Thore D. Hanse – Die Reinsten
Verlag: Golkonda
424 Seiten
ISBN: 978-3946503903
Die Welt im Jahre 2191 wird von Askit, einer künstlichen Intelligenz, gesteuert. Nachdem die Menschen die Erde durch Kriege und Klimakatastrophen fast vernichtet haben, begleitet und steuert Askit die Überlebenden in der Zukunft. Um die Erde zu retten, sucht sie eine Elite, die für den Schutz und den Erhalt, aber auch den Aufbau und die Regenerierung der Natur arbeiten: die Reinsten. Diese Gruppe von Menschen trainiert und formt sie, so dass sie nicht von ihren Emotionen geleitet werden und logische Entscheidungen treffen können, um die Welt zu retten und zu erhalten. Eve Legrande ist eine von diesen Reinsten. Umso unverständlicher ist es, dass sie von Askit verstoßen wird und die Metropole verlassen muss, hinaus zu den Kolonisten, Menschen, die nicht unter der Fürsorge und Kontrolle von Askit leben. Warum schickt Askit sie in diese lebensfeindliche Umgebung?
In der Welt von 2191 ist die Erde fast unbewohnbar geworden – eine sehr realistische Zukunftsvision der Erde, sieht man sich die aktuelle Lage an. 2191 gibt es die von Askit kontrollierten Metropolregionen, welche unter einem Schirm eine gerade annehmbare Temperatur haben, viele Gebiete außerhalb sind unbewohnbar. Die Metropolen werden von Reinsten bevölkert, aber auch von Angepassten. Diese haben sich, wie der Name schon sagt, angepasst, sind aber keine Reinsten. Die Reinsten werden von Askit jahrelang trainiert und getestet, so dass hier eine Elite entsteht, die für den Erhalt der Welt arbeiten soll. Wer hier nicht reinpasst, also weder Reinster wird, noch sich anpasst, wird degradiert und zu den Kolonisten geschickt – dies sind die Menschen, die, warum auch immer, nicht unter dem Schutz von Askit stehen und außerhalb der Metropolen leben.
„Hingabe, Demut, Reinheit, volles Potenzial:
Gelobt sind Askit und die Agenda.“ (S. 82)
Als das Buch begonnen hat, fand ich die Zukunftsvision gar nicht so schlecht. Klar, die Menschen haben die Welt zugrunde gerichtet, aber die Gesellschaft von 2191 hat erkannt, dass es dieses zerstörerische Verhalten stoppen muss und die Umwelt bei der Regeneration unterstützen muss. Geleitet von einer KI? Warum nicht – Eve und ihre Freunde wirken zufrieden. Doch nach und nach stellen sich Kleinigkeiten ein, die man in Frage stellen muss. Um einen Einblick zu geben, hier ein Beispiel: ein älterer Mann bricht zusammen und Eve verständigt Askit (das funktioniert übrigens per Gedanken durch ein Interface), so dass eine Ambulanz geholt werden kann, doch Askit berechnet die Überlebenschance des alten Mannes so gering, dass sich ein Krankenwagen nicht lohnen würde und so wird keiner geschickt. Derweil Eves Mutter, eine Angepasste, dies schrecklich findet, hat Eve dafür Verständnis, da es Ressourcen verschwendet. Hierbei stellt sich nun nicht nur die Frage, inwieweit man der KI überhaupt trauen kann, sondern ob eine Welt weitgehend ohne Emotionen denn wünschenswert ist.
Ich bin ja immer sehr neugierig auf die Welten der Zukunft, so war ich auch diesmal sehr gespannt und habe darauf gewartet, dass Eve degradiert wird, um mehr davon zu verstehen. Denn in der abgeschotteten Metropole erfährt man ja nur die eine Seite der Medaille. Tatsächlich lässt die Degradierung aber sehr auf sich warten, vielleicht wäre es fast besser gewesen, wenn der Klappentext dieses Detail nicht schon verraten hätte. Und – das war für mich überraschend – Eve ist nicht die einzige, die degradiert wird. Die Zeit in den Kolonien kommt mir dafür dann allerdings zu kurz vor. Hier hätte ich mir ein ausgewogeneres Verhältnis gewünscht, weniger Metropole, mehr Kolonie. Die Sicht der Kolonisten ist natürlich eine völlig andere als die von Askit und den Reinsten, doch die sich emotional kontrollierende Eve Legrande lässt sich davon nicht beeindrucken – ein wenig schade, denn mehr Emotionen hätten hier ein wenig die Spannung erhöht.
Nichtsdestotrotz gibt es Spannung, allen voran durch die bedrohlichen Patriots (große Roboter) und Drohnen, die von Askit gesteuert werden. Vormals zur Verteidigung der Metropolen gedacht, sind diese aber auch Hilfsarbeiter und erledigen Aufgaben in den Gebieten, die für Menschen nicht mehr begehbar sind. Die Spannung spitzt sich auch zum Ende hin zu, wobei es hier zwar Kämpfe und Angriffe gibt, aber Eve meist außerhalb des Geschehens ist und man die spannenden Momente eher aus Beobachtersicht mitbekommt. Der Fokus des Buchs liegt denn eher in den Fragen, ob und wieweit man einer KI trauen kann, ob eine KI Emotionen hat, ob sie immer zum Besten des Menschen handelt. Die KI wurde von Menschen programmiert, verfolgt sie ihre vorgegebenen Ziele bis ins Letzte oder ist es ihr möglich zu lernen und die Ziele anzupassen? Und in wieweit kann man den Menschen trauen? Überlässt man sie wieder sich selbst, werden sie die Erde zugrunde richten oder haben sie aus ihren Erfahrungen gelernt? Eine philosophische Diskussion, der Eve sich stellen muss, denn Askit hat Eve auserkoren, hier das Zünglein an der Waage zu sein.
Fazit:
Thematisch ein sehr interessanter Blick in die Zukunft, der philosophische Fragen über die Menschheit , die Zukunft und Künstliche Intelligenz aufwirft und zum Nachdenken anregt. Allerdings hätte ich – wie so oft – gerne mehr Einblick in die Welt von 2191 bekommen, vor allem in die nicht von Askit kontrollierten Gebiete, aber auch in die Vergangenheit, also in die Entstehungsphase von Askit.
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9. April 2019 um 18:07
Ich habs hier liegen und komm grad nicht zum lesen … aber deine Kritik motiviert mich, meine andren Bücher schneller zu beender XD
10. April 2019 um 20:12
Ich bin sehr gespannt darauf, wie es Dir gefallen wird.
10. April 2019 um 19:10
Das Buch wandert direkt mal ganz nach oben auf meiner Wunschliste. 😁 Ein bisschen erinnert mich das Buch an Now wegen den Gebieten, in denen Now (die KI) ein (anscheinend) tolles Leben den Auserwählten und auch genetisch überlegen erschafft, während es die anderen Gebiete abkapselt und damit ins Chaos stürzt. Aber Die Reinsten spielt noch mal 100 Jahre weiter in der Zukunft, deshalb bin ich gespannt, wie sich sowas entwickelt.
10. April 2019 um 20:25
Ich wäre sehr gespannt, wie Deine Meinung zu dem Buch ist – Du bist ja doch mehr in dem Thema KI drin als ich.
Ich glaube allerdings nicht, dass Deine Frage beantwortet wird, denn – das habe ich ja bemängelt – das Buch bietet mir zu wenig Hintergründe, wie es zu dieser Situation (Aufteilung in beschützte Metropolen unter Askit und Kolonien) gekommen ist und wie überhaupt die Kolonien überlebt haben, unter der doch lebensfeindlichen gewordenen Welt. Der Fokus liegt eher auf der Zukunft der Zukunft – kann eine KI ihre Programmierung, ihr ursprüngliches Ziel ändern und den Umständen anpassen?
1. Mai 2019 um 00:44
Ich hatte Gelegenheit, die Buchvorstellung von Thore D. Hansen im Gespräch mit Karlheinz Steinmüller in Leipzig zu verfolgen. Ein sehr spannender Abend mit vielen Einblicken in die Hingergründe des Themas., Bisher hatte ich allerdings noch keine Zeit, das Buch zu lesen. Die Rezension fordert mit geradezu dazu auf.
2. Mai 2019 um 13:09
Mehr Hintergründe zu dem Buch hört sich spannend an – ich hab hier in der Gegend leider keine Lesung gesehen, hätte diese aber auch besucht, um noch mehr zu erfahren. Spannendes Thema – das Buch kann ich auf jeden Fall empfehlen.