Stephen King – Wahn
Verlag: Heyne
Übersetzer: Wulf Bergner
893 Seiten
ISBN: 978-3453433434
Es ist ja schon eine ganze Weile her, dass ich meinen letzten King gelesen habe. Mit 12, 13 Jahren habe ich alles verschlungen, was von ihm verfügbar war (mit Ausnahme von Friedhof der Kuscheltiere, warum auch immer), doch seitdem habe ich gar nichts mehr von ihm gelesen. Doch schon seit einer Weile tummeln sich Bücher von ihm wieder in meinem Schrank, z. B. Die Arena oder auch Das Attentat. Das vorliegende Buch habe ich mir allerdings dann doch holen müssen, da es noch nicht vorhanden war. Und ich dann dachte ich: puh, fast 900 Seiten. Das ist eigentlich mein Hauptproblem mit Stephen King. Er kann sich nicht kurzfassen (selbst seine Kurzgeschichten sind ja mitunter recht lang) und das schreckt mich schon von vornherein ab. Ohne, dass ich auch nur ein Wort gelesen hätte. Doch nun hab ich ran gemusst, denn schließlich hab ich für das Special Bücher zum Thema Insel gesucht. Und wenn „Wahn“ da nicht rein passt, dann weiß ich auch nicht….
Edgar Freemantle wird in seinem Pickup durch einen Kran fast zerquetscht. Neben etlichen Verletzungen, unter anderem auch einen amputierten Arm und Schmerzen bei allen möglichen Bewegungen, hat er Schwierigkeiten sich an Wörter zu erinnern und gerät darüber in unfassbare Wut. Obwohl seine Ehe davor gut funktioniert hat, fängt seine Frau Pam an, sich vor ihm zu fürchten und verlangt letztendlich die Scheidung. Freemantles Bauunternehmen gibt er erstmal an seinen Stellvertreter weiter und mit den bisher verdienten Millionen folgt er dem Ratschlag seines Psychologen und vollführt einen Ortswechsel. Von Duma Key und dem dort zur Vermietung stehenden Haus, welches Edgar sofort Big Pink tauft, ist er fast schon magisch angezogen und zieht kurzerhand dort ein. Ein weiterer Vorschlag seines Therapeuten ist, sich ein Hobby zuzulegen. Und Edgar sucht sich das Malen aus.
Auf Duma Key angekommen erlangt er eine Routine, die es ihm täglich leichter macht und ihm wieder Sinn und Hoffnung im Leben verleihen. Seine Strandspaziergänge helfen ihm mehr zu laufen, aber mit weniger Schmerzen zu laufen, die Abgeschiedenheit erlaubt ihm, zur Ruhe zu kommen und das Haus ermöglicht ihm einen fantastischen Blick auf den Ozean, welchen Edgar in Bildern fest hält. Und siehe da, Edgar ist begabt. Seine Malarbeiten sind grandios, aber Edgar fürchtet sich auch vor ihnen, denn er fühlt nicht nur seinen fehlenden Arm und ein brennendes Jucken, welches ihn zum Malen zwingt, nein, die Bilder sind irgendwie bedrohlich.
Kaum habe ich angefangen, waren die 900 Seiten aber vergessen, denn King hat einfach das gewisse Etwas. Er braucht zwar eine ganze Weile, bis er in Fahrt kommt, bis die Handlung überhaupt auf die Insel umzieht und es ist auch noch nichts Unheimliches oder sonderlich Spannendes bis dahin geschehen, aber Kings Sprache entwickelt einfach eine Sogwirkung. Es ist wirklich unglaublich, wie gut King das hinkriegt. Man kann einfach nicht mehr aufhören.
Zum einen hat das mit Kings Charakteren zu tun. Hauptperson ist natürlich Edgar Freemantle. Ganz ehrlich, auch wenn Edgar jemand ist, mit dem man Mitleid haben müsste, ich hatte es nie. Er ist einfach kein solcher Typ. Er gibt nicht auf und kämpft. Er macht ganz sicher nicht alles richtig und verpatzt nicht nur seine Ehe, aber es ist schon beeindruckend, wie er sich anfangs jeden Tag ein paar Schritte weiter den Strand entlang schleppt. Bis er es zu seinem neuen Freund schafft, Jerome Wireman, den Betreuer von Elizabeth Eastlake. Einer alten, leider dementen Frau, der die halbe Insel gehört, auf welcher Edgar sein Haus gemietet hat. Wireman trägt natürlich auch sein Geheimnis mit sich herum, auch wenn er immer fröhlich und positiv gesinnt scheint. Und Edgar und er werden beste Freunde, Buddies, bis zum harten Ende.
Ich glaube, nur King schafft es, eine der wunderschönsten Inseln in ein grausames Paradies zu verwandeln. Wunderbare Sonnenuntergänge, Sandstrand, nur zwei Nachbarn auf der ganzen Insel, Einsamkeit, aber Erholung, Meeresrauschen und Eistee am Strand, das Rauschen von Muscheln, das wie von Knochen klingt, Dschungel, dicht und grün, wuchernd und bedrückend, ein Weg, den sich die Natur wieder geholt hat, eine verrückte alte Frau und ein Mann mit einer Kugel im Kopf, eine Geschichte in der Vergangenheit – so nah liegen Schönheit und Grauen. Doch das geschieht natürlich nicht von jetzt auf nachher, sondern langsam, es baut sich auf, wird bedrohlicher und bedrohlicher. Unterstrichen von Edgars Talent Bilder zu malen, Wunderschöne, aber auch unheimliche Bilder. Und Bilder, die ein Eigenleben zu entwickeln scheinen. Bilder, welche die Vergangenheit zeigen, die Zukunft, aber auch einfach jemanden, den er noch nie gesehen hat, der aber dann genau so aussieht, wenn er ihn zum ersten Mal trifft.
Ich weiß es ehrlich nicht. Ich kann Euch einfach nicht sagen, warum ich schon so lange keinen Roman von King mehr gelesen habe. Der Kerl hat es einfach drauf, eine richtig gute Geschichte zu erzählen. Dass er dafür immer massenhaft Seiten braucht, die mich erst mal abschrecken, lasse ich ab sofort nicht mehr gelten. Denn letztendlich habe ich das Buch in der gleichen Zeit gelesen, wie ich so manch 400 Seiten Krimi/Thriller gelesen habe. Und das will was heißen.
Fazit:
„Wahn“ ist eine richtig gute Stephen King Story. Leise schleicht sie sich an einen ran, bis sie einen ganz fest im Griff hat und lässt einen nicht mehr los, auch nicht, wenn alle Haare im Nacken sich aufrichten und man sich überlegt, nicht vielleicht doch alle Lichter im Haus anzuschalten. Unbedingt lesen!
16. Dezember 2017 um 11:19
Macht richtig Lust auf King, eine wirklich schöne Besprechung!
16. Dezember 2017 um 11:37
Vielen Dank!
Ich hab auch wieder richtig Lust bekommen, King mehr Zeit zu widmen.
16. Dezember 2017 um 11:36
Ich glaube, ich habe mich schon mal geoutet, oder? Ich habe noch keinen (in Zahlen: 0) Bücher von King gelesen. Bin erstens kein Horrorfan und zweitens schreckt mich die Seitenzahl immer ab.
16. Dezember 2017 um 11:42
Ich muss zugeben, auch ich hab mit den Seitenzahlen so mein Problem. Ich hab dann immer so ein Stimmchen im Ohr, welches mir sagt: einen King oder 3-4 andere Bücher. :-)
Ich denke allerdings, bei King kann man auch was finden, was gar nicht oder nur wenig mit Horror zu tun hat. Er hat ja so unheimlich viel geschrieben. Und man kann sich ja auch an Kurzgeschichten versuchen (die allerdings bei ihm auch schon mal in 100 Seiten ausarten können). Auch „Wahn“ finde ich per se nicht super horrormäßig.
Vielleicht kann Dich ja auch Stefan irgendwann überzeugen – der ist ja großer Fan von King und rezensiert gerade immer mal wieder eines seiner älteren Werke.
Aber ich denke, es ist kein Verbrechen, nie einen King gelesen zu haben. :-)
16. Dezember 2017 um 11:45
Stefan hat es schon versucht. Habe auch eigentlich mal zugesagt, dass ich es probiere…;-)
Mal gucken, ob es nächstes Jahr klappt.
16. Dezember 2017 um 11:46
Hehe…. ich bin gespannt, was Du Dir raussuchst.
15. Januar 2018 um 17:35
Give it a try. Ich kann Dein Zögern zu 100 % nachvollziehen, da es mir bei King haargenauso ging. Im Nachhinein habe ich mir dann oft gedacht: „Warum hast du so lange gezögert?“ Ergo: Es lohnt sich!
15. Januar 2018 um 22:12
Eigentlich weiß ich das ja… ich verspreche mich nicht mehr so sehr von der Seitenanzahl abschrecken zu lassen.
15. Januar 2018 um 23:35
War zwar eher an Gunnar gerichtet, aber die Empfehlung ist tatsächlich allgemeingültig. ;-)
16. Januar 2018 um 07:42
Ah…. sorry. :-)
16. Dezember 2017 um 19:10
Oh ja, mein „Problem“ sind auch die Seitenanzahlen… ich habe 3 Bücher und eins mit Kurzgeschichten (waren nicht so meins) von ihm gelesen und mochte sie alle sehr gerne. Aber an viele Bücher trau ich mich einfach nicht… „Es“ ist auch so eins. Viel zu lang.
So geht es mir übrigens auch mit den büchern von Ken Follett. Ich finde sie toll, aber wenn da schon steht 1500 Seiten, dann krieg ich zu viel noch bevor ich angefangen habe.
LG
Sandra
18. Dezember 2017 um 18:21
So geht es mir auch – aber doch ist es irgendwie schade, denn wenn ich das Buch dann mal angefangen habe, ist die Seitenzahl völlig vergessen. Von Follett hab ich noch nichts gelesen, aber zumindest bei King schlägt mich das Buch dann in seinen Bann und es ist völlig egal wie lange es ist. :-)
17. Dezember 2017 um 15:00
Ich liebe Horror und scheue auch keine dicken Wälzer. Deine Rezension zu Wahn hat mich neugierig gemacht und ich werde es sicher bald mal lesen 🙂
18. Dezember 2017 um 18:21
Das sind schon mal die beiden Grundvoraussetzungen – dann wird es bestimmt bald was mit Dir und King. :-)
22. Dezember 2017 um 16:00
Mir ging es als Teeny wie dir und auch ich habe vor einigen Wochen nach Jahrzehnten! wieder einen King begonnen. ES liegt noch immer auf meinem Nachttisch, weil mir doch immer noch ein anderes Buch dazwischen kommt. Aber ich kann gut nachempfinden, wie es dir nach WAHN ging;)
24. Dezember 2017 um 09:52
Im Übrigen hab ich WAHN ja schon im Oktober bzw. November gelesen und will seitdem ständig noch einen King lesen und schrecke mal wieder vor der Seitenzahl zurück… seufz
26. Dezember 2017 um 17:39
Bei mir liegt es nicht an den Seitenzahlen – eher an seinem Stil und seinen Erklärungen, weswegen ich King nicht lesen „kann“ ;)
Obwohl ich sehr an der Arena interessiert bin, also inhaltlich.
Habs mal mit Hörbüchern versucht, aber die sind natürlich seeeeehr lang und genau das ist für meine Konzentration am Stück unpassend XD
Zwickmühle…
29. Dezember 2017 um 10:16
Auf „Die Arena“ bin ich seit Monaten scharf – mich halten wie immer nur die Seiten ab, wobei ich es im Moment auch grad nicht finden kann… schon eine Krux, wenn man Bücher zweireihig stapelt…. aber ich bin so neugierig, was die Arena ist… ich hab sogar die Serie verschmäht, weil ich erst das Buch lesen will….
Als Hörbuch kann ich mir seine Bücher aber auch kaum vorstellen. Viel zu lang… :-(
1. Januar 2018 um 10:44
Motiviert bin ich auch dadurch, dass ein Kollege meinte, dass gerade die Arena auch für mich was wäre. Mal schauen, ob ich bzw wir diesen fetten Schmöcker 2018 lesen werden :D
1. Januar 2018 um 14:47
Das ist ja mal eine Challenge! ;-)