Die dunklen Felle

Krimis, Thriller und Science Fiction

Geschwür: Die Maske – Fuminori Nakamura

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(c) Die dunklen Felle

Fumihiro Kuki ist ein Nachzügler. Seine Geschwister hat er noch nie gesehen, sie sind erwachsen und führen ihr eigenes Leben. Seine Mutter ist gestorben, sein Vater uralt und ignoriert ihn. Doch als Fumihiro elf ist, ruft er ihn in sein Zimmer und legt ihm den Plan seines Lebens vor. Er wurde gezeugt, um ein Geschwür zu sein, eine Wurzel des Bösen. Jemand, der Unglück über die Menschheit bringt. Eine Tradition in der Familie der Kukis, dass der letztgeborene Sohn zum Übel der Welt erzogen wird. Zugleich nimmt der Vater das Waisenmädchen Kaori auf und die beiden, Fumihiro und Kaori, wachsen wie Geschwister auf. Es kommt, wie es kommen muss, die beiden verlieben sich ineinander.

„Doch Vater irrte sich. Ich war bereits ein Geschwür. Das Spielzeugauto hatte ich nur mitgenommen, um ihn zu täuschen. In Wahrheit überlegte ich die ganze Zeit, wie ich ihn auslöschen könnte. Diese Pläne beschäftigen mich schon lange, jeden einzelnen Tag.“ (S. 15)

Mit einem klassischen Krimi hat „Die Maske“ nur wenig zu tun. Wollte man ihn einordnen, müsste wohl das Wort Noir fallen, japanischer Noir. Der Autor hat in Japan schon mehrere Bücher veröffentlicht, mit „Die Maske“ erscheint hier in Deutschland nach „Der Dieb“ nun ein zweites in deutscher Übersetzung. Während das erste noch melancholische Leichtigkeit ausstrahlte, zwischen Eleganz und Edelmut angesiedelt war, wird es hier düster. Es gibt hier keine Helden, keine zum Erfolg führende Ermittlung, keine Gewinner. Noir eben.

Fumihiro wird also zum Übel der Welt erzogen. Es scheint zuerst so, als würde es ihm wie vielen Sprösslingen reicher Familien gehen: abwesende und uninteressierte Eltern, in dem Fall der Vater, Erziehung erfolgt durch die Bediensteten. Es gibt viel Bildung, neben der normalen Schule, erhält er Einzelunterricht. Doch gleichzeitig mit Bekanntmachung seines Vaters tritt Kaori in sein Leben und er lernt Nähe, Sympathie, Liebe kennen. Welche ihm sein Vater bestialisch entreißt, als er vierzehn Jahre alt ist.

„Und wenn du vierzehn bist, zeige ich dir die Hölle“ (S. 13)

Die Geschichte beginnt in der Vergangenheit, auf dem Anwesen der Kukis und in Fumihiros Kindheit, pendelt dann zwischen Vergangenheit und Gegenwart, um in der Gegenwart zu landen und auszuklingen. Die Geschichte hat eine klare, oft kühle, manchmal poetische Sprache, die eindrückliche Bilder erzeugt. Der Fokus liegt auf Fumihiro, der sich als Erwachsener komplett verändert hat, quasi eine „Maske“ trägt, der immer noch in Kaori verliebt ist, und der versucht, kein Geschwür zu sein.

Ihm entgegen steht der Kuki-Clan. Nicht nur der Vater war ein Monster, seine Kinder stehen ihm in nichts nach.Wie weit der Clan bereit ist, zu gehen, zeigt sich in seinem Bruder, der an Kriegsgeschäften beteiligt ist: Rüstungsausgaben, Kriegstreiberei, Wiederaufbaugeschäftemacherei. Die Kukis lassen sich nichts entgehen, schüren bei Bedarf gerne nach. Wirtschaftliche und politische Interessen bestimmen ihr Handeln, zu keiner Bösartigkeit sind sie sich zu schade. Fumihiro soll das Sahnestückchen dieses Imperiums sein.

Doch Fumihiro möchte nicht. Die Frage ist aber: kann er dem überhaupt entkommen? Hat nicht schon allein das Gespräch, in dem ihm sein Vater seinen Plan mitteilt, ihn soweit beeinflusst, dass er seine Handlungen entgegengesetzt ausrichten kann? Welche Handlungen sind gut? Welche sind böse? Welche Handlung hat welchen Einfluss? Nicht immer kann man vorhersehen, welche Entscheidungen Geschehnisse negativ oder positiv beeinflussen. Führt Fumihiro also ein selbstbestimmtes Leben? Oder lebt er eine sich selbst erfüllende Prophezeiung? Sein Ziel ist es, Kaori zu schützen, auch wenn er in der Gegenwart keinen Kontakt mehr zu ihr hat. Er liebt sie, doch glücklich werden sie nicht werden. Das hat ihm sein Vater prophezeit und ob er daran glaubt oder nicht, die Geschehnisse in der Vergangenheit stehen zwischen Fumihiro und Kaori.

Nicht nebensächlich, aber doch nur als Streiflicht, taucht Kommissar Aida auf. Angelockt durch Fumihiros „Maske“, doch klug ist er, der Kommissar und lässt sich auch nicht abschütteln, taucht hier und da auf und bringt Unruhe in Fumihiros Leben. Überhaupt bevölkern die Geschichte kuriose Gestalten, neben dem kosmetischen Chirurg, der Fumihiro seine „Maske“ verpasst hat, ein Privatdetektiv, der vormals für seinen Vater gearbeitet hat, aber auch eine Terrororganisation tummelt sich um das „Geschwür“.

Natürlich beginnt das Buch mit einem Knaller – welcher Vater hat schon das Ziel, seinen eigenen Sohn zum jemand durch und durch Bösen zu erziehen? Die Kindheit und Jugend Fumihiros hat für mich keine Überraschungen beinhaltet, doch ganz anders ist dies in seinem erwachsenen Leben. Was ist Fumihiros Ziel? Wohin wendet sich die Handlung? Diese in der Gegenwart durchgängige Frage hat mich durch das Buch begleitet und ich weiß auch am Ende nicht, ob ich alles verstanden habe. Der Zweck, das Ziel – mir unbekannt. Einzig hoffen kann ich, das Fumihiro endlich, als er am Ende in das Flugzeug steigt, sein Leben gefunden hat.

Fazit:
Kann ein Buch eine leise Achterbahnfahrt sein? Wenn ja, dann ist dieses hier definitiv eine. Düster und noiresk, erschreckend und sacht, ohne Helden, aber mit Poesie erschafft der Autor einen nicht herkömmlichen, aber fantastisch eindrücklichen Krimi.

 



Fuminori Nakamura – Die Maske
Verlag: Diogenes
Übersetzer: Thomas Eggenberg
347 Seiten
ISBN: 978-3257244816

 

 

 

Rezension zum Buch bei Wortgestalt –> hier.


 

 

10 Kommentare zu “Geschwür: Die Maske – Fuminori Nakamura

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  4. Hallo,

    das Buch steht schon auf meiner Wunschliste, aber diese Rezension macht mich noch neugieriger darauf! Auch, wenn es sicher kein Buch ist, das man fröhlich zuklappt?

    LG,
    Mikka

    • :-D Das kenn ich… nicht nur, dass wir Buchsüchtigen einen SUB horten, sondern auch die Wunschliste ist ellenlang. Hach, mehr Zeit bräuchte man!

    • Hallo,
      nein, fröhlich nun wirklich nicht. Das kann man nicht sagen, aber trotzdem durchaus zufrieden. Auch nachdenklich, aber auch geflasht. Hm, schwer zu beschreiben. Irgendwie sind die ostasiatischen Krimis schon ein wenig anders, eben kein Mainstream. Wobei ich das ja sehr mag – wer will schon immer wieder den gleichen Aufguss einer Story lesen?
      Christina

  5. Den Inhalt hast du toll nacherzählt! :) Weißt ja schon, dass ich den Roman sehr sehr gemocht habe, unglaublich faszinierende Idee und gleichzeitig klasse erzählt. Ich freue mich gerade schon richtig auf seinen nächsten Roman im Oktober! Wuhu! :D

  6. “und ich weiß auch am Ende nicht, ob ich alles verstanden habe. Der Zweck, das Ziel – mir unbekannt.“ Ich musste echt schmunzeln, denn so geht es mir oft mit japanischen Romanen. Sehr rätselhaft und so völlig anders. Tue mich daher regelmäßig schwer mit Büchern aus Japan. Aber ich bleibe dran, habe letztens meinen ersten Murakami gelesen. ;-)

    • Ich würde es mal so ausdrücken: der Weg ist das Ziel. Es war gar nicht so wichtig, warum Fumihiro nun alles das tut wie er es tut. Es ist eben kein Mainstream, bei dem man am Ende den Krimi zuklappt und sagen kann, Täter gefasst, alle Fragen gelöst. Sie sind anders, aber auch wohltuend anders. Aber ja auch nicht alle. „Das Auge von Hongkong“ funktioniert schon eher nach dem Motto, Täter gefasst, Welt glücklich. Oder auch z. B. bei „Das schwarze Pulver von Meister Hou“, da kommt die Rezi ja noch. Ich finde die Mischung gut, aber ich gebe zu, manche japanische/asiatische Krimis würde ich nicht so nebenher lesen – die brauchen schon ein wenig mehr Aufmerksamkeit.

  7. Ich weiß noch nicht, ob ich den Autor und seinen Stil mag oder nicht XD
    Hab den Dieb von ihm gelesen und mich danach gefragt, was ich da eigentlich gelesen hab.
    Ob ich etwas nicht verstanden hab, der Schlauch so breit ist, dass ich etwas entscheidentes übersehen habe.
    Glaub so würde es mir hier auch gehen, vor allem nach deiner Kritik :P

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