Michael Dullau – Wir liquidieren!
Verlag: Stiftungs- und Initiativenverlag
162 Seiten
ISBN: 978-1980609377
Tatsächlich bin ich eine der Bloggerinnen, die nur wenige Mails direkt von Autoren bekommt. Und noch weniger von diesen Mails beantworte ich positiv. Nichtsdestotrotz kann mich hin und wieder eine Mail oder eben auch das als Rezensionsexemplar angebotene Buch reizen. Und das war auch hier der Fall. Wenn man sich nun ansieht, worum es in „Wir liquidieren“ geht, mag man deswegen vielleicht den Kopf schütteln, doch hin und wieder muss ich einfach auch über die Grenzen meiner Wohlfühlzone hinaus schreiten.
Der Autor, Michael Dullau, hat sich der Aufarbeitung verschiedener Geschehnisse rund um die deutsch-deutsche Grenze verschrieben und hat schon mehrere Bücher zu dem Thema verfasst. Ein Thema, welches mir persönlich recht fern ist. Ich bin wohl behütet im Westen von Deutschland aufgewachsen und war bei der Wiedervereinigung noch keine 10 Jahre alt. Und doch finde ich, dass gerade diese Zeit, mal abgesehen von Spionage-Thrillern im Kalten Krieg, die aber hauptsächlich zwischen den USA und Russland stattfinden, nur wenig in der kriminalistischen Literatur zu finden ist, welche dieses Thema aufarbeiten. Ganz einfach hat es mir der Autor aber dennoch nicht gemacht, denn es handelt sich hier um 6 Kurzgeschichten, die ich zwar immer gerne lese, sich aber nicht so gut rezensieren lassen. Sei es drum – auch hier versuche ich mich immer gerne auf ein Neues.
Die 6 Kurzgeschichten basieren auf wahren Begebenheiten und sind vom Autor in fiktive Geschichten gepackt worden, die soweit möglich auf den tatsächlichen Geschehnissen beruhen. Die Erzählperspektive geschieht meist aus militärischer Sicht, meist von den Grenztruppen, aber auch hin und wieder gibt es Passagen, welche in das Leben der Opfer eintaucht. Diese erzählen Hintergründe, beleuchten wie es zu genau dieser Situation kam. Doch alle Geschichten haben eins gemeinsam: Sie alle handeln von Auftragsmorden, direkt oder indirekt von der ostdeutschen Regierung befohlen. An Grenzübertretern, Flüchtenden, Staatsfeinden, aber auch Westdeutschen. Danach totgeschwiegen oder vertuscht. An jede Kurzgeschichte sind weitere Informationen angefügt. Nachbemerkungen werden ergänzt mit den Untersuchungsergebnissen der ZERV (Zentrale Ermittlungsstelle Regierungs- und Vereinigungskriminalität) und einem Steckbrief des Opfers.
So kurz die Geschichten sind und so militärisch exakt und kühl gehalten, beinhalten die Geschichten das wahre Leben. Und dies macht sie so bewegend, so erdrückend. Eine Grenze, die offiziell aufgezogen wurde, um Fremde aus der DDR auszusperren, dient eigentlich nur dazu die eigenen Leute einzusperren. Wegen Nichtigkeiten und Kleinigkeiten wird man zum Staatsfeind degradiert, wegen dem Wunsch nach Freiheit, Grenzenlosigkeit niedergeschossen. Der nächste Schock ereilte mich dann bei den Nachbemerkungen bzw. den Untersuchungsergebnissen der ZERV, denn auch wenn einige Ermittlungen immerhin Erfolge aufweisen konnten, waren das nur wenige und diese wenigen waren auch noch lachhaft gering. Manche sind sogar ganz im Sand verlaufen. Menschen werden getötet und niemand wird zur Rechenschaft gezogen, ja, auch nicht, wenn man weiß, wer der Mörder war, wer den Mord befehligt hat. Ein trauriges Kapitel der deutsch-deutschen Grenze.
Und jedem, der jetzt wieder darüber nachdenkt, irgendwelche Grenzen oder Mauern zu ziehen, sollte sich ernsthaft Gedanken darüber machen, ob er damit wirklich andere Menschen aussperrt oder nicht eher sich selbst einsperrt. Es ist mir unverständlich, wie man eine neue Grenze fordern kann, wo doch wir, wir hier in Deutschland, unsere eigene Grenze noch keine 30 Jahre los sind.
Fazit:
Auf realen Tatsachen basierende Kurzgeschichten über Auftragsmorde an der deutsch-deutschen Grenze – ein Buch, welches nachdenklich stimmt und sehr bewegt.
9. September 2018 um 17:46
Ich denke, ich spreche damit wohl auch für den Autor, wenn ich sage: Danke, dass du diese Rezension geschrieben und auf das Buch aufmerksam gemacht hast. – Leider sind Grenzen nicht nur physische Gebilde. Ich werde das Gefühl nicht los, dass in den Köpfen vieler diese noch immer vorhanden, ja, bei manchen gar höher gebaut worden sind. Und dahinter liegt vergessen die nicht mal so weit zurückliegende Vergangenheit. Aus der wir augenscheinlich nicht zu lernen in der Lage sind.
10. September 2018 um 10:32
Vielen Dank für Deine tollen Worte. Grenzen sind mir ein Dorn im Auge – physisch und psychisch. Schade, dass wir Menschen wirklich so schnell im Vergessen sind und es uns anscheinend nicht stört, dass wir ständig die gleichen Fehler wiederholen. Umso wichtiger, dass es Autoren (u. a.) gibt, welche die Geschichte wieder hervorholen. Vielleicht lernt ja doch der ein oder andere noch daraus.
10. September 2018 um 12:02
Weshalb es umso wichtiger ist, das Lesen von Büchern zu fördern (in der Familie, im Freundeskreis) bzw. immer wieder die Bedeutung von Literatur zu unterstreichen. Die Macht des Buches sollte man selbst in den digitalen Zeiten von heute nicht unterschätzen.
10. September 2018 um 15:32
Finde ich auch – und Buch gibt es ja auch digital!
Bei meinem Familien- und Freundeskreis renne ich damit allerdings offene Türen ein… die sind alle fleißig am Lesen. Aber gibt ja noch Kollegen, Bekannte, die Bäckersfrau…
10. September 2018 um 15:37
Ich sehe – wir sind beide fleißig missionarisch unterwegs. :-D