Die dunklen Felle

Krimis, Thriller und Science Fiction

Genial: Kritische Masse – Sara Paretsky

8 Kommentare

Von Sara Paretsky wollte ich schon ganz lange etwas lesen, doch ihre Bücher waren zumeist nur noch antiquarisch erhältlich, als ich endlich auf die Idee kam. Nun hat es sich allerdings so ergeben, dass zum einen der Piper Verlag den ersten Teil der Krimireihe um Privatdetektivin V.I. Warshawski als Taschenbuch neu veröffentlicht hat, zugleich als ebook, gemeinsam mit weiteren Teilen der Reihe, aber auch der Argument Verlag Sara Paretsky in Deutschland eine neue Heimat gegeben hat. Der Krimi „Kritische Masse“ ist nicht der zuletzt auf Englisch erschienene Teil um die Privatdetektivin, aber der nächste in der Reihenfolge von Übersetzungen, die in Deutschland erschienen sind. Auch ein wenig musste ich schlucken, als ich den Klotz von Buch in der Hand hielt, denn mit über 500 Seiten ist das Buch doch ein wenig dicker als bei Krimis das sonst so üblich ist. Nichtsdestotrotz war das Buch bei mir so schnell ausgelesen, dass ich gleich den Piper Verlag ein wenig reicher gemacht habe und nun alle Daumen gedrückt halte, dass der Argument Verlag auch die nächsten Teile der Reihe übersetzt und veröffentlicht, damit ich noch ganz viel V.I. Warshawski abbekomme.

V.I. Warshawski betreibt eine Detektei, in der sie sich hauptsächlich um Fälle aus der Wirtschaft kümmert. Doch nun ist ihre Freundin Lotty Herschel auf sie zugekommen und bittet sie um Hilfe. Es geht um die drogensüchtige Judy Binder, die Tochter einer alten Freundin von Lotty, die sich immer mal wieder meldet, natürlich nur, wenn sie Probleme hat. Und so macht sich V.I. auf, um die Drogenabhängige zu suchen und landet in einer Drogenküche, untergebracht in einer alten Farm, mit chemischer Müllgrube im Garten und zwei Hunden, einem tot, ein anderer verletzt und ängstlich. Warshawski besucht auch die Mutter, Kitty Binder, und muss dabei feststellen, dass auch der Sohn von Judy, Martin Binder verschwunden ist. Obwohl Kitty paranoid und sehr misstrauisch gegenüber V.I. ist, engagiert sie diese, nach ihrem Enkel zu suchen. Dieser war ein Einzelgänger, aber ein kleines Genie mit Arbeitsplatz bei Metargon, die den Metagorn-1 entwickelt hat und damit den Grundstein gelegt hat, um heute genauso groß wie Google und Microsoft zu sein. Und so dreht die Geschichte weiter Kreise und V.I. Warshawski muss tief in der Vergangenheit wühlen, um die beiden Vermissten wieder aufzutreiben.

V.I. Warshawski ist schon lange im Geschäft und das merkt man ihr auch an. Gekonnt weiß sie genau, wo sie den Daumen drauf legen muss, aber auch, wenn sie nachgeben muss und so bekommt sie ihre Informationen und Hinweise nach und nach und nähert sich der Lösung des Falles an. Gemeinsam mit ihren beiden Hunden, Mitch und Peppy, wohnt sie in einem Haus mit dem doch schon sehr betagten Mr. Contreras, der sie aber trotzdem immer wieder begleiten und beschützen will. Mr. Contreras ist eine große Hilfe mit den beiden Hunden und eine Fürsprecherin für die gefundene, verletzte Rottweilerin. Ihr Freund, Jake Thibaut, ist gerade auf Tournee an der Westküste, so dass nur hin und wieder Telefonate möglich sind. Das vereinfacht zwar ihren Arbeitsalltag, aber beschert ihr auch einsame Stunden am Abend nach der Arbeit. Von der Komplexität des Falles ist aber nicht nur der Leser überwältigt, sondern auch V.I. gönnt sich immer wieder einige Minuten, um über alles nachzudenken. Daneben ist sie allerdings nicht zimperlich. Sie platzt nicht nur unangekündigt und unaufgefordert in das Haus eines Drogendealers, sondern wagt sich auch in die Müllgrube des Methlabors, um nach Hinweisen zu suchen.

Rund um die Suche nach den zwei Vermissten, Mutter und Sohn, spinnt die Autorin eine Familiengeschichte über vier Generation, baut Einblicke in das von Nationalsozialisten besetzte Österreich ein, zieht eine Bilanz der Geschichte des Computers. Es geht um Frauen in der Wissenschaft, zur NS-Zeit, Jüdin oder auch nicht, die ohne Vergütung gearbeitet haben, derweil die Männer angestellt waren. Frauen, deren Ergebnisse nichts zählten oder von Männern für ihre verkauft wurden. Es dreht sich um Frauen mit Leidenschaft für die Wissenschaft, für die Physik, egal welche Regierung gerade herrschte. Es geht um ein Imperium erbaut auf einer Lüge. Wie ein roter Faden zieht sich die Geschichte der Saginors/Binders, die unzertrennbar mit der Geschichte der Herschels verbunden ist, durch die Themen und Warshawski hangelt sich Stückchen für Stückchen daran entlang.

Und auch wenn das jetzt komplex klingt, war die Geschichte wunderbar verständlich und nachvollziehbar. Eine geniale Konstruktion, welche die Vergangenheit mit der Gegenwart verknüpft, mit Leichtigkeit wissenschaftliche Themen einarbeitet und Geschichte lebhaft und spannend erzählt,  ist der Autorin hier gelungen. Nichtsdestotrotz wird die Arbeit der Privatdetektivin nicht vernachlässigt. Der Plot wird kontinuierlich und beharrlich vorangetrieben, Warshawski beißt sich fest und bleibt im Gedächtnis. Wer behauptet harboiled Privatdetektive gibt es nur in männlicher Form hat bestimmt noch nichts von V.I. Warshawski gehört. Es war eine atemlose Jagd, vor und zurück in der Geschichte, rund um zwei Familien und hinein in die Gründung von Computerunternehmen. V.I. Warshawski ist meine neue Superheldin, ganz ohne Kostüm und Unfehlbarkeit. Ein Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht und ihrem Instinkt vertraut, der ihre Schnüfflernase in die richtige Richtung schickt. So stelle ich mir hardboiled private eyes vor, so sollen sie sein. Und so möchte ich mich Else Laudan in ihrem Vorwort anschließen und sagen: Danke, Sara Paretsky. Aber auch Danke, Else Laudan. Dafür, dass sie diese wunderbare Autorin wieder auf dem deutschen Buchmarkt etablieren!

Fazit:
V. I. Warshawski ist eine Wucht – das alleine würde schon ausreichen, doch die Autorin bietet einen komplexen, packenden Plot, der seinesgleichen sucht. Real, hardboiled und ein verdammt gut konstruierter, äußerst spannender Fall – dieser Krimi hat alles was ein Krimiherz sich wünscht. Unbedingt lesen!

 



Sara Paretsky – Kritische Masse
Verlag: Argument
Übersetzerinnen: Laudan & Szelinski
539 Seiten
ISBN: 978-3867542364

 


 

8 Kommentare zu “Genial: Kritische Masse – Sara Paretsky

  1. Habe im Sommer „Schadensersatz“ gelesen und war auch direkt begeistert von V.I.Warshawski. Eine taffe Detektivin, interessante Nebenfiguren und ein kluger, spannende Plot. Jetzt halte ich immer nach Gebrauchten Ausschau.
    Das Buch war neben meinem eigenen das, was ich aus unserer Specialliste am liebsten auch gelesen hätte. ;-)

  2. Habe im Sommer „Schadensersatz“ gelesen und war auch direkt begeistert von V.I.Warshawski. Eine taffe Detektivin, interessante Nebenfiguren und ein kluger, spannender Plot. Jetzt halte ich immer nach Gebrauchten Ausschau.
    Das Buch war neben meinem eigenen das, was ich aus unserer Specialliste am liebsten auch gelesen hätte. ;-)

  3. Da bin ich jetzt aber schon froh, dass ich „Kritische Masse“ bei meinem letzten Einkauf bei Miss Marple auch direkt mitgenommen habe. Ich komme wahrscheinlich erst im Januar dazu, es auch zu lesen, aber Vorfreude ist ja bekanntlich eine feine Sache.

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