein wenig Aufmerksamkeit. Dabei hat sich die Autorin wieder ein spannendes Thema ausgesucht, welches durch Verstrickungen in die Vergangenheit, politische Verflechtungen und Korruption, aber auch auf dem blinden Auge der Polizei und Justiz beruht. Dies komplex zu nennen, wäre untertrieben. Nichtsdestotrotz liefert einem das Buch alle Hintergründe, die benötigt werden, um der spannenden Ermittlung zu folgen. Den Einstieg macht ein Prolog, der die aktuelle Situation in Frankreich der 70er Jahre aufzeigt und einen Erlass erklärt, welcher viele Migranten zu Illegalen erklärt. Doch dies ist erst der Startschuss, es folgt ein breit gefächertes Bild der Situation in Frankreich, natürlich verpackt in die Ereignisse um den Tod des Busfahrers und Malek Khiders.

Und tatsächlich schreiten die Ermittlungen in der ersten Hälfte des Krimis auch eher schleppend voran. Das ist zum einen so, weil die Surete keinerlei Interesse daran hat, den Tod von Malek Khider aufzuklären, und Daquins Team seine Ermittlungen um die UFRA umsichtig planen muss, um hier politisch in keine Fettnäpfchen zu treten und ihre Ermittlungen vor den Kollegen geheim zu halten, zum anderen aber auch, da vielfach die Ermittlungen erst mal gar nicht im Fokus stehen, sondern die Ereignisse vor, während und nach Malek Khiders Tod: Die Vorbereitungen und Ränkespiele der Rechten, aber auch der Linken sowie die Vertuschungsversuche der Polizei und Justiz.

Hierbei streut die Autorin viele Hintergründe, aber auch Organisationen und Strömungen, ein, die mir so gar nicht bekannt waren. Ungemein hilfreich ist hier das Personenverzeichnis und das Glossar am Ende des Buches. Gerade zu Beginn der Geschichte , aber auch später hab ich da gerne nochmal drin geblättert. Ich war in der ersten Hälfte des Buches schlicht überwältigt von der Vielzahl der Informationen und dem weit verzweigten Strukturen, die zeigen, wie alles miteinander zusammenhängt und mir hat der Kopf gebrummt.

Ja, das mag herausfordernd sein, aber es ist schlicht und einfach nötig, um den beiden Ermittlungen die erforderliche Brisanz und Gewichtung zu geben. Die Ermittlungen haben politische und gesellschaftliche Auswirkungen und wollen in Gänze verstanden werden. Aber keine Sorge – ab der Hälfte des Buches nehmen dann auch Daquins Ermittlungen Fahrt auf. Ab hier bin ich nur so durch die Seiten geflogen und wollte endlich wissen, wie Daquin die Übeltäter rankriegt. Nebenbei hab ich Zustände bekommen, über die Polizei und was für ein übler Haufen das eigentlich ist. Jeder scheint nur um sein eigenes Schäfchen im Trockenen besorgt zu sein, keiner will durchgreifen oder angreifen, um nur ja sein Ansehen, seine Position oder seine Pension nicht zu gefährden. Einzige Ausnahme scheint hier Daquin und sein Team zu sein.

Madame Manotti macht es einem also nicht leicht – bei der Lektüre muss man gleich von Beginn an sehr aufmerksam lesen, um die Zusammenhänge zu verstehen und alle Beteiligten mitzubekommen. Aber es lohnt sich, diese anfängliche hohe Aufmerksamkeit auf sich zu nehmen, denn im Gesamtbild bekommt man einen höchst spannenden, politisch verstrickten und pointierten Kriminalroman. Und dies gelingt der Autorin in ihrem gewohnten, knappen aber präzisen Schreibstil. Hier ist kein Wort zu viel und keins zu wenig, mitunter wirkt das fast schon kühl. Mit dieser Art des Schreibens verleiht sie den Geschehnissen noch mehr Realität, als es die Hintergründe, die sie hier fein ziseliert aufbereitet, eh schon tun. Natürlich ist es eine erfundene Geschichte, doch kein Zweifel, genauso hätte sie stattfinden können.

Die Fremdenfeindlichkeit nimmt mehr und mehr zu und scheint gleichzeitig ungebrochen. Ich wusste bisher nichts darüber, wie dieses Thema in Frankreich in den 70ern hochgekocht ist, doch natürlich sind mir Ereignisse aus der deutschen Vergangenheit, wie z. B. die NSU Morde, im Gedächtnis. Und das Thema kocht weiter, befeuert durch Populisten und Rechte. Es scheint, wir als Gesellschaft, können uns diesem Hass nicht entledigen. Wir lernen nicht aus der Geschichte, sondern machen weiterhin schön immer die gleichen Fehler. So bleibt nach der Lektüre des Buches das Gefühl einen wahnsinnig guten Krimi gelesen zu haben, aber auch das Erschrecken, dass die Realität leider gar nicht so weit davon entfernt ist.

4 Kommentare zu “Marseille.73 – Dominique Manotti

  1. Ah, wie ich mich freue, von Dir wieder eine Rezension zu lesen. Und dann auch noch sehr gelungene, die mir schmerzhaft in Erinnerung bringt, das ich mir endlich mal meine ungelesenen Manottis vornehmen muss. Obwohl ich sonst doch oft so meine Probleme mit französischen Krimi-Autoren habe, hat sie eine einmalige, wenn auch manchmal etwas unverdauliche Stimme, die mich jedes Mal um den Finger wickelt.

    Übrigens musste ich mich gerade vergewissern, ob ich den Titel schon habe und dazu ein Fernglas zur Hilfe nehmen, weil das Regal so hoch ist und das Buch ganz oben hinten steht. Das sollte darlegen, wie hoffnungslos verloren ich inzwischen bin. :-D

    • Ja, Madame Manotti macht es einem nicht immer einfach – deshalb hab auch ich noch ein, zwei von ihr ungelesen im Regal stehen – aber immer nach einer frischen Lektüre, denke ich mir, ich müsste die anderen jetzt dann auch mal lesen…
      Aber Bücher werden ja nicht alt und ich bin mir sicher, in der Rente haben wir viel Zeit all die Schätze oben auf den Regalen, in den zweiten Reihen und wo Ferngläser gar nicht mehr hinreichen, wieder zu finden und zu lesen. :-)

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