Sarah Schulman – Trüb
Verlag: Argument
Übersetzerin: Else Laudan
269 Seiten
ISBN: 978-3867542418
Maggie Terry ist Alkoholikerin und drogensüchtig. Maggie Terry ist jetzt über 18 Monate trocken. Ihren Job bei der Polizei hat sie natürlich verloren, gleiches gilt für ihre Lebenspartnerin Frances und ihre Tochter Alina. Wegen Frances hat sie überhaupt die Reha gemacht, gezwungen hat Frances sie und ist dann mit Alina zu einer Neuen gezogen. Das wurmt Maggie, sie vermisst Alina sehr. Doch ein Schritt nach dem anderen, denn immerhin hat sie Mike Fitzgerald. Und Rachel. Und Jamie Wagner. Mike gibt ihr nach der Reha einen Job, Rachel ist ihre Mentorin. Jamie Wagner ist ihr erster Fall als Privatermittlerin in Fitzgeralds Anwaltskanzlei.
„Jetzt konnte sie das erkennen. Sie war nur einfach unfähig, die Chance zur Veränderung zu ergreifen, unfähig, im Unrecht zu sein. Unfähig, nicht zu explodieren, nicht mit Vorwürfen zu antworten, sich nicht als Opfer von Missbrauch zu gerieren, weil ihre Liebste verlangte, dass sie zuverlässig war. Dass sie fair war. Sie hatte immer alles mit Feuer beantwortet. Und jetzt hatte sie Asche.“ (S. 107)
Puh, Maggie bei ihrem Neuanfang zu folgen, ist nicht ganz einfach. Der Fall um die erdrosselte Schauspielerin Jamie Wagner, ist nicht nur zuerst, sondern auch über weite Strecken eher eine Nebengeschichte. Klar, Maggies Gedanken drehen sich um Alkohol, um Drogen, um ihre Liebsten, die sie verloren hat, denen sie aber auch die Schuld gibt, oder zumindest eine Mitschuld, bitteschön! Sie kann sich kaum auf Kleinigkeiten konzentrieren, treibt von AA-Treffen ins Büro und wieder in ihr kleines Apartment. Es ist authentisch, ja, aber auch hin und wieder anstrengend. Gerade anfangs dachte ich, geht es denn mit dem Fall nie los? Maggie badet in einem Moment im Selbstmitleid, derweil sie im nächsten Einsicht zeigt. Alles garniert mit ihrem analytischen Blick. Denn auch wenn sie früher besoffen und zugedröhnt war, eine gute Polizistin war sie schon.
Die Ermittlungen zu Jamie Wagner übernimmt Maggie nicht alleine, sondern zusammen mit Craig, auch ein Privatermittler der Kanzlei und ein IT-Freak. Das muss sich nicht nur einrütteln, sondern Craig hat massive Vorurteile über Maggie. Da ist er nicht alleine, denn die Kollegen im Büro sind entweder offen ablehnend und misstrauisch oder herzlich und euphorisch. Die Ermittlungen konzentrieren sich auf die beiden Männer in Jamies Leben: ihren Exfreund, einen berühmten Schriftsteller, und ihren Vater, bei dem schon bald klar ist, dass seine Beziehung zu Jamie ein Missbrauchsverhältnis war. Aber auch eine windige Therapeutin steht auf dem Plan. Wie es der Zufall so will, unternimmt Maggie einige Befragungen alleine und stößt dabei nicht nur auf Jamies Dämonen, sondern auch auf ihre eigenen, so dass sich die beiden Leben ineinander flechten, ohne sich jemals berührt zu haben. Ähnlichkeiten tun sich auf, auch wenn beide Frauen unterschiedlicher nicht sein könnten. Worte, Wendungen, Personen erinnern Maggie immer wieder an ihr Leben und sie driftet ab in Erinnerungen, Erinnerungen, die ihr sauer aufstoßen, bei denen sie vor allem Frances alle Schuld zuweist und doch weiß, dass das nicht die Lösung ist. Sie pendelt von sich zu Jamie und wieder zurück, immer auf der Suche nach der Lösung. Der Lösung des Falles, aber auch der Lösung für ihr Leben.
Ah, und nicht zu vergessen: New York. Maggie war lange weg und so bekommt sie die Veränderungen, die New York durchmacht, direkt um die Ohren gehauen. Alte, eingesessene Geschäfte, die nun leer und abweisend sind oder jetzt ein weiteres In-Restaurant oder die nächste Filiale einer Kette beinhalten, die vielen Yuppies und Reichen, die New York plötzlich bevölkern, wobei sie das gar nicht tun und die Straßen fast schon verwaist scheinen. Die New Yorker fehlen, verschwinden, diejenigen, die New York diesen tollen Ruf eingebracht haben. Gentrifizierung und Trump/Kushner, das ist mit New York geschehen und Maggie Terry erkennt ihre Stadt nicht mehr. Das Deli, welches Maggies im morgendlichen Ritual besucht, muss schließen, von einem Tag auf den anderen, dafür gibt es jetzt gegenüber Soja-Latte und kalt-gepresste Säfte für 10 Dollar. New York ist kein Ziel mehr, für die, welche die Offenheit, Wandelbarkeit, Unverwechselbarkeit von New York suchen, es ist nur noch ein Ziel für Reiche und welche, die noch reicher werden wollen. Etwas, dass mal außergewöhnlich war, was nun auf Einheit und Gleichheit getrimmt wird. Die Autorin übt Kritik, an ihrem veränderten New York, an dem neuen American Way of Life, an Donald Trump – und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Schonungslos grast sie die Zeitungen ab, konfrontiert mit immer irreren, aber leider wahren Nachrichten, zeigt das zerstückelte New York, und untermalt damit die Geschichten der beiden verlorenen Schicksale, das von Maggie Terry und Jamie Wagner. Doch nur eine hat noch die Chance das Schicksal zu wenden.
Und mag das jetzt alles doch ein wenig trostlos klingen, ist der Krimi doch ein so wundervoll komplex verwobenes Gebilde, welchem man ohne jegliche Verwirrungen folgen kann, welches man aufsaugt und in welches man sich sinken lässt. Ja, ein wenig trostlos, ja, ein wenig trüb, auch ein wenig schwer, aber so genial noir, dass man das Buch mit einem zutiefst zufriedenen Gefühl zuklappt. Nicht nur weil er superb geschrieben ist und mit Maggie Terry eine so widersprüchliche wie realistische Alkoholiker charakterisiert, sondern auch, weil Maggie am Ende, wenn auch nicht am Ziel ihres Weges, zumindest einen Schritt weiter ist. Nicht 6, nicht 8, schon gar keine 12 Schritte, aber einen. Einen wichtigen Schritt weiter.
Fazit:
So genial wie noir – wo war Sarah Schulman all die Jahre? Mit ihrem neuen Krimi legt die Autorin eine wahre Glanzleistung vor, die trotz all der Düsternis ganz wunderbar unterhält. So wie ein Noir eben sein soll. Ich bin begeistert!
Noch ein Appell zum Schluss:
Liebe Else, bitte grabe die 7 vor vielen Jahren bei Ariadne erschienen Krimis von Sarah Schulman wieder aus. Denn diese Autorin ist genial und ich möchte und will gerne alle ihren Krimis lesen, die nun aber leider nur noch schwer antiquarisch zu bekommen sind. Wie stehen die Chancen dafür?
27. November 2019 um 16:14
Schöne, einladende Besprechung.
Else Laudan hat wahrhaftig ein feines Händchen für erstklassige Krimiautorinnen.
28. November 2019 um 11:42
Vielen Dank!
Allerdings – die Auswahl bei den Ariadne-Krimiautorinnen hat mich noch nie enttäuscht. Ein Ariadne-Krimi ist immer eine „sichere Bank“.